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# taz.de -- Kolumne „Immer bereit“: Invasive Familien
> Was hat die Treuhandanstalt aus Nachwendejahren mit dem diesjährigen
> Osterfest zu tun? Kommt auf den Gesprächsstoff beim Familienbesuch an.
Bild: Lange her: Schriftzug „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost“ aus Treuhand…
Letztes Wochenende hatten wir Familienbesuch. Die westdeutsche
Verwandtschaft aus Hannover war da. Wegen Ostern. Dazu Tante Erna und Onkel
Klaus. Tagsüber wurde gebuddelt und Kuchen gegessen, und als das Kind
abends im Bett lag, wurde der Wein entkorkt.
„Was sagt ihr denn zu diesem Treuhand-Antrag?“, frage ich. „Na endlich!�…
rufen Erna und Klaus. Die Hannoveraner gucken verständnislos.
„Die sogenannte Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des
Volkseigentums“, erkläre ich, „sollte nach der Wende die ehemaligen
DDR-Betriebe privatisieren und in die kapitalistische Marktwirtschaft
eingliedern. De facto haben sie einfach den Osten deindustrialisiert. Die
Linke will das jetzt noch mal untersuchen lassen.“ – „Die Treuhand, diese
Verbrecher“, schimpft Tante Erna.
Die Westverwandtschaft schaut sich an. Weißt du, wovon sie reden, sagt der
Blick meines Schwagers. Seine Freundin schüttelt den Kopf. Sie ist
Französin, findet die deutsch-deutsche Geschichte sowieso äußerst
merkwürdig. Als sie 1989 nach Deutschland kam, war sie 18 und weigerte
sich, für den ostdeutschen Besuch ihrer Freunde französisch zu sprechen,
bloß weil die das noch nie gehört hatten.
## Das Bild der Ostdeutschen als Fremde
Mein Schwager war damals beim Bundesgrenzschutz. Er spielt im
Polizeiorchester die Querflöte. Im November 1989 wurde das ganze Orchester
versammelt und darauf vorbereitet, dass sie eventuell in den nächsten Tagen
in den regulären Polizeidienst müssten. Sie sollten sich zur Verfügung
halten. „Es wusste ja keiner, was jetzt passiert“, erzählt mein Schwager.
„Ob da Millionen Menschen auf einmal rüberkommen, und dann bricht eine
Massenpanik aus.“
Es ist das Bild der Ostdeutschen als Fremde. Der Homo orientis, die
merkwürdige Spezies. Mein Mann hat bis heute Angst, Urlaub in Brandenburg
zu machen. Er macht Witze darüber, aber eigentlich meint er es ernst.
Am nächsten Tag spazieren wir zusammen durch die Hufelandstraße. Ich zeige
die Fotos, die Harf Zimmermann in dem Jahr machte, als ich mit meinen
Eltern dorthin zog. 1986. Stolze Menschen vor bröckelnden Fassaden. Ich
erzähle von den Plänen der Regierung, den ganzen Prenzlauer Berg einfach
plattzumachen.
„War im Westen aber genauso“, sage ich. „Da gab’s auch kein Bewusstsein…
die alte Bausubstanz.“ Die Französin staunt, wie gut die Leute auf den
Fotos aussehen. „Ganz normal.“ Und dass die Wohnungen so schick sind. Dank
Film- und Fernsehindustrie gehen vermutlich die meisten Westdeutschen davon
aus, die DDR sei einfach eine Fortsetzung des Dritten Reichs gewesen.
## Allgegenwart von Geschichte in Berlin
Mein Schwager fühlt sich auch immer, als würde er durch eine Filmkulisse
laufen, wenn er hier ist. Für Hannoveraner ist die Allgegenwart von
Geschichte in Berlin offenbar überwältigend.
Ich zeige auf pastellfarbene Fassaden und erzähle, wo die Kinderbibliothek,
der Konsum und der Gemüseladen waren. Heute reiht sich hier Café an
Eisdiele an Restaurant. „Gewerbe für Touristen“, sage ich abschätzig.
Die Freundin will Sushi essen. „Es gibt in Hannover kein einziges gutes
Sushi-Restaurant“, klagt sie und ruft begeistert aus: „Hier in Berlin habt
ihr alles, das ist so toll!“
Ich fühle mich unverstanden, schiebe schmollend den Kinderwagen hinter ihr
her.
## Unsere Familie hatte mal Grundeigentum
„Ein Kollege von mir hat direkt nach der Wende zwei Wohnungen in Berlin
gekauft“, erzählt der Schwager. „Als Wertanlage.“
Ich sage nichts. Ich habe erst neulich erfahren, dass unsere Familie mal
Grundeigentum hatte. Einen Garten in Mahlsdorf, der wurde verkauft; aus dem
Haus meiner Urgroßeltern in Oranienburg wurde ein Pelzmantel für meine
Großmutter. Als Künstler und Akademiker ohne jegliches handwerkliches
Geschick und ohne Zugang zu Baumaterialien konntest du im Osten keine
Immobilien verwalten.
Am Ende finden wir tatsächlich ein Sushi-Restaurant, ein sehr gutes. Wie es
sie eben nur in Prenzlauer Berg gibt.
28 Apr 2019
## AUTOREN
Lea Streisand
## TAGS
DDR
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Berlin Prenzlauer Berg
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