# taz.de -- Klimaaktivistin über Extinction Rebellion: „Es braucht radikale … | |
> Ziviler Ungehorsam und Action: Hannah Elshorst von Extinction Rebellion | |
> erklärt, was diese Klima-Bewegung von Fridays for Future unterscheidet. | |
Bild: Die Aktivist*innen besetzten die Oberbaumbrücke in Berlin | |
taz am wochenende: Frau Elshorst, „Extinction Rebellion“ hat am Montag die | |
Berliner Oberbaumbrücke besetzt, sodass der Feierabendverkehr stundenlang | |
blockiert war. Was steckt dahinter? | |
Hannah Elshorst: Es geht uns nicht darum, Autofahrer*innen zu verärgern, | |
sondern generell um Störung. Wir wollen das Alltagsleben stören und die | |
Aufmerksamkeit auf ein Problem lenken, das sonst sehr leicht ignoriert | |
wird: die ökologische Krise. Alle wissenschaftlichen Fakten deuten auf eine | |
Katastrophe hin – und zwar nicht irgendwann in der Zukunft, wir befinden | |
uns schon mittendrin. | |
Wöchentlich verschwinden von diesem Planten bis zu dreihundert Arten. Und | |
in anderen Teilen der Welt sterben jetzt schon Menschen aufgrund des | |
Klimawandels. Um das zu thematisieren, nutzen wir [1][Aktionen des | |
massenhaften zivilen Ungehorsams], die Spaß machen, bunt und gewaltfrei | |
sind. Außerdem glauben wir: Zwar ist keiner allein schuld, aber wir sind | |
alle dafür verantwortlich. | |
Sie verwenden eine sehr drastische, düstere Symbolik. Wie passen schwarze | |
Särge und Spaß zusammen? | |
Wie bedienen zwei Emotionen. Einerseits Trauer: Bei unseren Aktionen sind | |
die Leute oft in Tränen aufgelöst. Wenn man der Klimakatastrophe und dem | |
Artensterben ins Auge blickt, ist das eine unglaublich emotionale | |
Angelegenheit. Dem wollen wir Raum geben – ich denke, das ist auch eine | |
Besonderheit dieser Bewegung. | |
Wir reden viel über persönliche Dinge, wir pflegen bewusst unsere Community | |
und kümmern uns umeinander. Eine unserer zehn Prinzipien hat genau das zum | |
Inhalt: Wir nennen das „regenerative Kultur“. Viele schleppen ein Gefühl | |
der Ohnmacht mit sich herum. Aber wenn man das offen thematisiert, folgt | |
daraus ganz viel Schönes. Es ist sehr viel fruchtbarer als so ein | |
unspezifisches „Das wird schon alles“. | |
Also ist die „5 nach 12“-Rhetorik nicht pessimistisch? | |
Wir sehen das eher als Realismus. | |
Haben Sie denn überhaupt noch Hoffnung? | |
Es kommt drauf an, was man unter Hoffnung versteht. Allgemein gibt es eine | |
blinde, passive Hoffnung, die eher eine Leugnung von Fakten ist. Wir finden | |
es sogar wichtig, diese Hoffnung aufzugeben. Denn der Gedanke, man könne | |
sich auf andere verlassen, ist gefährlich. Man sieht ja, dass sich dann | |
nichts ändert. Dann gibt es aber eine andere Hoffnung: Der Glaube, dass wir | |
immer noch das Schlimmste abwehren können. Das ist ein Hauptgrund für uns, | |
weiterzumachen, und diese Hoffnung stirbt hoffentlich nie. | |
Extinction Rebellion stammt [2][ursprünglich aus Großbritannien.] | |
Dort hat eine kleine Gruppe aus Wissenschaftler*innen und | |
Aktivist*innen verschiedene erfolgreiche Proteste – die | |
Bürgerrechtsbewegung, Gandhi und verschiedene Umweltproteste analysiert. | |
Sie kam zum Schluss, dass friedlicher ziviler Ungehorsam die erfolgreichste | |
Methode ist, um Veränderungen zu bewirken. | |
Ein ermutigender Faktor dabei ist, dass man aus der Bewegungsforschung | |
weiß, dass man nur etwa 3,5 Prozent der Bevölkerung mobilisieren muss, | |
aktiv zu werden. Solange diese Menschen breite Zustimmung erfahren, reicht | |
das für eine radikale Umwälzung. Wir brauchen eine neue, globale | |
Zivilgesellschaft. | |
Welche Leute sprechen Sie an? | |
Prinzipiell alle, nicht nur die aus dem traditionell ökologischen oder | |
kapitalismuskritischen Spektrum. Das Thema geht alle an. In nächster Zeit | |
wollen wir noch viel mehr in die Breite gehen. | |
Bei dieser Offenheit, kann es dann nicht passieren, dass sich Leute | |
anschließen, die ganz andere politische Ziele haben und die Bewegung | |
sozusagen unterwandern? | |
Wir sehen da bisher keine Gefahr. Wir wollen zwar nichts vorgeben, aber | |
unsere Prinzipien geben schon eine gewisse Linie vor und schließen zum | |
Beispiel rechte Einstellungen oder Verschwörungstheorien aus. Aber wenn | |
sich uns Leute anschließen wollen, die vorher CDU oder FDP gewählt haben, | |
sind die sehr willkommen. Man kann sich auch ganz unterschiedlich | |
einbringen – die individuelle Bereitschaft zu zivilem Ungehorsam ist | |
überhaupt keine Voraussetzung. | |
Wie funktioniert die Vernetzung? | |
Dezentral und vor allem über ein transparentes Onlinenetzwerk, in das man | |
ganz einfach eingeladen werden kann. Es gibt schon gut zwanzig Ortsgruppen. | |
