| # taz.de -- Sozialunternehmerin über Altkleider: „Berlin hat ein Textilprobl… | |
| > Im Textilhafen der Berliner Stadtmission stranden künftig Tonnen nicht | |
| > verwertbarer Altkleider. Projektleiterin Ana Lichtwer will damit Häuser | |
| > dämmen. | |
| Bild: Tonnenweise Altkleider landen jede Woche in den Kleidersammlungen – nic… | |
| taz: Frau Lichtwer, Sie sagen, Berlin hat ein gewaltiges Textilproblem. | |
| Ana Lichtwer: Nicht nur Berlin, alle Ballungsräume in Deutschland und | |
| Europa. Allein wir von der Berliner Stadtmission bekommen über 10 Tonnen | |
| Kleidung pro Woche gespendet. Im vergangenen Jahr kamen insgesamt 882 | |
| Tonnen zusammen. Aber nur 10 Prozent der gespendeten Kleidung können wir | |
| tatsächlich verwenden. | |
| Warum? | |
| Wir bekommen 80 Prozent Damenbekleidung, 90 Prozent der Empfänger sind aber | |
| Männer. Außerdem spenden die Leute oft antizyklisch: Sommersachen im Winter | |
| und Wintersachen im Sommer. Die können wir aber nicht lagern, dafür fehlt | |
| uns das Geld. Die meisten Leute spenden gute Kleidung. Es kommen aber auch | |
| immer wieder verschmutzte Sachen vom letzten Malern oder mottenzerfressene | |
| Wollpullis – nach dem Motto, für einen Penner geht das doch noch. Wir geben | |
| aber keine kaputte oder schmutzige Kleidung ab und können in der Regel | |
| weder reinigen noch reparieren, auch dafür haben wir kein Geld. Und | |
| schließlich spenden die Menschen ja schlicht das, was nicht mehr gebraucht | |
| wird: die Kleidung vom verstorbenen Schwiegervater zum Beispiel. Das ist | |
| aber nicht unbedingt das, was ein Obdachloser, der im Straßenbild nicht | |
| auffallen will, anzieht. | |
| Was genau passiert bei der Stadtmission mit der gespendeten Kleidung? | |
| Mehrere Mitarbeiter sortieren die Sachen: zuerst für die Kleiderkammer. Bei | |
| dem, was dafür nicht passt, schauen wir, ob es in den Kiezläden verkauft | |
| werden kann. Dann überlegen wir noch, was wir upcyceln, also aufwerten | |
| können. Wir haben ein kleines Sortiment entwickelt – eine Tasche, Mütze, | |
| Unterhosen, die wir aus gespendeten Stoffen oder Wollpullis nähen. Den | |
| größten Teil aber, rund 60 Prozent, können wir bisher nicht verwenden. | |
| Früher haben wir mit Fairwertung (bundesweites Netzwerk zur | |
| Altkleiderverwertung für soziale Zwecke, d. Red.) zusammengearbeitet, aber | |
| denen sortieren wir zu viele der guten Sachen raus. Deshalb müssen auch wir | |
| bislang an kommerzielle Verwerter weitergeben, und genau das wollen wir | |
| nicht mehr. Dafür gibt es jetzt den Textilhafen. | |
| Dort lösen Sie das Problem der überschüssigen Textilien? | |
| Wir selbst haben keine Lösung für das Textilproblem. Niemand hat die. Die | |
| französische Emmaüs-Gemeinschaft hat ausgerechnet, dass in Frankreich auf | |
| jeden Obdachlosen 1,4 Tonnen Kleiderspenden pro Jahr kommen. Wer soll das | |
| denn tragen? Die Leute spenden die Kleidung und geben damit die | |
| Verantwortung ab. Das ist ein Geschenk, aber auch eine Last. Der | |
| Textilhafen soll ein Ort sein, an dem wir die gewaltige Menge der | |
| Kleiderspenden sichtbar machen und damit auch unseren übermäßigen Konsum. | |
| Das heißt, Sie sortieren live vor Ort? | |
| Genau. Einen Teil der Kleidung, die nicht in die Kleiderkammer kommt, | |
| wollen wir für ein Euro das Stück verkaufen, Schuhe und Jacken für drei | |
| Euro. Damit wollen wir auch die Menschen ansprechen, die sich nicht in eine | |
| Kleiderkammer trauen. | |
| Und was wird aus dem, was so nicht weggeht? | |
| Dafür gibt es das Upcycling Lab, in dem wir zusammen mit Hochschulen, | |
| Privatpersonen, Unternehmen und Upcycling-Designern überlegen, was wir mit | |
| den Überschüssen, die hier entstehen, regional anfangen können. Da geht es | |
| um die Bewahrung der Schöpfung. Oder wenn Ihnen das zu christlich ist: um | |
| Nachhaltigkeit. Und um die Frage: Was kann jeder Einzelne, was kann ich | |
| tun, um Berlins Textilproblem zu lösen? | |
| Haben Sie schon Ideen? | |
| Eine Menge. Das fängt beim Sammeln an: Ich will wegkommen von den | |
| Sammelcontainern. Vorstellbar wäre, dass die Sachen zum Beispiel direkt an | |
| Schulen gesammelt und dann in Workshops von den Schülern sortiert und | |
| verwertet werden. Das schafft Bewusstsein. Eines meiner Lieblingsthemen ist | |
| das Downcycling von nicht mehr verwendbaren Textilien als Dämmmaterial im | |
| Baubereich. In Frankreich hat die Emmaüs-Gemeinschaft selbst eine Dämmung | |
| aus geflockten Alttextilien entwickelt und zertifiziert. Da sind wir auch | |
| dran – „die Berliner Flocke“, das wär’ doch was! Berlin-Souvenire aus | |
| Alttextilien sind auch eine Idee. Und ich träume von einem ganzen Kaufhaus, | |
| dem „Second-Warehouse Berlin“ – mit Verkauf und eigenen Werkstätten zum | |
| Upcycling. Textilien aus Berlin für Berlin. | |
| Große Pläne. | |
| Deshalb fangen wir mit dem Textilhafen jetzt erst einmal an. Die Berliner | |
| Stadtmission kann das gewaltige Textilproblem allein nicht lösen. Aber wir | |
| bieten einen Ort, an dem wir alle gemeinsam daran arbeiten können. | |
| 4 Jun 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Manuela Heim | |
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