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# taz.de -- Zum Tod von Wiglaf Droste: Der Tucholsky unserer Tage
> Großer Satiriker, Schriftsteller und Dortmund-Fan: In der Nacht zu
> Donnerstag ist Wiglaf Droste gestorben – ein Nachruf.
Bild: „Begrabt mein Hirn an der Biegung des Flusses“: Wiglaf Droste
Berlin taz | Wiglaf Droste wurde am 27. Juni 1961 in Herford entbunden, und
diese verheißungsvollste Katastrophe im Leben eines Menschen – die
Entbindung – sollte sich für ihn noch oft wiederholen. Allein die taz hat
ihn dreimal – von ihrer Medienseite, seiner Freitagskolumne und seinem Job
als Redakteur – entbunden.
Droste saß länger im Knast als Johnny Cash. 11 Tage in Moabit, nachdem er
zum 1. Mai ’88 als Reporter von engagierten Berliner Polizisten
knüppelharte Statements eingeholt hatte. 2100 Mark Geldstrafe wurden gegen
ihn verhängt, als er zehn Jahre später selbst über die Wunder der
Menschwerdung räsonierte: wie könne es kommen, „dass einer, der
wahrscheinlich als Mensch geboren wurde, das werden konnte – ein
Feldjäger“.
Droste kam, dafür gibt es Augenzeugen, nachweislich als Mensch zur Welt.
Und stellte sich fortan der ungleich schwierigeren Aufgabe, das auch zu
bleiben. Diese wenigen Pinselstriche genügen bereits, zu zeigen, wir hart
es sein kann, einen ausgewachsenen Droste als Mensch durch die Zeit zu
bringen.
Wie der Name schon sagt: Wiglaf. Das Lied vom „Boy named Sue“ des für
Droste sehr respektablen Johnny Cash erzählt die Geschichte eines vaterlos
aufwachsenden Jungen. Ihm wurde der Mädchenname „Sue“ übergeholfen, damit
er trotzdem ein harter Killer würde.
## Kurzer Aufenthalt an der Universität
A boy named Wiglaf folgte diesem Gesetz gleich mit seiner ersten
Singleveröffentlichung, dem legendären „Grönemeyer kann nicht tanzen“: D…
Mann heißt mit vollem Namen Herbert Arthur Wiglev Clamor Grönemeyer,
tatsächlich auch: Wiglev, und das klingt schon stark nach „this town ain’t
big enough for the both of us“. Jedenfalls war damit auch der Musiker,
Sänger, Rezitator Droste auf der Welt, der später mit dem
Spardosen-Terzett, Danny Dziuk, Funny van Dannen musizierte.
Wiglaf durchfurchte schadlos die Schulhofrufe nach westfälisch „Wiechlaff“
oder kurz „Wiggi“. Bei Harry Potter taucht noch ein Wiglaf auf, und in der
altsächsischen Beowulf-Sage. Dort ist es der junge schwedische Recke, der
dem Titelhelden beim Angriff auf den Drachen als einziger zur Seite steht.
Wäre dies die wahre Wurzel der Benamung, hätte die Familie Droste einen
anderen Sohn auch gleich Beowulf nennen können. Was sie taten.
An der Berliner Universität hielt sich Droste knapp länger auf als im
Moabiter Knast. Nach fünf Wochen „Publizistik und
Kommunikationswissenschaften“ entließ er die Uni in eine ungewisse Zukunft.
Im März ’88 beging der taz-Lokalteil den Internationalen Frauentag mit der
Abbildung einer Banane in einer Vagina. Was wiederum die weibliche
Belegschaft der taz mit einem „Frauenstreik“ beging. Worauf wiederum der
just erst angedockte Droste seiner Aufgaben ledig war und sich der
Erfindung des Poetry Slams widmen konnte.
## Lesungen mit Saalschutz
Nachdem ein Autor im Blatt eine überfüllte Disco als „gaskammervoll“
beschrieben hatte, wofür es damals überraschend keinen Echo-Musikpreis gab,
versuchte Droste dem Kollegen beizustehen und kommentierte den Streit als
„Endlösung der Dudenfrage“. Im „Cafe Central“ am Nollendorfplatz
begründeten die taz-Dissidenten daraufhin die „Höhnende Wochenschau“, eine
papierlose Zeitung, von Autoren tagesaktuell ins Publikum gelesen;
Jahrzehnte bevor der moderne „Dichterwettstreit“ der Textindustrie jäh die
Milch einschießen ließ.
„Kommunikaze“ betitelte er sein erstes Buch um diese Zeit herum; da es
inzwischen über dreißig sind, könnte man ihm auch einen Literaturpreis nur
für die besten Buchtitel verpassen: „Begrabt mein Hirn an der Biegung des
Flusses“, „Die schweren Jahre ab 33“, „Auf sie mit Idyll“ oder „Die…
des Menschen ist ein Konjunktiv“. Das riecht nach Erfolg, die Zeit
adeltadelte Droste als „linksradikale Skandalnudel“ und „Heimatdichter der
linken Szene“. – Sowas konnte nicht ungesühnt bleiben.
In die Titanic drosch Droste seinen Text vom „Schokoladenonkel“, plädierte
wuchtig, nicht jeden Mann mit Schokolade am Kinderspielplatz zum
Sexverbrecher hochzufiebern. Und reichte damit recht eigentlich den
mäßigenden Stimmen in der Mißbrauchsdebatte ritterlich den Arm.
Buttersäureanschläge, Mahnwachen, Schlägereien bei Lesungen, Steckbriefe,
drei Veranstaltungen gesprengt, zwei Veranstalter kniffen. Wiglaf musste
hinnehmen, dass er, der erfahrene Beamten- und Bundeswehrbeleidiger, unter
Saalschutz las.
