| # taz.de -- Gesetzentwurf zur Grundrente: Rente wird frisch frisiert | |
| > Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat einen Gesetzentwurf für eine neue | |
| > Grundrente vorgelegt. Aus der Union kommt scharfe Kritik. | |
| Bild: Eine Friseurin bekommt nach 40 Jahren Arbeit aktuell eine monatliche Rent… | |
| Berlin taz | Die Grundrente ist eines der wichtigsten Projekte der SPD. | |
| Niedrigverdiener, die 35 Jahre lang gearbeitet haben, müssten im Alter mehr | |
| Geld als die Grundsicherung bekommen, das betonen SozialdemokratInnen seit | |
| Monaten. | |
| Arbeitsminister Hubertus Heil hat am Mittwoch einen detaillierten Vorschlag | |
| vorgelegt. Die Grundrente sei ein „Ausdruck des Respekts vor Lebensleistung | |
| und ein wesentlicher Beitrag im Kampf gegen Altersarmut“, sagt Heil. Der | |
| Gesetzentwurf wurde am Dienstagabend ins Kanzleramt geschickt und geht | |
| jetzt in die Ressortabstimmung. | |
| Kern der Reform wäre eine neue Grundrente: Wer mindestens 35 Jahre lang | |
| gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat, soll im Alter mehr | |
| bekommen als die Grundsicherung. Diese Grundrente würde von der | |
| Rentenversicherung automatisch an alle bezahlt, die infrage kommen. Eine | |
| Bedürftigkeitsprüfung gäbe es nach dem Willen der SPD nicht. BezieherInnen | |
| müssten also nicht ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenlegen. | |
| Die Reform zielt auf NiedrigverdienerInnen oder Leute mit unterbrochenen | |
| Erwerbsbiografien. Profitieren würden laut Arbeitsministerium drei | |
| Millionen RentnerInnen, 80 Prozent davon [1][Frauen]. Die Aufschläge würden | |
| variieren. Eine Friseurin, die 40 Jahre auf dem Niveau von 40 Prozent des | |
| Durchschnittslohns gearbeitet habe, komme derzeit auf eine monatliche Rente | |
| von 512,48 Euro, rechnet das Ministerium vor. Mit der Grundrente käme sie | |
| auf 960,90 Euro im Monat. Bei anderen Erwerbsbiografien fiele der Aufschlag | |
| deutlich niedriger aus. | |
| ## Feldzug der Bürokratie gegen die BürgerInnen | |
| Dass die Große Koalition Heils Vorschlag 1:1 umsetzt, ist so gut wie | |
| ausgeschlossen. Aus der Union kommt scharfe Kritik. Ein Knackpunkt ist die | |
| Bedürftigkeitsprüfung. Auf eine solche haben sich CDU, CSU und SPD im | |
| Koalitionsvertrag geeinigt. Mit ihr sänken die Zahl der Begünstigten und | |
| die Kosten deutlich. Die SPD argumentiert, dass Menschen, die ein Leben | |
| lang gearbeitet hätten, nicht dazu gezwungen werden dürften, sich vor dem | |
| Sozialamt zu erklären. | |
| „Bei der Bedürftigkeitsprüfung werden schon finanzielle Rücklagen ab 5.000 | |
| Euro angerechnet oder ein kleines Eigenheim“, heißt es in einem Papier des | |
| Arbeitsministeriums. Eine Bedürftigkeitsprüfung sieht man in Heils Haus | |
| deshalb als „Feldzug der Bürokratie gegen die BürgerInnen“. Alle | |
| RentnerInnen müssten angeschrieben und zur Offenlegung ihrer | |
| Vermögensverhältnisse angehalten werden. Dies, so die Botschaft, sei für | |
| gebrechliche 90-Jährige unzumutbar. | |
| In der Union sieht man das anders. CSU-Landesgruppenchef Alexander | |
| Dobrindt wirft der SPD unseriöse Zahlengaukelei vor. Ein Modell ohne | |
| Bedürftigkeitsprüfung widerspreche dem Koalitionsvertrag. Außerdem wird vor | |
| dem Gießkannen-Prinzip gewarnt. So ist zum Beispiel die Rede von der | |
| sprichwörtlichen Zahnarztgattin mit kleiner Rente, die von der Grundrente | |
| profitiere, obwohl sie sie nicht nötig habe. Bei der SPD hält man dagegen, | |
| dass das Zahnarzt-Paar ja in diesem Fall mehr Steuern zahlen müsste. | |
| Ein weiterer Knackpunkt sind die Finanzen. Heil lobt die „solide“ | |
| Finanzierung seines Vorschlags. Das ist – vorsichtig gesagt – optimistisch. | |
| Die Grundrente würde 2021 rund 3,8 Milliarden Euro kosten, in den | |
