# taz.de -- Sri Lanka nach den Anschlägen: Stunde eines Hardliners | |
> Lange war klar, dass sich einige Muslime in Sri Lanka radikalisieren. Wie | |
> wirken sich die Anschläge vom Ostersonntag auf die Landespolitik aus? | |
Bild: Gotabaya Rajapaksa möchte Präsident werden (Archivbild) | |
Es gilt inzwischen als sicher, dass eine islamistische Gruppe mit Basis in | |
Sri Lanka für die Serie von Anschlägen am Ostersonntag verantwortlich ist. | |
Möglicherweise bekamen die Attentäter Unterstützung vom IS, der hat die | |
Taten jedenfalls Anfang der Woche für sich reklamiert. | |
Dass sich Muslime – wenn auch nur sehr wenige – vor allem im stark | |
muslimisch geprägten Osten der Insel radikalisierten, war eingeweihten | |
Beobachtern schon seit Langem bekannt. Die anfängliche Radikalisierung | |
gegen Ende der 1990er Jahre hatte zuerst einmal nichts mit islamistischen | |
Ideologien zu tun. | |
Vielmehr war sie Reaktion darauf, im [1][fast 30 Jahre anhaltenden | |
Bürgerkrieg] zwischen der singhalesischen Mehrheitsbevölkerung und der | |
tamilischen Minderheit nicht zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen | |
zerrieben zu werden. Muslime in Sri Lanka sehen sich als eine eigenständige | |
Bevölkerungsgruppe, obwohl ihre Muttersprache Tamilisch ist. Eine weitere | |
Verstärkung erfuhren die Militanten offensichtlich in jüngerer Zeit durch | |
rückkehrende Kämpfer aus Syrien. | |
Die Angriffe am Ostersonntag haben vorwiegend [2][Christen aus den | |
singhalesischen und tamilischen Volksgruppen] getroffen. Obwohl Singhalesen | |
überwiegend Buddhisten und Tamilen mehrheitlich Hindus sind, gibt es in | |
beiden Bevölkerungsgruppen einen christlichen Anteil von etwa 8 Prozent, | |
die Mehrheit davon sind römisch-katholische Christen. In der Region von | |
Negombo, die nun eines der Ziele von Militanten war, ist die christliche | |
Bevölkerung sogar in der Mehrheit. | |
## Kein echter Frieden | |
Wenn momentan zu Recht die Ereignisse des Ostersonntags schon wegen ihrer | |
Dimensionen im Mittelpunkt stehen, haben es radikale Bevölkerungsteile | |
aller ethnischen und religiösen Gruppen schon seit Langem auf das Herzstück | |
des pluralistischen, multiethnischen und multireligiösen Sozialgefüges | |
der Inselrepublik abgesehen. Dieser ethnische und religiöse Schmelztiegel, | |
den Touristen bewundern, ist aber seit der Unabhängigkeit Sri Lankas 1948 | |
oft Wunschdenken geblieben. | |
Als bisheriger Tiefpunkt des Zusammenlebens ist der Bürgerkrieg zu nennen. | |
Bevor er 2009 zu Ende ging, hatte der Konflikt als „unlösbar“ gegolten. Zu | |
sehr hatten sich die beiden Konfliktparteien – die fast ausschließlich aus | |
singhalesischen Soldaten bestehenden Streitkräfte sowie die Liberation | |
Tigers of Tamil Eelam (LTTE) – lange genug auf ihre militärische Stärke | |
verlassen. Hintergrund der brutalen Auseinandersetzungen war der Kampf der | |
LTTE für einen eigenen Staat im Norden und Osten der Insel, in dem die | |
„diskriminierte tamilische Minderheit Schutz und Selbstverwirklichung“ | |
finden sollte. | |
Um die 100.000 Menschen starben bei den jahrzehntelangen | |
Auseinandersetzungen, viele Hunderttausend Tamilen waren Binnenflüchtlinge | |
oder versuchten Indien, Europa, Kanada oder Australien zu erreichen. Die | |
Streitkräfte besiegten die LTTE militärisch, eine nachhaltige Beilegung des | |
Konflikts oder gar gesellschaftliche Aussöhnung zwischen den beiden | |
ethnischen Gruppen wurde jedoch nicht erreicht. Der Krieg war beendet, ein | |
echter Frieden jedoch in weiter Ferne. | |
