Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Zukunft des Musikfestivals: Frage der Fusion
> Polizei und Veranstalter streiten heftig über die Sicherheitsvorkehrungen
> auf dem Festival. Mitte nächster Woche soll die Entscheidung fallen.
Bild: Symbol der Fusion: Hangar auf dem ehemaligen Flugplatz in Lärz
Noch am 15. April sah es so aus, als ob die Fusion dieses Jahr nicht
stattfinden würde. Denn gut zehn Wochen vor Beginn des Musikfestivals
verweigerte das Polizeipräsidium Neubrandenburg die Genehmigung des
Sicherheitskonzeptes – zum ersten Mal in über zwanzig Jahren.
Fusion gegen Polizei, das wurde schnell zu einem viel beachteten Konflikt,
bei dem die Frontlinien nicht so liegen, wie man vielleicht vermuten würde.
Mitte kommender Woche soll sich entscheiden, wie er ausgeht.
Polizeipräsident Nils Hoffmann-Ritterbusch bemängelte, dass bundesweite
Sicherheitsstandards nicht eingehalten würden und forderte eine mobile
Polizeiwache auf dem Festivalgelände. Das geht aus einem Schreiben an das
zuständige Ordnungsamt hervor, das der taz vorliegt. Für die Veranstalter,
den Kulturkosmos Müritz e.V., ist die dauerhafte Präsenz der Polizei auf
dem Gelände keine Option. „Uns ist es wichtig, dass die Gäste frei sein
können auf unserem Festival“, sagte Jonas Hänschel, einer der
Veranstalter. „Die dauerhafte Anwesenheit der Polizei empfinden wir dabei
als Repression.“
Frei sein heißt für die Gäste vor allem tanzen, feiern und campen. Seit
1997 treffen sich die Festivalgänger*innen jährlich Ende Juni/Anfang Juli
auf einem ehemaligen russischen Militärflugplatz in der mecklenburgischen
Gemeinde Lärz. Was als kleiner Rave begann, ist mittlerweile ein Festival
mit 70.000 Besucher*innen unter dem Motto „Vier Tage Ferienkommunismus“.
Auf 28 Spielstätten läuft vor allem elektronische Musik, es gibt ein Kino
und ein Theater sowie Performancekunst und Diskussionsveranstaltungen. Das
Line-up ist im Vorfeld nicht bekannt, das Essen vegetarisch oder vegan, das
Festival kommt ohne Werbung und Sponsoren aus und positioniert sich klar
gegen rechts. Mit diesem Konzept und dieser Größe ist das Fusion-Festival
einzigartig in Deutschland. Doch daran könnte sich jetzt etwas ändern.
Seit November 2018 steht die Forderung einer Polizeiwache auf dem
Festivalgelände im Raum. Der Kulturkosmos hatte sie in sein erstes
Sicherheitskonzept, das er fristgerecht bis zum 28. Februar eingereicht
hatte, nicht mit aufgenommen. Sein Kompromissvorschlag: Statt direkt auf
dem Gelände sollten die Beamten eine Wache vor dem Gelände erhalten, für
alle gut zu erreichen und genügend ausgeschildert. Anlassbezogen dürfte die
Polizei auch auf das Gelände.
Doch an einem Kompromiss schien der Polizeipräsident zu diesem Zeitpunkt
nicht interessiert. Hoffmann-Ritterbusch wollte nicht von seiner Wache
abweichen und begründete das mit der Beteiligung „politischer, in Teilen
hoch gewaltbereiter Personen“.
## Friedlich feiern
Doch seine Sorge scheint unbegründet. Bisher kam das Festival ohne Polizei
auf dem Gelände aus, rund 10.000 Mitarbeiter*innen und freiwillige
Helfer*innen sorgten für Sicherheit. Und das ziemlich erfolgreich. Sowohl
die Veranstalter*innen als auch die Polizei beschreiben das Festival als
friedlich, es hieß immer, die Veranstaltung sei „ohne besondere
Vorkommnisse“ verlaufen. 2,5 angezeigte Gewaltdelikte gibt es im Schnitt
pro Festival bei 70.000 Gästen.
Einzig bei den Kontrollen, die die Polizei bei der An- und Abreise der
Festivalgäste durchführt, wurden wenige hundert Autofahrer*innen mit
Alkohol oder Drogen im Blut festgestellt. 2018 gab es zusätzlich in 263
Fällen Strafanzeigen wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz.
Es ist kein Geheimnis, dass Drogen für viele Festivalbesucher*innen zur
Freiheit dazugehören.
