# taz.de -- Zu Besuch in einer Schnapsbrennerei: Von Apfelquitte bis Zimt | |
> Die Betreiber der Deutsche Spirituosen Manufaktur wollen keine | |
> Standardschnäpse herstellen. Ihr Sortiment liest sich wie ein | |
> Botaniklexikon. | |
Bild: Das Kraut soll in die Flasche – der Weg dahin ist gutes Handwerk | |
Tim Müller reicht einen kleinen Zerstäuber mit Fichtensprossengeist. „Das | |
war vor fünf Monaten reines Gold“, sagt er. Aber er meint nicht den Inhalt, | |
sondern die kleine braune Flasche mit dem Sprayaufsatz. Gerade rollte die | |
erste Coronawelle, Desinfektionsmittel waren rar, und Tim Müller wusste, | |
wie man sie herstellt. „Ich habe im Internet einfach nur auf ‚Kaufen‘ | |
geklickt“, erzählt der 39-jährige Geschäftsführer der Deutschen Spirituos… | |
Manufaktur. | |
Heute aber wird in der Destille in Berlin-Marzahn wieder Schnaps gebrannt, | |
auf die braunen Apothekerflaschen kommen wieder Korken und keine | |
Spritzköpfe. In der Vorbereitungsküche der Manufaktur stehen fünf Leute | |
zwischen großen Kisten und schälen mit Sparschälern vorsichtig Yuzus – | |
Zitrusfrüchte aus Japan, die wie Limetten aussehen. Die grüne Schale wird | |
einige Tage in Alkohol eingelegt, Mazeration nennen das die Schnapsbrenner. | |
Dabei gehen Aromen in den Alkohol über, der anschließend noch mal | |
destilliert wird. Das Ausgangsprodukt heißt Geist. | |
Nicht nur Yuzus, auch anderes Obst und Nüsse kommen über dieses Verfahren | |
hochprozentig in die Flasche. Bei der Spirituosen Manufaktur sieht man: Es | |
gibt nichts, dessen Aroma sich nicht in Alkohol konservieren lässt. Sogar | |
mit Herbstlaub haben es die Berliner schon erfolgreich versucht. | |
Ihr Sortiment liest sich wie ein Botaniklexikon, von A wie Apfelquitte bis | |
Z wie Zimt. Und dazwischen finden sich Produkte wie Rhöner Bergwiesenheu, | |
Allgäuer Weizengras, Bosnischer Steinpilz oder Beelitzer Spargel. Klar, die | |
Apfelquitte ist eigentlich die Mecklenburgische Konstantinopler Apfelquitte | |
und der Zimt ein ceylonesischer. | |
## Gegründet von zwei Quereinsteigern | |
„Deutsche Spirituosen Manufaktur“, das klingt nach Geschichte, und die | |
Brennerei sitzt in einem denkmalgeschützten Backstein. Aber der Eindruck | |
täuscht. Draußen rauscht eine der großen mehrspurigen Ausfallstraßen | |
Berlins vorbei, und bis vor ein paar Jahren hat die Firma Knorr hier noch | |
Bremsen produziert. Erst 2017 wurde die Manufaktur gegründet, von zwei | |
Quereinsteigern. | |
Tim Müller hat BWL studiert, lange arbeitete er als Werbefotograf. Bei | |
einer Weinakademie in Südafrika traf er 2014 seinen Partner. Konrad Horn, | |
heute 56, ist promovierter Pharmazeut. Es entwickelte sich eine | |
Freundschaft und schnell die Idee, sich mit ihrer gemeinsamen Leidenschaft | |
für Spirituosen selbstständig zu machen. Aber nicht einfach so – Müller und | |
Horn wollten vieles anders machen als die jungen kleinen Brennereien, von | |
denen sich damals im Zuge der Gin-Welle viele gründeten, vor allem in | |
ländlichen Gegenden. | |
„Die Sortimente“, erzählt Müller, waren ziemlich „geländegängig“, d… | |
klassischen Korn- und Obstbrände eben. „Aber wir fanden, es gibt so viel | |
mehr Möglichkeiten.“ Müller und Horn entschieden sich gegen den Trend: Eine | |
Premiumbrennerei sollte es sein, in der Stadt, mit ganz besonderen | |
Kreationen und einem breiten Sortiment. | |
## Aha-Erlebnis bei der Mandarinenmazeration | |
Während der Geschäftsführer durch die ehemalige Fabrikhalle führt, die von | |
einer großen, kupferblitzenden Kolbenanlage dominiert wird, erzählt er von | |