Im vergangenen Jahr hielt das zunehmend angespannte Verhältnis zwischen | |
radikalen Buddhisten und Muslimen das Land in Atem. Ausgelöst durch eine | |
Schlägerei zwischen einem Singhalesen und drei Muslimen, bei dem der | |
Singhalese später seinen Verletzungen im Krankenhaus erlagt, kam es zu | |
Angriffen singhalesischer Schläger auf Muslime. Mehrere Facebook-Videos | |
zeigten damals, wie die Banden gemeinsam mit Angehörigen der rassistischen | |
Organisation Bodu Bala Sena, der viele buddhistische Mönche angehören, | |
unschuldige Muslime angreifen, während Polizei und Spezialeinheiten dem | |
meist nur zuschauen. | |
Dass viele buddhistische Mönche bei den Attacken beteiligt waren, | |
erschreckte viele und erinnerte an die Ereignisse im ebenfalls buddhistisch | |
geprägten Myanmar, wo Hunderttausende muslimische Rohingya aus ihren | |
Siedlungsgebieten vertrieben wurden. Schon seit Jahren bestehen enge | |
Kontakte zwischen chauvinistischen Mönchen beider Länder. | |
In die andere Richtung ging es Ende vergangenen Jahres, als in der Stadt | |
Mawanella, 80 Kilometer nordöstlich von Colombo gelegen, 80 buddhistische | |
Statuen zerstört wurden. Eine Untersuchung der Kriminalpolizei führte zur | |
Verhaftung von sieben Verdächtigen, die alle zur muslimischen Bevölkerung | |
gehören. | |
## Vorfälle heruntergespielt | |
Am Palmsonntag waren es abermals buddhistisch-radikale Gruppen unter | |
Beteiligung von Mönchen, die im Distrikt Anuradhapura, etwa 200 | |
Kilometer nördlich von Colombo, ein methodistisches Zentrum überfielen und | |
die betenden Gläubigen beschimpften, schlugen oder vertrieben. Schon seit | |
Jahren werden immer wieder Angriffe auf christliche Zentren und Kirchen und | |
ihre Gläubigen gemeldet. Ähnlich wie bei den Angriffen gegen Muslime im | |
vergangenen Jahr wurden die Vorfälle heruntergespielt. | |
Ein anderer kürzlicher Vorfall, im Distrikt Puttalam an der Nordwestküste, | |
einem Gebiet mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung, bekam erst nach den | |
jüngsten Anschlägen eine gewisse Bedeutung. Die Befragung einiger | |
Verdächtiger führte zu einer 80 Hektar großen Kokosnussplantage, wo ein | |
Polizeiteam ein Versteck mit großen Mengen an Sprengstoff aufspürten. | |
Vier Personen wurden verhaftet, der Hauptverdächtigen konnte die Polizei | |
nicht habhaft werden. Auf einer Pressekonferenz am Ostermontag verkündete | |
Minister Kabir Hashim, dass einer der freigesetzten Verdächtigen als einer | |
der Selbstmordattentäter identifiziert wurde. Die Personen, die damals | |
verhaftet wurden, seien aufgrund politischen Drucks wieder auf freien Fuß | |
gesetzt worden. | |
## Nur Minister und Beamte besser geschützt | |
Auch Hinweise auf mögliche Attentate wurden von [3][Polizei und anderen | |
Sicherheitsbehörden sowie Regierungsstellen] entweder falsch bewertet, | |
nicht weitergeleitet oder nicht ernst genommen. Noch Anfang April warnten | |
Sicherheitsdienste zahlreiche berühmte Personen vor möglichen | |
Selbstmordanschlägen auf wichtige Ziele. Fazit war, dass nur die | |
Sicherheitsvorkehrungen von Ministern und hochrangigen Beamten verstärkt | |
wurde. | |
In einem internen Polizei-Rundschreiben vom 11. April 2019, in das | |
möglicherweise auch Hinweise des indischen Geheimdienstes einflossen, heiß | |
es: „Warnung vor dem Plan einiger Radikaler, Selbstmordattentate unter der | |
Führerschaft von Mohammed Zahran vom National Tawhid Jama’ath (NTJ) | |
durchzuführen.“ Hochrangige Regierungsmitglieder behaupten nun, dass solche | |