| Folgejahren stiege dieser Betrag an – 2025 wären 4,8 Milliarden fällig. | |
| Heil hat mit Finanzminister Olaf Scholz (ebenfalls SPD) eine Finanzierung | |
| ausgetüftelt, die für die Union eine Provokation ist. | |
| ## Harte Kanten sind nicht zu vermeiden | |
| Beide SPDler wollen die Senkung der Umsatzsteuer für Hoteliers | |
| zurücknehmen, die die schwarz-gelbe Koalition 2009 beschlossen hatte. Die | |
| Rücknahme der Steuersenkung, auch „Mövenpick-Steuer“ genannt, würde 700 | |
| Millionen Euro im Jahr bringen. Außerdem planen Heil und Scholz Einnahmen | |
| von 500 Millionen Euro aus der Finanztransaktionssteuer ein, die im Sommer | |
| europäisch vereinbart werden soll. Ob das klappt, ist noch nicht sicher. | |
| Der Großteil käme aus Steuermitteln. Heil plant für 2025 einen | |
| Bundeszuschuss von 3,4 Milliarden Euro. | |
| Die Union hat in vergangenen Wahlkämpfen versprochen, keine | |
| Steuererhöhungen zuzulassen. Eine Rücknahme der Umsatzsteuersenkung für | |
| Hoteliers wäre aber nichts anderes. Wirtschaftsminister Peter Altmaier | |
| (CDU) weist die SPD-Pläne strikt zurück. Notwendig seien seriöse | |
| Finanzierungen und keine „Luftbuchungen“. Der Vorschlag der SPD lasse mehr | |
| Fragen offen, als er beantworte. „Deshalb appelliere ich an die SPD, diesen | |
| Vorschlag zurückzuziehen“, sagt Altmaier. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak | |
| kündigt an, das Gesetz werde „so nie den Bundestag passieren“. | |
| Heils Vorschlag hat aber noch [2][andere Schwächen]. Ein Beispiel ist die | |
| harte Grenze der 35 Beitragsjahre. Sie produziert in der Realität große | |
| Widersprüche. Eine Frau mit vermögendem Partner, die 35 Jahre lang Teilzeit | |
| gearbeitet hat, bekäme die Grundrente – Stichwort: Zahnarztgattin. Ein | |
| Lagerarbeiter mit Vollzeitjob, der aus welchen Gründen auch immer nur auf | |
| 34 Beitragsjahre kommt, aber nicht. Gerade in SPD-Milieus werden solche | |
| Ungerechtigkeiten sehr genau registriert. | |
| Im Arbeitsministerium ist man sich dessen bewusst. Man habe eine flexiblere | |
| Variante „ernsthaft“ geprüft, heißt es dort. Würde die Grundrente schon … | |
| 30 Beitragsjahren ausgezahlt, würde die Reform einen „erheblichen, | |
| dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr“ mehr kosten. Profitieren würden vor | |
| allem Frauen in Westdeutschland. Aber im Ministerium heißt es auch: Harte | |
| Kanten seien in der Rentensystematik nicht zu vermeiden. | |
| ## Es gibt noch Spielraum für Verhandlungen | |
| Wie weiter? Heil gibt sich optimistisch. Er setzt darauf, dass die | |
| Koalition im Sommer „vernünftig“ verhandele und zu einer Lösung komme. Die | |
| Grundrente, so sein Ziel, solle bis zum 1. Januar 2021 in Kraft treten. Ob | |
| das klappt, ist offen. Um einen Kabinettsbeschluss zu ermöglichen, muss er | |
| erst die Union überzeugen. Das ist nicht ohne Änderungen denkbar. | |
| CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Kanzlerin Angela Merkel haben | |
| schon betont, dass die Reform nur mit Bedürftigkeitsprüfung kommen werde. | |
| Allerdings gibt es Spielraum für Verhandlungen. Heils Konzept sieht weitere | |
| Verbesserungen für RentnerInnen vor, die eher kompromissfähig sind. So soll | |
| ein Freibetrag in der Grundsicherung eingeführt werden – 25 Prozent der | |
| individuellen Rente würden dann nicht auf die Grundsicherung im Alter | |
| angerechnet. Auch eine „Bedürftigkeitsprüfung light“ ist denkbar, bei der | |
| Vermögen und Immobilien geschützt wären. | |
| 22 May 2019 | |
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| [1] /Ostrenten-und-Altersarmut/!5593997 | |
| [2] /Kommentar-zur-SPD-Grundrente/!5594084 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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