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# taz.de -- Nachfolge von Theresa May: Ein hartes Rennen
> Großbritanniens Konservative suchen eine neue Führung. Alles läuft auf
> einen Kampf zwischen Boris Johnson gegen Michael Gove hinaus.
Bild: Der Kampf ist eröffnet: Wer wird Mays Nachfolger?
Es gibt bei Großbritanniens Konservativen zwei alte Intimfeindschaften,
ohne die die britische Politik nicht zu verstehen ist. Die eine ist die
zwischen David Cameron und Boris Johnson, Rivalen seit der gemeinsamen
Schulzeit im Elite-Internat Eton. Cameron machte die bessere Karriere,
Johnson hielt sich immer für den genialeren Politiker.
Als glanzvoller Londoner Oberbürgermeister sonnte er sich im Ruhm der
Olympischen Sommerspiele 2012, während Premierminister Cameron in den Mühen
der Sparpolitik versank. Als 2016 Cameron als Premier zurücktrat, weil
Johnson dem Brexit zum Referendumssieg verholfen hatte, schlug Johnsons
Stunde – aber er vergeigte es.
Er organisierte nichts, er trat in letzter Minute doch nicht an, Theresa
May setzte sich die Krone auf, und seitdem wartet Johnson mehr oder weniger
frustriert auf den Moment, dass alles in Scherben fällt und die Nation ihn
als Retter in der Not herbeiruft, so wie einst sein großes Vorbild Winston
Churchill. Dieser Moment ist aus seiner Sicht jetzt gekommen. May tritt
geschlagen ab, Boris Johnson ist der haushohe Favorit bei der Parteibasis.
Würde die Nachfolge in einer Urwahl bestimmt, wäre alles klar.
Die andere Intimfeindschaft ist die zwischen Theresa May und Michael Gove.
Aus eher einfachen Verhältnissen hochgearbeitet, waren die beiden Camerons
fleißigste Innenpolitiker – May als ewige Innenministerin mit der harten
Hand und dem verschlossenen Sphinx-Auftritt, Gove als Bildungs- und später
Justizminister mit der ambitionierten Reformagenda und der leutseligen
Pose.
2014 krachte es spektakulär. Bildungsminister Gove warf dem
Innenministerium vor, seine Warnungen über Islamisten an Schulen zu
ignorieren – er zog den kürzeren und verlor seinen Job. 2016 kandidierte
Gove gegen May um Camerons Nachfolge – er verlor erneut.
## Der einzige Konservative, den jeder Brite kennt
[1][Jetzt schlägt möglicherweise seine Stunde]. Michael Gove hat derzeit
die meisten Unterstützer in der konservativen Fraktion. Die Parlamentarier
entscheiden ab dem 10. Juni in einer Reihe interner Wahlrunden, welche
beiden Kandidaten sie der Basis zur Urwahl vorlegen. Ihr größtes
Kopfzerbrechen besteht darin, jemanden zu finden, der Boris Johnson stoppen
kann.
Johnson, der ewige Außenseiter im konservativen Apparat, tritt sehr viel
kohärenter auf als vor drei Jahren. Er hat als Wahlkampfleiter Gavin
Williamson angeheuert, der Mays höchst effiziente Kampagne 2016
organisierte und heute auf Rache sinnt, nachdem May ihn vor Kurzem auf sehr
brutale Weise als Verteidigungsminister feuerte.
Johnson warb erfolgreich um die beiden Anti-Brexit-Schwergewichte
Finanzminister Philip Hammond und Innenministerin Amber Rudd, die sich
beide ausrechnen, dass sie nur durch Unterstützung des Favoriten Einfluss
wahren können. Und nach wie vor bleibt Johnson der einzige Konservative,
den auf Anhieb jeder Brite kennt.
Die Entscheider hinter den konservativen Kulissen, denen vor allem die
Wahrung der britischen Sicherheitsinteressen am Herzen liegt, trommeln
jedoch vernehmlich für Gove. Die führende Sonntagszeitung Sunday Times
titelt „Get Boris! Gove fordert seinen Rivalen erneut heraus“, das
konservative Hausblatt Sunday Telegraph „Gove: Stützt mich, um Corbyn zu
schlagen“. Goves Kampagnenleiter Mel Stride wurde von May vergangene Woche
zum Parlamentsminister befördert, ein zentraler Strippenzieherposten, der
die Agenda des Unterhauses gestaltet.
Kommt nun also, nachdem Cameron und May beide Geschichte sind, der große
Showdown zwischen Johnson und Gove? Es wäre eine kuriose Volte. Die beiden
Politiker führten 2016 gemeinsam die Brexit-Kampagne, die das Referendum
gewann. Gove war das Hirn, Johnson das Herz. Gove argumentierte
intellektuell, Johnson sprach das Volk an. Als es um Camerons Nachfolge
ging, dachte Johnson, dass Gove ihn stützt – bis Gove ihm in letzter Minute
die Gefolgschaft und damit die Siegeschancen entzog, selber antrat und
gegen May verlor. Sie haben Rechnungen miteinander offen.
## Das Schlangennest neutralisieren
Es gibt noch andere Kandidaten, manche durchaus aussichtsreich, wie der
ehemalige Brexit-Minister Dominic Raab. Über ein Dutzend Politiker haben
bereits ihre Ambitionen angezeigt und wollen ihre Stimmen im Laufe des
Wahlkampfs teuer verkaufen. Aber sie alle werden sich in die
Johnson-Gove-Konfrontation zwischen Brexit-Fundi und Brexit-Realo einfügen
müssen.
Die Parteibasis – die neuerdings 160.000 zahlende Mitglieder hat, nicht nur
124.000, wie zuvor vermutet, und damit undurchsichtiger ist, als dies
vielen Parteigrößen gefällt – hätte mit Johnson und Gove die Wahl zwischen
dem leichtfüßigen No-Deal-Brexit und der mühevollen Kompromissbereitschaft,
zwischen dem Träumer und dem Arbeitstier.
Man tut damit vermutlich beiden Unrecht. Aber es liegt in der Natur der
britischen Medienlandschaft, jeden Wahlkampf zu personalisieren, und das
ist auch eine politische Prüfung. Nur wer als Politiker das Bild prägt, das
die Medien von ihm zeichnen, kann auch einen Wahlkampf gewinnen und das
Land führen.
Der Sieger muss aber auch das Schlangennest neutralisieren, in das sich das
politische Establishment verwandelt hat und das in der Bevölkerung auf
Abscheu stößt. [2][Denn es gibt durchaus Sachthemen jenseits der EU], die
die konservative Basis bewegen: Wohnungskrise, Pflegenotstand, falsche
Prioritäten bei den Staatsfinanzen.
Mays pharaonische Infrastrukturprojekte wie der ökologisch umstrittene
Ausbau des Flughafens Heathrow, das von China zu bauende Atomkraftwerk
Hinkley Point oder die sündhaft teure Hochgeschwindigkeitstrasse von London
nach Norden stoßen selbst in der eigenen Partei auf große Skepsis. Wer
diese auffängt, dem dürfte der Sieg sicher sein.
26 May 2019
## LINKS
[1] /Brexit-Desaster-in-Grossbritannien/!5597761
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## AUTOREN
Dominic Johnson
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