Informationen nicht an sie weitergeleitet worden seien. | |
Es wird sicherlich noch lange dauern, bis die Vorfälle durch | |
Untersuchungskommissionen aufgeklärt werden können. Unmittelbare Gefahr | |
droht nun unschuldigen Muslimen durch Racheaktionen | |
singhalesisch-buddhistischer Chauvinisten. Obwohl bei den Anschlägen in | |
erster Linie singhalesische und tamilische Christen ums Leben kam, hegen | |
sie schon seit Langem Animositäten gegenüber allen nicht buddhistischen | |
Minderheiten. So würden sie am liebsten Muslime aus Sri Lanka vertreiben, | |
weil sie angeblich die Wirtschaft beherrschten oder sich so rasch | |
„vermehrten“, dass die singhalesisch-buddhistische Mehrheitsbevölkerung | |
bald zur Minderheit „im eigenen Land“ würde. | |
Die Regierung von Sri Lanka lässt selbst wenig Vertrauen aufkommen. Die | |
Regierung um Präsident Maithripala Sirisena, dem Kritiker Unfähigkeit | |
vorwerfen, und Premier Ranil Wickremesinghe tragen seit Langem einen Zwist | |
nach dem anderen aus, anstatt sich um das Wohlergehen des Landes zu | |
kümmern. Beide Politiker gehören unterschiedlichen Parteien an, was aber | |
nur einen Teil der internen Kämpfe erklärt. Nun suchen sie und andere | |
Regierungsmitglieder die Schuld für die unglaublichen Vorfälle bei anderen. | |
Im Verteidigungsministerium und im Polizeiapparat mussten einige ihre | |
Posten räumen. | |
Auch die enorme Wirtschaftskrise, [4][gekennzeichnet von großer | |
Abhängigkeit von China], macht die Gesamtlage des Inselstaates nicht | |
einfacher. In Folge der Attentate wird die während der letzten Jahre wieder | |
in Gang gekommene Tourismusindustrie schwer betroffen sein. | |
## Hardliner könnte profitieren | |
Die aktuelle politische und wirtschaftliche Gemengelage gereicht | |
offensichtlich einer Person zum Vorteil: Gotabaya Rajapaksa. Er ist der | |
Bruder des ehemaligen Präsidenten Mahinda Rajapaksa und war während seiner | |
Amtszeit faktisch Verteidigungsminister. Er gilt als Hardliner und hat nun | |
wachsende Chancen, die in diesem Jahr anstehenden Präsidentschaftswahl zu | |
gewinnen. Eigentlich darf er gar nicht Präsident werden, weil er sowohl | |
sri-lankischer als auch US-Staatsbürger ist. Aus seinen Kreisen heißt es | |
aber, er arbeite an einem Widerruf seiner US-Staatsbürgerschaft. Momentan | |
gibt es viele Stimmen aus der Bevölkerung, die sich nach seiner harten Hand | |
sehnen. In vielen Leserbriefen wird ihm gehuldigt, er möge so das Land aus | |
der Misere führen. | |
Sein Nimbus speist sich daraus, dass er während der Regierungszeit seines | |
Bruders maßgeblich für die Niederschlagung der Rebellen der Tamil Tigers | |
verantwortlich war. Was einerseits zum Ende des Bürgerkriegs führte, | |
mussten viele tamilischen Zivilisten mit ihrem Leben bezahlen. Tausende | |
Zivilisten kamen in der Endphase des Bürgerkriegs durch brutales Vorgehen | |
der Sicherheitskräfte ums Leben, Hunderttausende mussten ihre Heimat | |
verlassen. | |
Von den Vereinten Nationen werden der damaligen Regierung um die Brüder | |
Mahinda und Gotabaya Rajapaksa deshalb auch schwere | |
Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Aber das wird in Sri Lanka momentan | |
nicht mehr viele interessieren. Die Menschen scheinen kein Problem damit zu | |
haben, dass das Land einen Autokraten an der Spitze des Staats bekommt, | |
wenn Gotabaya Rajapaksa die Wahl gewinnt. | |
26 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Walter Keller | |
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