# taz.de -- Gastkommentar USA-Iran-Konflikt: Steilvorlage für Teheran | |
> Mit ihrer Eskalationsstrategie gegenüber Iran liegen die USA grundfalsch. | |
> Die möglichen Folgen sind hochgefährlich. | |
Bild: Die Gefahr einer Eskalation ist hoch und die Geschichte der US-iranischen… | |
Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass ein Krieg mehr oder | |
weniger aus Versehen beginnt: Die Eskalationsspirale, die im Streit | |
zwischen den USA und Iran [1][immer weiter gedreht wird], lässt befürchten, | |
dass irgendjemand irrtümlich auf den falschen Mann schießt. Deshalb sind | |
die aktuellen Entwicklungen – das Ultimatum Irans gegenüber der EU, deren | |
umgehende Zurückweisung, der Abzug von US-Botschaftspersonal aus dem Irak – | |
so besorgniserregend. | |
Aber wäre es wirklich ein Versehen? US-Präsident Donald Trumps | |
Sicherheitsberater John Bolton sagt seit 20 Jahren, er wolle einen | |
Regime-Change in Iran. Zudem ist er einer der wichtigsten Architekten des | |
Irakkrieges, vor allem auch der Architekt der Lügen, die zum Krieg führten. | |
Trump selbst ist zwar eigentlich gegen eine militärische Intervention, hat | |
aber dennoch laut darüber nachgedacht – und ist ohnehin grundsätzlich | |
unberechenbar. Schwer zu sagen, ob er nicht letztendlich doch Bolton folgen | |
würde. | |
Die Gefahr einer tatsächlichen Eskalation ist auch deswegen so hoch, weil | |
die Geschichte der iranisch-amerikanischen Beziehungen so entwicklungsreich | |
ist. Genau wie Washington und auch die US-amerikanische Bevölkerung Iran | |
wohl niemals werden verzeihen können, dass Iran einst US-Diplomaten 440 | |
Tage lang als Geiseln nahm, so ist auch im historischen Gedächtnis der | |
Iraner eingraviert, dass die CIA 1953 zur Wahrung ihrer eigenen | |
Ölinteressen den bislang einzigen demokratisch gewählten Präsidenten Irans | |
stürzte. Mohammad Mossadegh hatte den in US-amerikanischen Augen schweren | |
Fehler begangen, das iranische Erdöl zu verstaatlichen. | |
## Die USA wissen nicht, was sie tun | |
Irans Bevölkerung aber stand hinter ihrem Präsidenten. Diese Einmischung | |
hat sie nie vergessen, und daran wird sie auch immer wieder erinnert. Das | |
„marg bar emrika“, „nieder mit den USA“, das immer noch jeden Freitag n… | |
dem Freitagsgebet gerufen wird und an prominenter Stelle in Teheran auf | |
einer Hausmauer steht, hat hierin seinen Grund. Wegen dieses historischen | |
Gedächtnisses und vor allem aufgrund des massiven Drucks, der jetzt von | |
außen aufgebaut wird, schließen sich auch heute die Reihen eher hinter dem | |
Regime. | |
Durch die gegenwärtige Eskalationsstrategie der Vereinigten Staaten | |
bekommen die Falken in Teheran Auftrieb. Schon immer haben sie, die | |
Hardliner, gesagt, man könne mit den USA nicht reden, weil diese Regierung | |
nicht vertrauenswürdig sei und vertragsbrüchig werden würde. Die USA | |
wiederum haben einen Vertrag aufgekündigt, den Iran nachweislich nicht | |
gebrochen hat. | |
Die Atomenergiebehörde hat immer wieder bescheinigt, dass Teheran sich an | |
das Atomabkommen halte. Insofern hat sich Iran nichts zu schulden kommen | |
lassen. Genau dies wird von den Falken in Teheran als Argument gegen Rohani | |
und die USA genutzt – eine Steilvorlage seitens der Amerikaner. | |
Die USA wissen aber offenbar nicht wirklich, was sie im Nahen Osten | |
eigentlich tun. Selbst wenn Donald Trump mit der Äußerung recht haben | |
sollte, [2][dass das Atomabkommen ein schlechter Vertrag gewesen sei], | |
