# taz.de -- Kluge Kinder-Musik: Quetschis sind Quatsch | |
> Vielschichtige Musik, die Kinder ernstnimmt, aber auch bei Erwachsenen | |
> gut ankommt: das Berliner Duo Muckemacher mit dem Album „Biri Bababai“. | |
Bild: Das sind die Muckemacher: Verena Roth und Florian Erlbeck | |
„Warum ist denn immer alles eingepackt/ Wieso hat jedes Ding ’nen | |
Plastiksack/ […] S.O.S. und Alarm, die Erde ist in Gefahr, wir brauchen | |
jetzt ’nen Plan.“ Das Berliner Duo Muckemacher liefert mit „S.O.S.“ den | |
perfekten Song zu den freitäglichen Klimademos – brandaktuell, gepowert mit | |
Reggaebeats, die dem Anliegen gute Vibes einbimsen. Dabei entstand das Lied | |
vom aktuellen, dritten Album „Biri Bababai“ schon vor zwei Jahren, die | |
Macher der auch an Grundschulen verteilten „Entdeckerhefte“ planten | |
ursprünglich, das Thema Recycling mit einem Lied nebst Video anschaulich zu | |
machen. | |
Das Projekt hat sich zerschlagen, der Song war komponiert, das Thema blieb | |
wichtig. „Wir wollten aber keinen Text, der voll ist mit Recycling- und | |
Umweltterminologie, sondern eine Geschichte erzählen, zu der man Bilder im | |
Kopf hat, wie „Der Kühlschrank ist leer“, sagt Verena Roth, Sängerin und | |
Pianistin von Muckemacher. „Außerdem sollte auch nicht nur über Nettes | |
gesungen werden.“ Und mit dem Hinweis im „S.O.S.“-Songtext „Quetschis s… | |
doch Quatsch mit Soße/ Ein Apfel passt genauso in die Jacke oder Hose“, | |
geben sie Eltern einen Denkanstoß, die ihren Kindern püriertes Bio-Obst in | |
Plastikverpackungen reichen. | |
Ausgehend von der Überzeugung, dass es keine Kindermusik per se gibt, | |
sondern nur gute oder schlechte, prangt auf allen CD-Covern der beiden | |
Muckemacher Verena Roth und Florian Erlbeck der Sticker „Musik für alle!“; | |
die ebenfalls zu lesenden Wörter „Kinder und Erwachsene“ sind | |
durchgestrichen. Beim Komponieren der Songs stehen die Melodien meist | |
zuerst, musikalisch liegen die Roots unüberhörbar bei der Münchner Band Les | |
Babacools, mit denen die nur knapp über 40-jährigen Roth und Erlbeck in den | |
Nullerjahren erfolgreich waren. | |
Sie verrühren eine Mischung vorwiegend südamerikanischer Musikstile wie | |
Cumbia mit Dubreggae, Rocksteady, aber auch HipHop und Soul. Mit diesem | |
Stilmix erteilen sie Kindern eine extrem upliftende „Unterrichtsstunde in | |
Musikgeschichte“, wie Roth es nennt, und ermöglichen Groß und Klein, | |
„gemeinsam abzugrooven“. | |
Ihre glasklar produzierten Songs nehmen die beiden Multiinstrumentalisten | |
im Heimstudio auf. Wabernde Synthies, slicke Gitarren und bumpernde Bässe | |
gehen mit Waschbrett, Kuhglocken, Congas und großartigen, geradezu | |
klassischen Ska-Bläserarrangements eine erquickliche Verbindung ein, | |
zusammengehalten von Roths voller Stimme, die von energisch über zickig bis | |
cool zurückgelehnt sämtliche Register zieht. | |
## Die Granden und die Coolen | |
Bisweilen bekommen sie Unterstützung von befreundeten Musikern. So haben | |
sie sich für die Fortschreibung ihres Rocksteady-Hits „Schokolade“ vom | |
Debütalbum „Diggidiggi Bambam“ (2014) MC Reena und MC Caramelo von den | |
Babacools dazu geholt, die der schokophilen Geburtstagshymne (zunächst nur | |
gedacht als Vertonung eines viel nachgefragten Kuchenrezepts) mit viel Flow | |
eine Süßkram-kritische Note anrappen: „Warum wird mein Bauch plötzlich so | |
schwer? Ist egal, ich brauch noch mehr.“ Und dann: „Du kriegst ’n Bauch u… | |
auch ’n dicken Popo“. Sogar auf das Kariesproblem wird verwiesen. Ginge | |
Ernährungsaufklärung immer so ins Bein, könnte die Adipositasgesellschaft | |
ihren Gürtel bald enger schnallen. | |
Trotzdem es inzwischen einige vielschichtige Kindermusik gibt, die bei | |
allen Altersklassen gut ankommt, mit Texten, die Anliegen von Kindern ernst | |
nehmen und sich auf Augenhöhe mit ihrer Lebenswelt befassen, klafft in der | |
allgemeinen Wahrnehmung zwischen Kinderliedklassikern und Musik für die | |
Kleinsten von Granden wie Rolf Zuckowski oder oft leider eher verblödenden | |
Kindertexten, und Musik, die cool auf Effekt für Teenager produziert ist, | |
eine Lücke, sagt Roth. Neben Acts wie dem Hamburger HipHop-Trio Deine | |
Freunde ist also noch jede Menge Platz für Musik, die Kindern in der | |
Zwischenwelt zwischen Ringelreihen und Kommerzpop entspanntes Durchdrehen | |
ermöglicht. Für Musik, die abseits vom Mainstream die ganze stilistische | |
Bandbreite aufzeigt, wie Roth sagt. | |
Ihre Textideen beziehen die Muckemacher aus alltäglichen Erlebnissen, | |
Gesprächen mit den eigenen Kindern, etwa über Vorfälle in der Schule wie | |
Mobbing („Käsebrot“), vermischt mit Erinnerungen aus der eigenen Kindheit. | |
„Oh Boy, oh Girl“ ist ein ganz persönliches Lied über einen Streit mit dem | |
Sohn, aber allgemein verständlich, geht es doch um elterliche Erwartungen, | |
die Kinder nicht erfüllen können, weil sie gar nicht wissen, wie. Roth | |
singt den Song auf Englisch, da der melancholische Rocksteady-Soul auf | |
Deutsch einfach nicht funktioniert habe. Die Halbbulgarin Roth würde in | |
ihren Liedern gern öfter die kantige deutsche Sprache mit einer | |
melodiöseren tauschen, freut sich aber auch, wenn sie hört, dass Kinder | |
durch ihre Musik tanzend Deutsch lernen. Gut, wenn die Verbindung zwischen | |
Bein und Verstand universell funktioniert. | |
3 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Sylvia Prahl | |
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