| # taz.de -- Japanischer Shōchū-Schnaps: Angenehm allürenfrei | |
| > Japan ist in, auch in deutschen Bars. Nach Sake liefert das Land nun ein | |
| > neues Szenegetränk – einen Alleskönner ohne anstrengenden | |
| > Besserwisserfaktor. | |
| Bild: Ein Schnaps, große Vielfalt: Shōchū auf einer japanischen Lebensmittel… | |
| Was ist japanisch, flüssig und fängt mit S an? Nein, nicht Sojasauce ist | |
| gemeint, auch nicht Sake oder der grüne Tee Sencha. Um Shōchū soll es hier | |
| gehen: eine weitere klare Flüssigkeit im Backboard gut sortierter | |
| Cocktailbars, eine, über die man sich als Gast wundern darf. | |
| Aber beginnen wir ganz praktisch, mit dem Namen. Shōchū. Denn wo mehrere | |
| Macrons – ja, so heißen diese Striche über den Vokalen – aufeinander | |
| treffen, wird man schnell unsicher. Wie spricht man das richtig aus? | |
| „Scho-huu“ vielleicht? Fast, aber nicht ganz: Man ignoriere die Macrons und | |
| sage: Schotschu. Eigentlich ganz einfach. | |
| Das Wort Shōchū haben die Japaner aus dem Hochchinesischen übernommen, von | |
| Shāojiǔ, und das bedeutet so viel wie „gebrannter Alkohol“. Grundlegender | |
| kann ein Name kaum sein! Wobei der Shōchū innerhalb der Liga der durch | |
| Destillation gewonnenen Spirituosen eher am harmlosen Ende spielt: Sein | |
| Alkoholgehalt liegt in der Regel bei 25 Volumenprozenten, bis zu 45 Prozent | |
| kann es hochgehen. | |
| Ihm weniger Wohlgesonnene sprechen über Shōchū abfällig als „Wodka der | |
| Japaner“. Denn das hier ist keine High-End-Spirituose, die erst mal sieben | |
| Jahre im Fass verbringen muss, bevor sie mit viel gestellter Kennerschaft | |
| verkostet werden darf. Shōchū ist ein Massenprodukt, eine der beliebtesten | |
| Alkoholsorten Japans, die dort seit gut 15 Jahren einen Boom erlebt. In | |
| seiner mehrfach destillierten Variante – auch Kōrui shōchū genannt – ist | |
| Shōchū auch tatsächlich beinahe geschmack- und geruchlos. Und, ähnlich dem | |
| Wodka, lässt er sich aus beinahe allem brennen. | |
| ## Reis, Süßkartoffeln, Veilchen | |
| Faktisch wird er dabei am häufigsten aus Getreidesorten wie Gerste, | |
| Buchweizen oder Reis hergestellt. Aber auch aus Edelkastanien oder | |
| Süßkartoffeln kann Shōchū gewonnen werden, oder gar aus Veilchen oder | |
| Muscovadozucker. Hauptsache, der Rohstoff enthält Stärke, die im Gärprozess | |
| in Alkohol umgewandelt werden kann – sonst würde daraus eben, genau, nur | |
| Veilchensaft. | |
| Die einzige unverzichtbare Shōchū-Zutat ist der Kōji, noch ein Wort mit | |
| Macron. Dabei handelt es sich um einen völlig unterschätzten Schimmelpilz, | |
| der beim Fermentieren von Speisen und Getränken hilft. Der | |
| wissenschaftliche Name jenes Kōji lautet übrigens Aspergillus flavus var. | |
| oryzae. Musikalischer lässt sich in Abendrunden wirklich kaum | |
| schlaubergern, man sollte das einmal ausprobieren. Und der Kōji verbindet | |
| Shōchū mit dem noch deutlich berühmteren japanischen Alkohol mit S: dem | |
| Sake. Auch der wird unter Verwendung von Kōji hergestellt, ist aber ein | |
| gebrauter Wein – kein Destillat wie Shōchū. | |
| Mit dem Kōji werden die diversen Shōchū-Basiszutaten geimpft, er | |
| unterstützt die Aufspaltung der Stärke in Zucker, das Ganze wird dann noch | |
| einige Zeit fermentiert. Mit der Auswahl der richtigen Kōji-Sorte lässt | |
| sich dieser Prozess auch geschmacklich lenken. Denn die nur einfach | |
| destillierte Shōchū-Variante, der Otsurui shōchū, hat durchaus einen | |
| Eigengeschmack. Mit gelbem Kōji wird das Resultat eher kräftig und | |
