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# taz.de -- Nachruf auf Wiglaf Droste: Radikaler Dichter, linker Großautor
> Der Welterklärer und Weltbeschimpfer Wiglaf Droste ist gestorben. Er hat
> die komische Kolumne auf ein Niveau gehoben, das sie vorher nicht hatte.
Bild: Kein netter Mensch, sondern Künstler: Wiglaf Droste
Wiglaf Droste war im Hauptberuf nicht netter Mensch, sondern Künstler. Ein
sehr guter, innovativer, mal sentimentaler, mal naiver Künstler, ein
Welterklärer, Weltbeschimpfer und nicht zuletzt Welterträglichmacher. Er
liebte die Schönheit und hasste diejenigen, die ihr Leben damit verbringen,
alles Große mit Kot zu bewerfen, weil sie um sich nur ertragen, was genauso
riecht wie sie.
Zum Beispiel die einstige FDP-Größe Jürgen Möllemann, dem Droste ebendiesen
üblen Geruch bescheinigte, als die beiden in einer Talkshow nebeneinander
zu sitzen kamen. Als Möllemann sich dann freiwillig aus dem Leben
verabschiedet hatte, schrieb Droste im Juni 2003 in der taz das Folgende,
was sich heute noch oder mehr denn je oder eben gerade wieder – aber lesen
Sie bitte selbst:
„Top-Toter blieb dennoch der am Donnerstag vor Pfingsten hart gelandete
Jürgen Möllemann. Sein letzter Sprung aus den Wolken wurde von vielen als
konstruktiver Vorstoß zur Lösung politischer Ärgernisse empfunden, doch die
deutlich fühlbare Erleichterung wurde mit aufgebügelter Pietät verhüllt.
Wer erst mal an der eigenen Verlogenheit Gefallen fand, der lässt so leicht
nicht mehr davon ab. Auch unsere Verschwörungstheoretiker kamen voll auf
ihre Kosten und konnten ihre Mordphantasien und -szenarien durch die Gegend
raunen. Der Propagandajournalist Jürgen Elsässer, nach eigener Einschätzung
‚Kriminalist (und Kommunist)‘, orakelte sich einen Zweiteiler aus dem
Kreuz, der mit einer Ankündigung endete. ‚In Kürze Teil III: Warum
Möllemann für Kinkel und Co. gefährlich war.‘ Flüster, flüster, walle,
walle.“
Wiglaf Droste hat in seinem mit 57 Jahren für einen deutschen Dichter gar
nicht so kurzen Leben einiges erreicht, was sich auch in Preisen und
Lobpreisungen niederschlug – und das, obwohl seine Hiebe schneidend und oft
gemein waren und saßen – und wie! Er hat die komische Kolumne auf ein
Niveau gehoben, das sie vorher nicht hatte, er war – wie Kurt Tucholsky das
von James Joyce sagte – sozusagen der Fleischextrakt, von dem sich noch
Generationen von Martensteins ihr fades Süppchen kochen können.
Die taz und Droste waren erst schwerst verknallt, dann routiniert
verheiratet und schließlich hasserfüllt geschieden, aber über diese
Beziehungsgeschichte sich zu äußern ist an anderen. Der Freitag, der Tag,
wenn seine Kolumne auf der Wahrheitsseite erschien, war jedenfalls für sehr
viele der einzige Wochentag, an dem sie zur taz griffen. Heute kennen ihn
jüngere KollegInnen oft nicht mehr.
## Autor mit „Carte blanche“
Wer aber aktuell manche Kolumnen auf der Seite 14 oder auf der Wahrheit
liest, wird unschwer erkennen, dass Droste Einfluss genommen hat, auf
Schreiberinnen und Schreiber, die mit dem wohlgesetzten bösen Wort den
Zumutungen der Herrschenden und ihrer Bediensteten entgegentreten. In den
1980er Jahren war Wiglaf Droste dabei selbst aktiver Teil der Kreuzberger
Autonomenszene und saß 1987 nach den ersten 1.-Mai-Krawallen zwei Wochen in
Untersuchungshaft, unangenehm für ihn vor allem deshalb, weil ihm sein
Anwalt regelmäßig von der letzten rauschenden Party erzählte, die er nun
leider schon wieder verpasst hatte.
Nicht zuletzt wegen seiner Radikalität schrieb Droste seit 2010 regelmäßig
für die Tageszeitung junge welt. Dort schätze man ihn sehr, er hatte „Carte
blanche“. Die Außenwirkung, die er früher erzielte, gab das nicht her.
Droste, das ist sehr wichtig, war einer der ganz wenigen, wenn nicht der
einzige linke Großautor, der, um dem begrenzten Umfeld der „Szene“ zu
entkommen, sich nicht zum billigen Geld hin und nach rechts orientierte, im
Gegenteil. Er wurde radikaler, auch trauriger, verspielter, verwunschener
und nun ja, auch schlicht älter.
Wiglaf Droste war ein nicht unglücklicher Westfale, ein genialer Polemiker,
ein begnadeter Vorleser und ein in die Musik verliebter Sänger, er schätzte
sehr die Wurst, wenn sie denn ihren schönen Namen verdiente, und alles was
kreuchte und fleuchte, wenn es noch nicht zu lang in der Auslage gelegen
hatte. Er war ein Trinker, mindestens, und wenn er Lust hatte, kochte er
sehr gut. Wenn er keine hatte, blieb die Küche kalt und alle Geladenen
standen bedröppelt um den sich bedingungslos abschießenden großen Mann.
## Ein Dichter lebt weiter
Droste liebte Dashiel Hammett, Peter Hacks und Jörg Fauser und machte
Bedeutendes aus seiner Liebe. Er füllte seit Anfang der 1990er mühelos die
Berliner Volksbühne mit seinem „Benno-Ohnesorg-Theater“, er schrieb ein
Buch nach dem anderen und tourte swingend mit dem „Spardosen-Terzett“ durch
alle Lande, die sich selbst für deutschsprachig halten.
Die deutsche Sprache war Drostes Kleinod, das er nicht spießig bewahren
wollte, sondern beständig und zärtlich und hartnäckig verführte, sich zu
immer neuen Höhen aufzuschwingen; in deren historische Tiefen er abtauchte,
um „ramentern“ und „Rabatten“ aus der Versenkung zu holen. Die Sprache …
eine Diva und wird es ihm nicht danken, das ist schon unsere Aufgabe.
Wiglaf Droste war ein Dichter. Und ein Dichter lebt weiter. Und deswegen
gibt es hier keinen Schlusssatz. Weil das, was Wiglaf ausmachte, nicht
vorbei ist – im Gegenteil.
16 May 2019
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Satire
Literatur
Kolumne Das bisschen Haushalt
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2024
Satire
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