selbst wenn Iran Teil des Problems im Nahen Osten ist, ist es trotzdem Teil | |
der Lösung. Man muss sich mit den Akteuren in Iran zusammensetzen, man muss | |
alle Beteiligten an einen Tisch bringen. | |
## „Das ist unser Mann am Golf“ | |
Aber so, wie Trump derzeit vorgeht, wird das nicht funktionieren. Er | |
versucht, die Iraner zu einer Totalkapitulation zu zwingen. Wenn man ihnen | |
aber nichts in Aussicht stellt, werden sie auf keinen Fall an den | |
Verhandlungstisch zurückkehren. Sollte es Trumps Strategie gewesen sein, | |
größtmöglichen Druck aufzubauen, damit die iranische Bevölkerung aufbegehrt | |
und sich gegen die Regierung stellt, dann wird diese Taktik nicht aufgehen. | |
Bei so viel Druck von außen wird sich in Iran die Bevölkerung hinter das | |
Regime stellen, das ist sowohl historisch als auch empirisch belegbar. Das | |
zentrale Argument lautet: Wir wollen vielleicht dieses Regime nicht, aber | |
wir wollen mit Sicherheit keine Einmischung von außen, wir wollen unsere | |
Unabhängigkeit. | |
Die amerikanische Regierung hat Iran zwischen 1953 und 1978 zu ihrem | |
erklärten Vasallen gemacht. Jimmy Carter sagte noch 1978 beim | |
Neujahrsempfang in Teheran über den Schah: „Das ist unser Mann am Golf.“ | |
Der Schah wurde von der Bevölkerung aber wahrgenommen als ein Unterdrücker, | |
der amerikanische Interessen wahrte, nicht die Interessen seiner | |
Bevölkerung. Auch das haben die Menschen in Iran nicht vergessen. Die | |
Demokratisierungsangebote, die momentan aus den USA kommen, klingen in | |
ihren Ohren hohl. | |
Eine weitere Gefahr, die im Moment besteht: Jegliche Diskussion über das | |
gegenwärtige iranische Vorgehen im Nahen Osten wird abgewürgt. Es gab in | |
Iran durchaus eine gesellschaftliche Diskussion darüber, ob dieses | |
mushakbazi, das „Mit-den-Raketen-Spielen“, wirklich nötig gewesen sei. | |
## Es gab 1980 schon Demos von Frauenrechtlerinnen | |
Es gab Demonstrationen und schriftliche Äußerungen in den iranischen | |
Zeitungen: Was soll das eigentlich, dass wir so viel Geld in Gaza | |
investieren, so viel Geld in Libanon? „Nicht Gaza, nicht Libanon, mein Herz | |
schlägt für Iran“. Das war etwas, was man auf Demonstrationen hörte, was | |
aber auch in der iranischen Öffentlichkeit diskutiert wurde. | |
Solche Diskussionen können jetzt natürlich nicht mehr stattfinden. Die | |
entsprechenden Akteure werden nicht einmal versuchen, eine solche Debatte | |
zu führen, weil sie erstens als fünfte Kolonne des Feindes diskreditiert | |
würden und weil sie zweitens denken: Wir müssen zusammenhalten. Wir dürfen | |
den USA keinen Vorwand bieten, uns anzugreifen, sondern wir müssen | |
zusammenstehen. | |
Auch das hatten wir in der iranischen Geschichte schon einmal. Es gab | |
nichts, was so regimestärkend und so regimemanifestierend war, wie der | |
iranisch-irakische Krieg. Es gab 1980 durchaus Demonstrationen von | |
Frauenrechtlerinnen, die den Hidschab nicht tragen wollten, es gab | |
oppositionelle Gruppierungen, die etwas anderes wollten als das, was | |
letztlich herauskam, nämlich die iranische Theokratie. All das wurde | |
unterdrückt. | |
Viel wichtiger aber: Die oppositionellen Akteure selbst beschlossen, das | |
Revolutionsregime nicht länger zu kritisieren, weil es plötzlich oberstes | |
Ziel war, den irakischen Aggressor aus Iran fernzuhalten. Das führte zu | |
einer Stärkung des Regimes – und machte auf Jahre und Jahrzehnte Opposition | |
