# taz.de -- Politik in Großbritannien: So geht es nicht weiter | |
> Endlich Brexit umsetzen! Endlich Klimawandel stoppen! Wie der britische | |
> Drang nach Veränderung auch die britische Politik verändert. | |
Bild: Außerparlamentarische Politik als treibende Kraft: In London am Tag von … | |
LONDON taz | Seit Großbritanniens Premierministerin Theresa May [1][am | |
Freitag ihren Rücktritt ankündigte], erscheint es, als ginge es bei der | |
Nachfolge nur darum, welche Art von Brexit die neue Führung vertritt. Doch | |
wer erfolgreich regieren will, muss die Strömungen des Landes darüber | |
hinaus verstehen. | |
Wer in Großbritannien mit Menschen spricht, braucht nicht lange, um zu | |
herauszufinden, [2][dass viele der Politik müde sind]. Mit einer | |
Rekord-Wahlbeteiligung von 72 Prozent war das beim Brexit-Referendum 2016 | |
noch anders. Der lange Brexitprozess danach hat die Menschen danach | |
frustriert. | |
Der Brexit wurde weder vollzogen, wie es die Brexiteers erwarteten, noch | |
wurde er gekippt, wie es die proeuropäische Kampagne „People's Vote“ mit | |
Großdemonstrationen herbeiwünschte. Vielmehr haben sich an diesen beiden | |
Fragen die beiden großen Parteien, Konservative und Labour, tief intern | |
zerstritten und handlungsunfähig gemacht. | |
Damit büßten sie viele Sympathien ein. Im angeblich politisch | |
desinteressierten Großbritannien zitieren die Menschen in Reaktion auf die | |
Entwicklung gerne die Lebensweisheit „Let’s get on with it“. | |
So breitete sich in den vergangenen Wochen [3][Nigels Farages Brexit Party] | |
schneller über Großbritannien aus, als viele Beobachter es für möglich | |
gehalten hatten, nachdem Pro-Brexit-Märsche zuvor äußerst dünn besetzt | |
waren. Innerhalb von vier Wochen verschrieben sich 100.000 | |
Unterstützer*Innen der Brexit Party, obwohl die weder eine echte | |
Parteimitgliedschaft hat noch ein Wahlprogramm. | |
## Der Brexit soll durchgezogen werden | |
Attraktiv ist für sie einfach die Grundforderung, die bereits im Namen der | |
Partei enthalten ist: Dem demokratischen Votum von 17.4 Millionen | |
Brexitwähler*Innen müsse gefolgt und der Brexit durchgezogen werden. | |
Es ist eine für Großbritannien ungewohnte neue außerparlamentarischen | |
Opposition. Nigel Farage wiederholt oft, dass es ihm weniger um eine Partei | |
als um eine „neue Bewegung aller möglichen Leute und der verschiedensten | |
Hintergründe“ gehe. Was die Leute zusammenbringe, sei der Wunsch nach | |
Demokratie. | |
Auf den Veranstaltungen der Partei betonen die Leute, dass sie doch gewählt | |
hätten, aber die Politik in Westminster ihre demokratische Stimme | |
ignoriere, dass sie an Großbritannien glauben und dass das Geld, das an die | |
EU fließt, lieber für die großem Probleme des eigenen Landes wie das | |
Gesundheitssystem und verarmte Regionen auszugeben sei. Sie sehen sich | |
global orientiert über die Begrenzungen Europas hinaus. Es sind keineswegs | |
nur rechtsorientierte Nationalisten, die so reden. | |
Klarheit in der Botschaft gibt es auch bei einer ganz anderen | |
außerparlamentarischen Bewegung, die in den letzten Monaten Aufmerksamkeit | |
erzielt hat: die [4][Extinction Rebellion mit ihren Straßenblockaden] und | |
Demonstrationen für eine entschlossenere Klimapolitik, verstärkt | |
schließlich durch die Fridays for Future-Initiative weltweiter | |
Schülerproteste. | |
Präzise und klar sind die Forderungen der Extinction Rebellion: die | |
Wahrheit sagen über den Klimawandel, ein Emmisionsnetto-Null bis zum Jahr | |
2025, und die Einführung von Bürgerversammlungen. Im Stau vor den besetzten | |
