# taz.de -- Filmfestspiele in Cannes: Das wogende Meer bei Dakar | |
> Die Regisseurin Mati Diop erzählt im Wettbewerbsbeitrag „Atlantique“ eine | |
> allegorische Geschichte über Liebe, Wasser und Ausbeutung. | |
Bild: Liebe ist nur in einer erweiterten Realität möglich: Regisseurin Mati D… | |
Die Zukunft entsteht in Dakar. Senegals Hauptstadt reagiert auf ihre | |
Überbevölkerung mit einem futuristischen Bauprojekt für 2 Milliarden | |
Dollar, wie im Herbst vergangenen Jahres berichtet wurde. Geplant sind | |
nachhaltige Neubauten, darunter viele Glasfassaden in fließenden Formen. | |
Ein solcher asymmetrischer Glasturm, der „Atlantique“, ragt auch in Mati | |
Diops gleichnamigem Spielfilm an der Küste Dakars hervor. Ein fiktives | |
Bauwerk wohlgemerkt, das sie in ihrem Wettbewerbsbeitrag für Cannes in den | |
Himmel wachsen lässt. Die Bauarbeiter, die ihn errichten, sind wiederum | |
frustriert, weil sie seit drei Monaten keinen Lohn erhalten haben, darunter | |
auch Souleiman (Ibrahima Traoré). Er liebt Ada (Mama Sané), die ihn | |
ebenfalls liebt. Allerdings hat sie versprochen, Omar zu heiraten. Den | |
liebt sie nicht, er verdient dafür gut. | |
Weil Souleiman nichts verdient, verschwindet er eines Nachts in einem Boot | |
mit ein paar Kollegen in Richtung Spanien. Um dort Lohn für andere Arbeit | |
zu erhalten. Ada heiratet wenig später wie geplant Omar. Doch dann | |
passieren merkwürdige Dinge. Das von Adas Freundinnen eben noch bewunderte | |
protzige Ehebett fängt während der Hochzeitsfeier auf einmal Feuer. Ein | |
Brandherd ist für die Feuerwehr hinterher nicht zu erkennen. Jemand will | |
aber Souleiman im Haus von Omar gesehen haben. Für die Polizei ist er | |
fortan der Hauptverdächtige, obwohl er eigentlich längst in Spanien sein | |
müsste. | |
Die französisch-senegalesische Regisseurin Mati Diop erzählt in | |
„Atlantique“ eine stark allegorische Geschichte über Ausbeutung und | |
Korruption als Motive für Migration. Und eine Liebesgeschichte, in der die | |
Erfüllung nur dank einer stark erweiterten Realität möglich ist. Dazu nutzt | |
sie ein schlichtes Mittel des Fantastischen. Irgendwann beginnt es um Ada | |
herum, so viel sei verraten, nicht mehr mit rechten Dingen zuzugehen. Ganz | |
ohne aufwendige Effekte, stattdessen mit ein paar einfachen, eleganten | |
Kunstgriffen. | |
## Poesie des Unheimlichen | |
Im Bild passiert dabei nur sehr wenig, wenn man einmal davon absieht, dass | |
es Diop gelingt, den Atlantik in Einstellungen festzuhalten, die das | |
wogende Meer wie etwas Außerweltliches erscheinen lassen. Dabei sieht man | |
bloß Wasser in Bewegung. Und vielleicht mal einen milchig-dicken | |
Wolkenteppich darüber. | |
Die entscheidende Dimension, die sie hinzufügt, um die Wirklichkeit | |
unwirklich zu machen, ist jedoch die Filmmusik. So rückt die im Senegal | |
geborene Produzentin Fatima al-Qadiri die vermeintlich alltäglichen Szenen | |
mit hochartifiziell-fragilen elektronischen Klängen aus jedem erwartbaren | |
Zusammenhang. Die suchenden digitalen Töne passen nicht so recht zum Rest, | |
daher sind sie genau richtig. Ergebnis dieses Kontrasts von Bild und Ton | |
ist eine wunderbar unaufgeregte Poesie des Unheimlichen. | |
Vielleicht hätte Diop nicht ganz so viel Eindeutigkeit benötigt, wie sie | |
schließlich herstellt. Dass die Tragödie, die ihre Erzählung rahmt, auf | |
einer optimistischen Note endet, geht andererseits durchaus in Ordnung. Es | |
muss nicht immer alles ausweglos sein. | |
17 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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