den Anfängen, den ersten Versuchen, Blutorange aus Sizilien in Alkohol zu | |
packen, dann noch ganz andere Zitrusfrüchte, dem Aha-Erlebnis, als sie | |
darauf kamen, dass an den Mandarinenschalen kein Stück weiße Haut mehr dran | |
sein darf, bevor sie in die Mazeration kommt. | |
Dann war Gemüse an der Reihe: Spargel. Rote Bete. Schlangengurke. So viel | |
Experimentierwut ist auch der Ausbildung von Konrad Horn zu verdanken. Die | |
Extraktion von Pflanzenstoffen gehört zu den Grundlagen des | |
Apothekerberufs. „Und die Laborarbeit hat mir schon im Studium viel Spaß | |
gemacht“, sagt Horn. | |
110 verschiedene Spirituosen haben die beiden inzwischen im Sortiment, | |
dahinter stehen 1.200 Versuchsreihen. Die Zutaten kommen von ausgewählten | |
Produzenten, haben möglichst Bioqualität. Weil den Brennern der Kontakt und | |
die Zusammenarbeit mit den Lieferanten wichtig ist, sollen die Zutaten | |
möglichst nah wachsen. | |
## Regionaler Eukalyptus aus Sachsen | |
Müller erzählt von den Schwierigkeiten, einen Eukalyptusschnaps zu brennen. | |
Australien und Brasilien sind die typischen Anbaugebiete, das war den | |
beiden zu weit. Nach einer Nachfrage im Berliner Zoo stießen sie auf einen | |
Gartenbaubetrieb in Sachsen, der Eukalyptus als Koalafutter anbaut, und | |
zwar über zwanzig verschiedene Sorten. Müller und Horn waren noch | |
wählerischer als die Beuteltiere: Sie ließen sich von jeder einzelnen Sorte | |
Blätter zuschicken. Es folgten Dutzende Versuche mit frischen und | |
getrockneten Blättern, bis sie mit der Charakteristik des Geistes zufrieden | |
waren. | |
Längst werden ihre Produkte nicht nur von Barkeepern verwendet. Auch Köche | |
zählen zur Kundschaft. „Wir sind absichtlich zurückhaltend mit Empfehlungen | |
für die Anwendung“, sagt Müller. Umso größer ist die Überraschung, wie | |
kreativ die Spirituosen eingesetzt werden. Sushi und Sashimi würden mit | |
Sauerkleegeist eingesprüht, und von Jan-Göran Barth, dem Chefkoch des | |
Bundespräsidenten, stamme die Idee, es doch mal mit Dill im Alkohol zu | |
versuchen, um damit Fisch zu beizen. Von einem anderen Restaurant weiß | |
Müller, dass dort das Besteck mit Fichtensprossen parfümiert wird, bevor es | |
auf den Tisch kommt. | |
Die Coronakrise sei „die größte Herausforderung der vergangenen Jahre“ | |
gewesen, erzählt Müller. Vom einen auf den anderen Tag brach der Brennerei | |
der größte Teil der Kundschaft weg: die Gastronomie. Es wurde nicht mehr | |
bestellt, Rechnungen blieben offen. Aber Müller blickt inzwischen positiv | |
auf die vergangenen Monate zurück. Das pharmazeutische Know-how rettete die | |
Manufaktur. „Wir gingen sehr schnell dazu über, Desinfektionsmittel zu | |
destillieren“, erzählt er. „Insgesamt hatten wir nur drei Tage Kurzarbeit.… | |
Einen Teil spendeten die Unternehmer an Berliner Altenheime, als die Not im | |
März und April am größten war. | |
„Die Krise hat dafür gesorgt, dass wir noch mal ganz neu denken“, sagt | |
Müller heute. Die Spirituosen Manufaktur hat den Onlineversand ausgebaut, | |
das Endkundengeschäft ist inzwischen genauso wichtig wie der Vertrieb in | |
die Profigastronomie. Inzwischen aber haben die Brenner schon wieder neue | |
Ideen im Kopf. Liköre sind ganz neu im Sortiment, Schnäpse mit Meerrettich, | |
Erdnuss und Jasmin. Und wer will, kann das meiste auch wieder in der | |
Sprühflasche bestellen. | |
17 Oct 2020 | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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