Straßen Londons und anderorts gab es kaum böse Worte dafür. | |
## Bewegungen haben die Politik verändert | |
Die Proteste führten zum Erfolg: das britische Parlament rief als erstes | |
Land weltweit den Klimanotstand aus, die Grünen – bisher die einzige | |
Partei, die die Forderungen der Klimaproteste mitträgt – konnten bei den | |
Kommunalwahlen Anfang Mai ihren Stimmanteil mit 9,2 Prozent fast | |
verdreifachen. | |
Das Alter der Klima-Aktivist*Innen deutet eindeutig auf die Themen der | |
Politik von Morgen. Aber ihr Problem mit der bestehenden Politik ist alt, | |
ähnlich wie das der Brexiteers: Sie fühlen sich nicht vertreten, vor allem | |
nicht im britischen Mehrheitswahlrecht. | |
Die Grünen haben bisher nur eine Abgeordnete im Unterhaus. Farages | |
Vorgängerpartei Ukip, die 2014 die Europawahl gewonnen hatte, gewann bei | |
den Parlamentswahlen 2015 trotz über 12 Prozent der Stimmen ebenfalls nur | |
einen Sitz. Beide, Grüne wie Ukip, forderten und fordern eine Reform des | |
Wahlsystems. | |
Aber wozu eigentlich, wenn es auch ohne parlamentarische Vertretung gehen | |
könnte, wie das Brexit-Referendum und auch die Extinction Rebellion | |
beweisen? Diese Bewegungen haben die Politik verändert. | |
Nicht mehr voluminöse Parteiprogramme, in denen auf 100 Seiten sämtliche | |
denkbaren Themen abgehandelt werden, interessieren die Wählerschaft. Es | |
geht um klare Ziele mit wenig Worten. | |
Bei den Klimaprotesten sprechen die meisten Befragten vom Recht auf Zukunft | |
und von der fehlenden Reaktion der Politik und der Geschäftswelt auf | |
offensichtliche Fakten, von Herausforderungen weit über die Insel hinaus. | |
Der Unterschied zur Brexitbewegung ist am Ende: Die einen denken global, | |
aber wollen, dass Großbritannien davon profitiert; die anderen denken | |
global und wollen, dass die ganze Welt besser wird. | |
Mit Klarheit der Botschaft ist es jedoch so eine Sache. Sowohl beim Brexit | |
als auch bei der Klimapolitik steckt der Teufel im Detail. Was für ein | |
Brexit war 2016 eigentlich gemeint? Was heißt es konkret, den Klimanotstand | |
auszurufen? | |
## Ein zweites Referendum | |
Zu diesen Fragen gibt es keine einheitlichen Meinungen in den | |
außerparlamentarischen Bewegungen. Könnte ein zweites Referendum mit | |
präzisen Optionen die Brexit-Frage beantworten – oder wäre das | |
undemokratisch, wenn das heißt, das erste Referendum zu ignorieren? | |
Bezeichnenderweise gibt sich Farage für ein zweites Referendum offen, weil | |
er sicher ist, es gewinnen zu können, anders als viele Konservative, die an | |
sich selbst zweifeln. Aber sollte es dann nicht auch ein Referendum über | |
die Definition des Klimanotstandes geben? Könnten da Bürgerversammlungen | |
Klarheit schaffen, so wie es die Extinction Rebellion fordert? Vielleicht | |
helfen sie ja bei der Gelegenheit auch den den Schwierigkeiten des Brexits | |
auf die Sprünge? | |
Inzwischen plädieren mehrere Abgeordnete dafür. Selbst der konservative | |
Umweltminister und Brext-Befürworter Michael Gove schließt es nicht aus. | |
Das ist nicht nur signifikant, weil Goves eigene Tochter, sie hat noch gar | |
kein Wahlrecht, bei den Schulstreiks gegen den Klimawandel mit dabei war, | |
sondern weil er sich um Theresa Mays Nachfolge bemüht und als einer der | |
aussichtsreichsten Kandidaten gilt. | |
Ein Premierminister Michael Gove könnte Umweltanliegen mit denen des Brexit | |
sogar in einer Person verknüpfen. | |
26 May 2019 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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