Neben der lokalen Ebene vernetzen wir uns auch national und international. | |
Wir bauen diese Struktur auf, während wir schon in Aktion treten – eine | |
ganz schöne Herausforderung und manchmal etwas chaotisch, aber es klappt | |
bisher sehr gut. | |
Gibt es schon Funktionär*innen? Sie beispielsweise gelten als Sprecherin | |
von XR Deutschland. | |
Es gibt verschiedene AGs, in denen man sich einbringen kann. Aber feste | |
Rollen gibt es eigentlich nicht. Jeder kann Interviews geben und für die | |
Bewegung sprechen, solange sich das im Rahmen unserer Prinzipien bewegt. | |
Sie wollen also keine Greta? | |
Wir haben eine: Greta ist unsere Greta, das Mädchen hat viele inspiriert, | |
darauf können auch wir aufbauen. | |
Wie ist das Verhältnis zu Fridays for Future und anderen ähnlichen | |
Bewegungen wie „Ende Gelände“ – sind Ihnen die zu „soft“ oder kohlef… | |
Wir sind zwar sowohl inhaltlich als auch von der Teilnehmer*innenschaft her | |
breiter aufgestellt. Wir sehen uns als komplementäre Akteure einer großen | |
Klimabewegung. Viele von Extinction Rebellion sind auch bei Fridays for | |
Future mit dabei, und viele von uns gehen auch dieses Jahr zu Ende Gelände. | |
Die Schüler*innenstreiks haben zwar eine große Welle ausgelöst, werden aber | |
in ihren Forderungen weitgehend ignoriert. Wir gehen jetzt aber einen | |
Schritt weiter. | |
Verstehen Sie sich als radikal? | |
Unsere Forderungen sind das auf jeden Fall. Aber radikal ist ein | |
schwieriges Wort, weil es bei vielen angstvoll besetzt ist. Unsere | |
Botschaft ist, dass man lieber jetzt unangenehme Folgen einer rigorosen | |
Wende in Kauf nimmt, dafür aber den kommenden Generationen eine bessere | |
Zukunft ermöglicht. Was manche als radikal abtun, ist langfristig gesehen | |
also eigentlich rational. | |
Manche Kritiker*innen sagen, dass Sie zu weit gehen, etwa weil die | |
Forderung nach einer Senkung des Treibhausgasausstoßes auf null bis 2025 | |
unrealistisch ist. | |
Wir gehen nicht davon aus, was vom jetzigem Standpunkt realistisch | |
erscheint, sondern davon, was notwendig ist. Einige der Maßnahmen sind | |
sicher unbequem, aber man muss es im Verhältnis zur Klimakrise sehen. Es | |
braucht eine radikale Veränderung, und das ist durchaus im Bereich des | |
Möglichen. In Kriegszeiten wurde die Wirtschaft auch in kürzester Zeit | |
komplett umgestaltet. | |
Bräuchte es Krieg? | |
Natürlich nicht, Krieg wäre das Schlimmste, und bewaffnete Konflikte sind | |
eher Folge des Klimawandels. Aber es ist ja fast, als würden wir einen | |
Krieg gegen uns selbst und andere Lebewesen führen, und dagegen könnte man | |
den Klimanotstand ausrufen. Das wäre angemessen, um bestimmter handeln zu | |
können. | |
Das wurde in London und anderen Städten auf Druck von Extinction Rebellion | |
schon getan. Aber bringt das wirklich was? | |
Ja, wenn das auch Folgen hat. Wir finden, dass die Regierungen mit den | |
Medien zusammenarbeiten müssten, um das Problem der Bevölkerung überhaupt | |
erst mal richtig zu kommunizieren und tatsächlich in seiner Tiefe | |
begreifbar zu machen. Man müsste auch das Curriculum an den Unis stärker | |
daran ausrichten, auch die schulischen Lehrpläne, und insgesamt die Gesetze | |
nachhaltig verändern. | |
Große Pläne für eine so junge Bewegung. | |
Man kann es aber auch so sehen: Es ist irre, wie schnell wir gewachsen | |
sind. Viele haben erst vergangenen November durch die Brückenbesetzungen in | |
London davon mitbekommen, dass Extinction Rebellion überhaupt existiert – | |
auch ich. Wir stehen also noch ganz am Anfang. Wenn wir mit unseren | |
Aktionen aber auch wirtschaftlich immer wieder wirklich stören, dann muss | |
die Regierung irgendwann mit uns in Verhandlungen treten. Mal sehen, wie | |
weit wir kommen. | |
Wie geht es nach [3][der Rebellion Week] weiter? | |
Wenn dieser erste Aufstand nicht ausreicht, wollen wir größere planen. Die | |
Zeit läuft zwar weiter ab, aber wir haben nichts zu verlieren. Viele Leute | |
investieren gerade sehr viel, um unsere Strukturen weiter aufzubauen. Ich | |
habe mir zum Beispiel extra ein Urlaubssemester genommen. Wir haben unter | |
anderem vor, uns mit größeren Massenaktionen direkt für die Verkehrswende | |
einzusetzen. | |
Ähnlich wie bei den Brückenbesetzungen. Was sagen Sie eigentlich genervten | |
Autofahrern? | |
Wir entschuldigen uns und erklären, dass es nicht gegen sie geht. Viele | |
haben sogar Verständnis. Außerdem verteilen wir Flyer und Kekse. | |
19 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Andrew Müller | |
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