unmöglich. | |
## Kritik klingt nicht glaubwürdig | |
Die USA werfen Iran nun vor, keine konstruktive Rolle im Nahen Osten zu | |
spielen. Das mag sein. Man kann die iranische Außenpolitik durchaus | |
kritisieren, aber die Saudis, die besten Freunde der US-Amerikaner, | |
verhalten sich auch nicht besser. Sie bombardieren im Jemen, vorher | |
bombardierten sie Bahrain – aus amerikanischer Sicht alles völlig in | |
Ordnung. Kommt dann eine solche Kritik von den USA gegenüber Iran, klingt | |
sie natürlich in den Ohren der iranischen Bevölkerung nicht glaubwürdig. | |
Worüber sich die Amerikaner offensichtlich ebenfalls keine Gedanken machen: | |
Selbst wenn es Aufstände geben sollte, sind genug Basij- und | |
Pasdaran-Kräfte da, die sie unterdrücken könnten und würden. Diese | |
Einheiten kämpfen im Zweifelsfall auch noch sehr lange mit dem Rücken zur | |
Wand, anders als die Armee des Schahs es zu Zeiten der Revolution tat. | |
Sie weigerte sich damals, auf die eigenen Leute zu schießen. Chomeini hat | |
daraus die Lehre gezogen, eine gut bezahlte, paramilitärische Organisation | |
aufzubauen, die ausschließlich dazu da ist, das Regime zu schützen. | |
Aber selbst wenn die Taktik Trumps und der USA aufgehen sollte, dass die | |
Menschen aus Verzweiflung auf die Straßen gehen, ist da immer noch kein | |
Plan B. Es gibt keine charismatische Führungspersönlichkeit, es gibt kein | |
Programm, wie es in Iran weitergehen könnte. Vielmehr droht das Land als | |
Vielvölkerstaat auseinanderzubrechen. Es gibt mindestens fünf Ethnien, die | |
auf der anderen Seite der Grenze Bruderstaaten haben und Ansprüche erheben: | |
die Balutschen, die Azeris, die Kurden, die Turkmenen und die Araber. | |
## Verzweifelter Versuch der Diplomatie | |
Wenn Iran zerfällt, würden sich die Ethnien gegenseitig zerfleischen. Denn | |
sie eint zwar durchaus ein ausgeprägtes iranisches Nationalgefühl, aber | |
ihnen ist auch sehr viel Unrecht widerfahren, nicht nur in den letzten 40 | |
Jahren, sondern schon davor. Fangen beispielsweise die Azeris und die | |
Kurden an, sich für all die Geschehnisse zu rächen, bei denen sie | |
ungerechte Politik verspürt haben, droht ein Bürgerkrieg. | |
Dagegen sind Afghanistan und Irak leichte Fälle. Ein gespaltener Iran würde | |
also einen deutlich größeren Flächenbrand lostreten als alles, was wir in | |
dieser Region bisher gesehen haben. Auch deswegen ist diese Situation so | |
gefährlich. | |
Man könnte nun so argumentieren, wie Sigmar Gabriel es kürzlich im | |
Deutschlandfunk getan hat: Dass Iran eigentlich auf maximalen Druck mit | |
minimaler Reaktion antwortet. Selbst das als „fies“ beschriebene Ultimatum, | |
das Rohani den europäischen Staaten gestellt hat, könnte man dahingehend | |
interpretieren, dass er denkt, die EU hätte noch Handlungsspielraum. Es | |
wäre also nicht als Vertrauensverlust in die Europäer zu werten, im | |
Gegenteil. | |
Was jetzt in deutschen Medien als übler Erpressungsversuch der Iraner | |
dargestellt wird, ist vermutlich ein verzweifelter Versuch, letztlich doch | |
noch zur Diplomatie zurückzukehren. Und ein Ausdruck der Hoffnung darauf, | |
dass die EU den USA gegenüber signalisiert, dass sie deren konfrontativen | |
Kurs nicht mitmachen wird. Es wäre nur zu wünschen. | |
17 May 2019 | |
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## AUTOREN | |
Katajun Amirpur | |
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