Doch dreht sich darum der nun wochenlange Streit zwischen Polizei und dem
Veranstalter? Es scheint eher ein Kräftemessen dahinter zu stecken. Für die
Fusion geht es um einen Freiraum und ein linkes Kulturgut, das erhalten
bleiben soll. Worum es dem Polizeipräsidenten geht, lässt sich nur
mutmaßen, konkret gesagt hat er das nie. Katja Kipping vermutet in einem
Gastkommentar für die taz, dass Innenminister Lorenz Caffier, ein enger
Vertrauter von Hoffmann-Ritterbusch, sich „im populistischen Kontrollwahn
gegen die linke Fusion offenbar sein eigenes Denkmal setzen“ wolle. Kurz
vor der Kommunalwahl am Sonntag ist das zumindest nicht auszuschließen.
Nachdem das Ordnungsamt am 3. Mai dem Fusion-Festival die Genehmigung
untersagte, suchte der sonst etwas pressescheue Kulturkosmos den Weg in die
Öffentlichkeit. Es folgten: Presseberichte, ein Newsletter und die Petition
„Für die Freiheit von Kunst und Kultur! Gegen anlasslose Polizeipräsenz auf
friedlichen Kulturveranstaltungen“ mit mittlerweile knapp 136.000
Unterschriften.
Und auch so scheinen viele auf Seite der Fusion zu stehen. In grüner Jacke
posiert Cem Özdemir vor dem Symbol des Festivals, einem grasbewachsenen
Hangar mit einer meterhohen Rakete. Dazu schreibt der ehemalige
Grünen-Vorsitzende auf Twitter: „Das größte unkommerzielle, alternative
Kulturfestival Europas muss bleiben.“
## CDU-Bürgermeister solidarisch
Auch der ehrenamtliche Bürgermeister Lehmann (CDU) zeigt sich solidarisch.
Bei einer Demo der Anwohner*innen von Lärz gegen die Polizeistation
unterstellt Lehmann der Polizei, dass sie ein fiktives Bedrohungsszenario
aufbaue, das es gar nicht gebe und spricht sich gegen eine Wache auf dem
Gelände aus.
Doch mittlerweile ist bekannt: Es geht dem Polizeipräsidium um mehr. Ein
Polizeipapier, datiert auf den 12. März, das der taz vorliegt und über das
Zeit Online Anfang der Woche berichtet hatte, zeigt, dass die Polizei einen
Großeinsatz bei der Fusion plant. Mit bis zu 1.000 Einsatzkräften,
Wasserwerfern und Raumpanzern sowie zivilen Beamten auf dem Gelände – sogar
Bundeswehrkräfte sollen zum Einsatz kommen, um eine Zufahrt zur
Polizeiwache auf dem Gelände aufzubauen. Alles, um „Gefahren für die
Festivalbesucher frühzeitig zu erkennen und abzuwehren“, so steht es im
Papier.
Zudem liegt der taz die Bachelorarbeit einer Polizeischülerin der
Fachhochschule Güstrow vor, in der mögliche Einsatzverfahren der Behörden
auf dem Fusion-Festival untersucht wurden. Angeregt wurde die
Abschlussarbeit offenbar vom Polizeipräsidium Neubrandenburg, noch bevor es
ein erstes Sicherheitskonzept von der Fusion gegeben habe.
Darin kommt die Verfasserin zu dem Schluss: „Aufgrund der Größe der
Veranstaltung und im Hinblick auf Teilnehmerzahlen, die zur Zeit abstrakt
vorherrschende terroristische Bedrohungslage, die Dauer der Veranstaltung
sowie die Größe des Veranstaltungsgeländes und die jederzeitige Gefahr von
Unwettern besteht ein Gefahrenpotenzial, das die Anwesenheit der Polizei
zur Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags erfordert.“ Doch was die Polizei
genau auf dem Gelände tun und wie sie dort Sicherheit garantieren soll,
geht aus der Arbeit nicht hervor.
## Sensible Daten weitergegeben
Im Zuge der Erstellung der Abschlussarbeit wurde auch das
Sicherheitskonzept der Fusion, erstellt vom Kulturkosmos, der Verfasserin
zur Verfügung gestellt. Darin sind unter anderem sensible Daten wie Namen
und Telefonnummern der Veranstalter und privater Ordnungsdienste enthalten.
Diese Daten liegen jetzt auch Ulf-Theodor Claassen vor, dem Betreuer der
Abschlussarbeit, ehemaliges AfD-Mitglied und wegen gefährlicher
Körperverletzung verurteilter Straftäter. Laut einer Polizeisprecherin habe
die Verfasserin die Unterlagen vom zuständigen Polizeirevier Röbel und der
Polizeiinspektion Neubrandenburg erhalten.
Nachdem Zeit Online über die Pläne zum Großeinsatz der Polizei berichtet
hatte, forderte der FDP-Kreisverband Mecklenburgische Seenplatte nur wenige
Stunden später die unverzügliche Entlassung des Neubrandenburger
Polizeipräsidenten, sollte an den Plänen festhalten werden. Noch am
gleichen Tag teilt das Polizeipräsidium Neubrandenburg öffentlich mit, dass
es keine Raumpanzer oder Wasserwerfer geben wird.