| fruchtig. Schwarzer Schimmelpilz unterstützt die Eigenaromen des | |
| Grundrohstoffs, wohingegen Shōchū von weißem Kōji – er wird in der | |
| Produktion am häufigsten verwendet – eher mild und süß im Aroma ist. | |
| Die begehrteste Verzehrform in Japan ist der Chuhai – ein Shōchū Highball. | |
| Sogar in Dosen kann man ihn dort kaufen, meist mit Soda als Filler und | |
| zusätzlichem Fruchtaroma. Ansonsten macht Shōchū sich ausgezeichnet im Tee | |
| oder als Herrengedeck-Partner zu einem milden Bier. Kurz und knapp: Shōchū | |
| ist tatsächlich der japanische Wodka. Bloß in viel mehr Variationen und | |
| manchmal auch mit Geschmack. | |
| ## Shōchū passt ganz hervorragend zu Fisch | |
| Hinter die Tresen deutscher Großstädte kommt Shōchū passend zu einem | |
| kleinen Japan-Hype: Ramensuppenküchen sind die neuen Burgerrestaurants. Man | |
| trinkt jetzt japanische Whiskys. In Berlin findet seit 2017 zweimal im Jahr | |
| das Sake-Festival statt, mit Karaoke, Kimono-Nähworkshops und steigenden | |
| Besucherzahlen. Und in Hamburg eröffnet Fernsehkoch Steffen Henssler bald | |
| ein neues Sushi-Restaurant, dessen liquide Begleitung maßgeblich aus Shōchū | |
| bestehen soll, denn der passt ganz hervorragend zu Fisch. | |
| Bei der alkoholischen Essensbegleitung sind Mitteleuropäer ja für | |
| gewöhnlich mit Bier und Wein vertraut, nicht aber mit Hochprozentigem. Doch | |
| auch hierfür eignet sich Shōchū, als relativ harmloser Vertreter der | |
| Spirituosenliga, hervorragend. Das verdankt er seiner abwechslungsreichen | |
| Aromatik, die sich chamäleonhaft an alle möglichen Speisen anzupassen | |
| vermag. Bei Shōchū handelt es sich nämlich um ein ausgesprochen filigranes | |
| Getränk, mit einem wenig aggressiven, zurückhaltenden Aromaprofil – zum | |
| Beispiel leichten Apfelnoten, auch Zimt oder Pflaume schmeckt man heraus. | |
| Eine grobe Faustregel ist dabei, dass Süßkartoffel- und reisbasierte | |
| Shōchūs einen stärkeren Eigengeschmack haben als solche aus anderem | |
| Getreide. Deswegen lassen sie sich auch mutiger kombinieren, mit würzigerem | |
| und fettigerem Essen wie Ramensuppen zum Beispiel. Shōchūs aus | |
| Muscovadozucker sind hingegen fruchtiger und passen gut zu Gerichten, die | |
| auf Sojasauce basieren. Aber letztlich gilt auch hier: Es passt, was | |
| schmeckt – und wenn es ein in Süßkartoffelschnaps getränktes Leberwurstbrot | |
| ist, dann sei dem eben so. | |
| ## Kulturaustausch am Tresen | |
| Shōchū ist also ganz vielseitig einsetzbar. Und außerdem eine Möglichkeit, | |
| die Barkeeper von den Besserwissern der letzten Zeit zu befreien. Das | |
| unterscheidet ihn vom Gin, der Trendspirituose der vergangenen Jahre. | |
| Denn die Frage nach dem neuesten Gin – vielleicht die Variante mit etwas | |
| indischem Tulsi-Basilikum? – ist ein Dauerthema an den hippen Tresen. Wer | |
| richtig punkten will, hat vorher noch eine Tonic-Water-Verkostung besucht, | |
| und so wird die Gin&Tonic-Bestellung zu fünf Minuten Bühnenzeit, um der | |
| Welt zu beweisen, was für ein Connaisseur im Gast doch steckt. Und das, um | |
| ehrlich zu sein, nervt doch ziemlich. | |
| Und das ist dann vielleicht auch das beste an Shōchū: Er lässt die Gäste | |
| ihre neu gewonnenen Barallüren einpacken und wieder bei null beginnen: „Was | |
| ist denn das da hinten in der schönen Flasche?“, müssen sie dann fragen. | |
| „Die mit den Zeichen drauf.“ Wie es sich an der Bar eben gehört. So | |
| passiert Kulturaustausch am Tresen. | |
| 19 May 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Juliane Reichert | |
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