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# taz.de -- „Gelbwesten“-Proteste in Frankreich: Klassenkampf mit Klimaschu…
> Die „Gelbwesten“-Proteste gehen weiter. Vielen gelten sie als Widerstand
> gegen Öko-Zumutungen. Aber die Randale ist kein Aufstand gegen
> Klimapolitik.
Bild: Auch nicht besonders ökologisch: Feuerchen in Paris machen
Paris taz | Am Karsamstag brennt es wieder in Paris. Nicht in der
Kathedrale Notre Dame wie am Beginn der Woche. Diesmal stehen Motorroller
und Mülltonnen im Osten der französischen Hauptstadt in Flammen, Geschäfte
werden angegriffen. Nach Angaben des Innenministeriums gingen landesweit
knapp 30.000 Menschen auf die Straße und liefern sich teilweise
Straßenschlachten mit der Polizei. Seit November, als die
[1][Demonstrationen der Gilets jaunes] begannen, ist es das 23.
Protest-Wochenende.
Am selben Tag verkündet Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) in
einem Spiegel-Interview, sie lasse ein Konzept für eine CO2-Steuer
erarbeiten: Der Verbrauch von Kohle, Gas und Öl soll teurer werden,
allerdings müsse niemand Angst vor einer solchen Abgabe haben. Schulze
hatte schon früh gewarnt: Wenn man Klimaschutz „ohne Rücksicht auf Verluste
durchdrückt, ziehen sich die Menschen gelbe Westen an“.
Seit der ersten Demo der Gelbwesten am 17. November 2018 geht ein Gespenst
um in Europa: die Angst der Regierenden vor der Wut der Regierten, wenn es
um Ökosteuern geht. Bei der Klimakonferenz in Kattowitz im Dezember waren
die Proteste ein großes Thema, wenn es um den „Strukturwandel“ durch
Klimaschutz ging. Rund um die Kohlekommission in Deutschland warnten der
Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), und
IGBCE-Gewerkschaftsboss Michael Vassiliadis vor „deutschen Gelbwesten“.
Wer aber in Frankreich nach diesem Schreckgespenst sucht, kommt sich
schnell vor, als jage er ein Phantom. Auf den Demonstrationen ist die Taxe
carbone kein Thema mehr. Die Regierung hat die Erhöhung der CO2-Steuer
bereits nach drei Wochen Protest im Dezember zurückgenommen. Die Gelbwesten
fordern höhere Löhne, bessere Renten [2][und den Rücktritt des
Präsidenten].
Aber was sagen die „Gelbwesten“ zu Klima- und Energiepolitik? Man würde sie
gern fragen, aber das gestaltet sich schwierig. Es gibt weder offizielle
Sprecher der Bewegung noch ein Programm. Auch französische Experten, Beamte
und Journalisten schütteln den Kopf: Niemand kennt einen Ansprechpartner.
## Frankreich redet über Energiepolitik
„Sie denken ans Ende der Welt, wir ans Ende des Monats“, war einer der
Slogans der Proteste. Das klang nach Kritik an der Ökopolitik. Aber im
April klang das bei einer Versammlung schon anders: „Im Bewusstsein der
ökologischen Dringlichkeit stellen wir fest: Ende des Monats, Ende der Welt
– gleiche Logik, gleicher Kampf.“ Die „Logik der unbeschränkten Ausbeutu…
des Kapitalismus zerstört die Menschen und das Leben“, hieß es dort.
Deshalb sei die Ökosteuer „ein perfektes Beispiel für die falsche Ökologie
der Bestrafung, die Menschen trifft, die nicht verantwortlich sind“.
Die Gelbwesten hätten etwas Gutes erreicht, sagt Sven Rösner. Frankreich
würde zum ersten Mal [3][über Energiepolitik reden]. Er ist Geschäftsführer
des „deutsch-französischen Büros für die Energiewende“ im Pariser
Umweltministerium. Hier wurde das „Gesetz zur Energiewende“ 2015
geschrieben: Es sieht vor, auf fossile Brennstoffe eine Ökosteuer (Taxe
carbone) zu erheben, die bei 7 Euro pro Tonne CO2 begann, derzeit 44 Euro
beträgt und bis 2022 auf 86 Euro ansteigen soll. „Es war ein guter Plan, er
hätte funktionieren können“, sagt er.
Auch die Idee, diese Preise schneller zu erhöhen, kam aus dem Ministerium.
„Es war auch vorgesehen, das Geld den Leuten wieder zurückzugeben.“ Die
Idee dabei: Benzin und Diesel verteuern, aber die Menschen nicht zusätzlich
belasten. Dieser Vorsatz wurde aus dem Konzept der Regierung gestrichen.
Dann kam es zum Knall. Der zuständige Beamte wurde versetzt. Der zuständige
Minister blieb im Amt.