## Morgens um sechs ist die Welt auch noch in Dortmund
Er ficht mit dem Säbel, sticht mit dem Florett, schrieben Rezensenten, und
zugleich bestaunte man die jähe Wut, die aus Droste hervorbrach, wenn der
Rest der Welt gesinnungsgemütlich im Eigenmief dämmerte. Er war eben kein
Kirmesschläger, der sich vom Gaudium des Publikums zum Schlachtfest
anstacheln ließe. Wo andere zaghaft ein Fenster spaltbreit öffnen, sprang
er hindurch, und was dann hinterher blutet, ist nicht selten er selbst.
Warum er das tut – Gewalt wittert, wo andere noch schunkeln; gewaltig
austeilt, wo der sanfte Ordnungsruf als Hochliteratur gilt – das wurzelt in
Wiglafs Wissen um Verletzung.
Droste mochte, wie die Süddeutsche schrieb, „der Tucholsky unserer Tage“
sein – ganz sicher beherrscht er die Zärtlichkeit des Holzhammers, ist ein
Hooligan der Inbrunst, und manchmal leider untröstlich und
selbstzerstörerisch im falschen Trost. Sehen Sie Wiglaf Droste in seiner
Lebensrolle als: „Der Unumarmbare“.
Doch morgens um sechs ist die Welt noch in Dortmund. Womit die abseitigen
Neigungen des Preisträgers in einer Nussschale summiert sind: Borussia
Dortmund, Wortspiele, und früh aufstehen. Ein Mann, der unverdrossen einen
BVB-Anstecker an allen Konfektionsgrößen seines diesbezüglich
abwechslungsreichen Lebens getragen hat, erlebt den Ballspielverein als
eine Welt des guten Glaubens und der Hoffnung auf auch in dieser Höhe
verdiente Auswärtssiege – leider in den Händen der falschen
Geschäftsführung.
## Von der Köstlichkeit der Worte
Das ähnelt Wiglafs Blick auf den Rest des Universums. Mitunter noch vor
sechs Uhr gibt er sich die Ehre, den ersten Sonnenstrahl eines liebevollen
Gedankens ungehemmt durch sich hindurch auf’s Papier fluten zu lassen: Über
gutes Essen, über wundervolle Frauen. Oder er räumt umsichtig einen
aktuellen Sprachunfall von der Straße, noch bevor wir daran verunglücken
können. Oder er liebt einfach: Peter Hacks, Dashiell Hammett, Vincent Klink
oder den großen Mitelch Harry Rowohlt.
Dessen ehernes Gesetz, wonach man sich dereinst für jeden ausgelassenen
Kalauer vor Gott zu verantworten habe, reicht Wiglaf großzügig an Freunde
aus, ein Rettungsring für strauchelnde Dichter. Droste selbst, das sei
bitte durch die heutige Würdigung mitbeschieden, macht keine Kalauer;
vielmehr werden durch ihn Formulierungen zu Drostizismen.
Klassiker wie die von den „leider nicht mehr sterblichen Gefährten“ wie
eben Rowohlt, Meisterschmähungen gegen eine Welt voller „Friseure, die sich
für Gehirnchirurgen“ ausgeben. Und köstlich, wenn das von Wiglaf Gemeinte
sich Bahn bricht aufs Papier ohne Rücksicht auf den dann lächerlichen
Umstand, dass es diese Worte vorher noch gar nicht gegeben hat: „gneisen“,
oder „jabbeln“ schrieb er – nein, er „schrub“, oder wie Sigmar Gabrie…
sich hin leberwurstet“, oder eben Feldjäger mit „Waschbrettköpfen“.
## Ein „Häuptling Eigener Herd“
In seiner dann plötzlich letzten Kolumne in der taz beschrieb er diesen
göttlichen Moment der Wortwerdung: „Es kam aus dem Leben selbst zu mir,
legte sich auf meine Zunge und verlangte, als Wort geboren zu werden. Ich
erfüllte dem Wort seinen Wunsch, sprach es aus und entließ es in die Welt:
Trittbrettficker“. Die Kolumne erschien dann bereits in der Jungen Welt,
für deren Feuilleton er seither fest frei schrieb.
Die Wuchtschmähung „Trittbrettficker“ münzte er auf die „Gesellschaft f…
deutsche Sprache“, der als „Wort des Jahres 2006“ nur „Fanmeile“
eingefallen war. Wiglaf hingegen war der Solitär für deutsche Sprache, ein
„Häuptling Eigener Herd“ im Sprechen und Schreiben wie im Speisen.
Mit Vincent Klink versah er diese Papier gewordene Appetitlichkeit viele
Jahre, dichtete über Wurst, Wein, Weihnachten. Die „kulinarische
Kampfschrift“ erschien so „vierteljährlich wie möglich“, denn man kann
nichts schreiben, was man nicht gegessen hat. Da schwärmte der drastische
Droste, dichtete Hymnen, ließ einem Wasser in Mund und Augen treten.
Hier also umarmte Wiglaf Droste – in der Kunst, in der Literatur, der
Musik, in der Küche und im Lieben und im Leben. An diesen Mut zum Guten,
den Wiglaf vorlebte, werden wir uns unerschrocken halten. In der Nacht von
Mittwoch auf Donnerstag ist Wiglaf Droste gestorben.
Dieser Text basiert auf einer Laudatio zur Verleihung des „Göttinger
Elches“ im Jahr 2018.
16 May 2019
## AUTOREN
Friedrich Küppersbusch
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Maxim Biller
Punk
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