Auf Anfrage der taz wenige Tage später wird es noch konkreter: „Die
Einsatzkonzeption vom 12. 3. ist nicht mehr aktuell“, sagt eine
Pressesprecherin. Eine finale Einsatzkonzeption liege zwar noch nicht vor,
doch eine dauerhafte Präsenz der Polizei auf dem Gelände sei möglicherweise
nicht mehr erforderlich, wenn die Veranstalter der Polizei Zutritt zum
Festivalgelände verschafften. Ein Schritt in Richtung Kompromiss?
## Nachforderungen vom Ordnungsamt
Das hatten auch die Veranstalter gehofft. Nachdem sie am 16. Mai ihr
überarbeitetes Sicherheitskonzept abgegeben hatten, gingen sie davon aus,
dass es nun diese Woche genehmigt würde. Stattdessen gab es weitere
Nachforderungen vom Ordnungsamt Röbel-Müritz – das am Ende die Genehmigung
erteilen kann.
Vier Stunden saß der Kulturkosmos am späten Donnerstagabend zusammen, um
die Auflagen zu erfüllen. „Es ist wirklich ärgerlich und fühlt sich für u…
auch nach Schikane an. In den neuen Forderungen geht es um viele kleine
redaktionelle Nachfragen, aber auch um Punkte, die bisher nie zu Wort
gekommen sind“, sagt Martin Eulenhaupt vom Kulturkosmos.
Eine Polizeiwache und die anlasslose Bestreifung durch die Polizei sind nun
mittlerweile wohl aber keine Bedingungen mehr für die Genehmigung des
Sicherheitskonzeptes – stattdessen geht es jetzt um Ordnerstrukturen. „Alle
Punkte erscheinen uns erfüllbar. Wir werden, wie gefordert, das
überarbeitete Konzept am Montag abgeben und am Mittwoch sollte das Konzept
dann so genehmigt werden.“
Am Freitagnachmittag beschäftigt sich auch der Landtag von
Mecklenburg-Vorpommern auf Antrag der Linken mit dem Fusion-Festival. Diese
fordern das Ordnungsamt und das Polizeipräsidium auf, nach einem Kompromiss
beim Sicherheitskonzept zu suchen.
Ob ein Kompromiss gefunden wird, mit dem sich am Ende alle zufrieden geben
können, entscheidet sich also Mitte nächster Woche. Vier Wochen vor dem
geplanten Festival wird feststehen, ob auch dieses Jahr „vier Tage
Ferienkommunismus“ stattfinden können.
25 May 2019
## AUTOREN
Carolina Schwarz
## TAGS
Fusion
Musikfestival
Open-Air-Festival
Polizei
Schwerpunkt #metoo
Musikfestival
Loveparade
elektronische Musik
Fusion
Fusion
Fusion
Fusion
## ARTIKEL ZUM THEMA
Spannervideos bei Fusion Festival: (K)ein Ort für sexualisierte Gewalt
Auf der Fusion soll heimlich in Duschen gefilmt worden sein. Es ist der
zweite bekannte Fall eines linken Festivals. Wie kann es Schutz geben?
Polizei auf dem Fusion-Festival: Polizei- und störungsfrei
Ein Wildunfall, zwei Fundsachen: die Polizei hatte beim Fusion-Festival
wenig zu tun. Überschattet wird das Festival jedoch von einem Todesfall.
Die Wochenvorschau für Berlin: Entspannt lesen im Park
Das Sommerloch klafft, es bleiben oft nur Festivals. Aber übermäßiger
Hautkontakt und Bierkonsum ist halt nicht jedermanns Sache.
Dokumentation über das Musikgeschäft: Drogen statt Jugend
Die Musikerin Uffie war in den 2000er-Jahren ein großer Myspace-Hype. „Fuck
Fame“ erzählt ihre Geschichte als Psychogramm eines Internetstars.
Fusion-Festival findet statt: Auf zum Ferienkommunismus!
Nach wochenlanger Auseinandersetzung wird das Fusion-Festival nun
stattfinden – und zwar ohne Polizei. Das neue Sicherheitskonzept ist
genehmigt.
Polizei auf dem Fusion-Festival: Keine Wasserwerfer gegen Raver
Räumpanzer und Wasserwerfer – das sahen Pläne der Polizei für das
„Fusion“-Festival vor. Jetzt rudert sie zumindest bei diesen beiden Dingen
zurück.
Kommentar Polizei und „Fusion“-Festival: Kanonen gegen Konfetti
Die Sicherheitsbehörden bereiten sich auf das „Fusion“-Festival vor wie auf
einen Aufstand. Dahinter verbirgt sich ein Kulturkampf.
Anwohner-Demo für das Fusion-Festival: Ein Ort der Freiheit
In Mecklenburg-Vorpommern haben am Sonntag Anwohner gegen eine Polizeiwache
auf dem Gelände des Fusion-Festivals protestiert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.