## Frankreich und seine Atomkraftwerke
Der zuständige Minister heißt François de Rugy. Wie haben die Gelbwesten
die Debatte verändert? De Rugy betont bei einem Termin im April in der
französischen Botschaft in Berlin: „Viele Leute haben gehofft, dass diese
Bewegung die Ökologie in den Hintergrund drängt, dass man weniger oder gar
nichts mehr tut. Aber im Gegenteil haben die Debatten seitdem gezeigt, dass
viele Bürger in Frankreich und Europa mehr für die Umwelt tun wollen.“ Die
Gelbwesten seien nicht gegen den Umweltschutz.
De Rugy ist erst seit Herbst 2018 im Amt. Sein Vorgänger Nicolas Hulot, ein
Umweltschützer und ein in Frankreich bekannter TV-Moderator, hatte nach nur
einem Jahr unter Präsident Emmanuel Macron frustriert das Handtuch
geworfen. Für Hulot ging es in der Umweltpolitik nicht schnell genug.
Zwischen Deutschland und Frankreich läuft es aber in der Energiepolitik
auch ohne die Gelbwesten nicht rund. Zu unterschiedlich sind die
Strukturen: Hier ein liberalisierter Strommarkt, wo die privaten
Energiekonzerne unter Druck sind, auf der linken Rheinseite eine staatlich
organisierte Stromversorgung mit subventionierten Strompreisen. Hier der
angebliche Ökoweltmeister Deutschland, der wegen seiner Kohlekraftwerke pro
Kopf und Jahr rund 10 Tonnen CO2 produziert. Dort ein Frankreich, [4][das
mit seinen Atomkraftwerken] auf nur halb so viel CO2 kommt. Dort eine
Regierung, die einen Mindestpreis für CO2 in Europa will. Hier eine
Industrie, die befürchtet, damit werde Strom teurer und die französische
AKW-Flotte subventioniert.
## Die Taxe carbone ist eingefroren
Trotz aller Treueschwüre trauen Franzosen und Deutsche in der
Energiepolitik einander nicht über den Weg. Frankreichs letzte Regierung
versprach, das alte AKW Fessenheim an der deutschen Grenze abzuschalten,
aber es läuft immer noch.
Frankreich hat angekündigt, seinen Atomanteil am Strom bis zum Jahr 2025
von 75 auf 50 Prozent zu drosseln – und diesen Plan mal eben um zehn Jahre
verschoben. Für Fortschritte sollen andere Vorhaben sorgen, und da haben
die Franzosen erstmals in der Umweltpolitik die Nase vorn: Dazu zählen
verbesserte Energieeffizienz, beim Ausbau der Erneuerbaren und beim
Verkehr. Bei der Gebäudesanierung ist Frankreich deutlich schneller als
Deutschland. Jedes Jahr werden 2 Prozent der Gebäude saniert. In
Deutschland ist der Anteil nur halb so hoch und damit viel zu niedrig für
die Klimaziele.
Der Thinktank Agora Energiewende hat in einer Analyse festgestellt, die
Probleme der Regierung Macron seien „hausgemacht“: Weil die Preise für CO2
und Öl stiegen, Steuern für Reiche abgeschafft wurden und die Einnahmen aus
der Taxe carbone nicht an die Bevölkerung zurückflossen, habe es eine
„gefühlte Ungerechtigkeit“ gegeben, und dieses Gefühl sei explodiert. Die
Anti-Öko-Haltung war wohl eher ein Brandbeschleuniger der allgemeinen
„Schnauze voll“-Stimmung, sagen auch in Paris alle, die man danach fragt.
Und anders als in Deutschland gibt es keine Kohlekommission, die alle
Beteiligten an einen Tisch holt und einen Konsens findet. „Im Französischen
gibt es nicht mal ein Wort für ‚Strukturwandel‘ “, sagt Rösner. Der Sta…
macht die Pläne. Das Volk richtet sich danach. Oder eben nicht.
Das Ergebnis: Die Taxe carbone ist eingefroren. Geht es nach den Beratern
der Regierung, wird sie das auch bleiben. Ein zentrales Instrument des
ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft wurde diskreditiert. „Das war
schlechte Politik“, sagt ein Beobachter in Berlin. „Die Franzosen haben es
versemmelt.“ Aber auch da waren die Deutschen wieder einmal schneller. Denn
praktisch das gleiche Szenario hat sich hierzulande 2003 angespielt. Damals
stoppte die rot-grüne Bundesregierung die weitere Erhöhung der Ökosteuer,
die Öl und Gas teurer machte und damit die Rentenkassen entlastete. Der
Grund war eine Kampagne der „Benzinwut“, mit der die Bild-Zeitung die
Regierung Schröder unter Druck setzte. Ganz vorn dabei im Kampf gegen die
sogenannte „K.-o.-Steuer“: die damalige Oppositionsführerin Angela Merkel.
25 Apr 2019
## LINKS
[1] /Gelbwesten/!t5552947
[2] /Macrons-Buergerdialog/!5578229
[3] /Klimaklage-gegen-Frankreich/!5580478
[4] /Alte-Atomkraftwerke-in-Frankreich/!5554216
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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