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# taz.de -- Die Wahrheit: Herkules und Geistesmensch
> Schurken, die die Welt beherrschen wollen – heute: Svenja „Stamokap“
> Schulze kämpft für den sozialverträglichen Weltuntergang.
Bild: Halb Göttin, halb Hobbit: Energisch vertritt Svenja Schulze ihr Magermin…
Es ist nicht ungewöhnlich, dass am Kabinettstisch Streit aufquillt. Im
Gegenteil, dass die Minister mit Argumenten erregt aufeinander einstechen,
kommt häufiger vor. Es kann auch mal sein, dass Schimpfworte über den Tisch
zischen und unter der Gürtellinie landen. Aber dass ausgewachsene Menschen
ihre Fäuste auspacken? Dass Stücker vier Minister über eine Kollegin
herfallen und die Kanzlerin sich dazwischenwerfen muss?
„Die Schulze hat angefangen!“, rufen Seehofer, Scheuer, Altmaier und die
Klöckner mit festgefahrener Unschuldsmiene. „Sie kann’s einfach nicht
verknusen, dass das Umweltministerium so abgemagert ist und wenig zu sagen
hat!“ Damit haben sie insofern recht, als Energiewirtschaft und Bauen seit
2018 aufs Kerbholz anderer Ministerien gehen. „Außerdem ärgert die sich,
dass auch Verkehr und Landwirtschaft in anderen Ministerien angesiedelt
sind. Dabei ist das so, seit die Menschheit das Fahren und Furzen gelernt
hat!“
## Mageres Ministerium
Svenja Schulze hingegen verweist mit Engelsmiene auf ihren Entwurf für ein
neues Klimaschutzgesetz, den sie süffisant lächelnd auf dem Kabinettstisch
ausgerollt hatte – da seien die vier puterrot angeschwollen! Das Gesetz
würde dafür sorgen, dass der Seehofer vom Bauministerium, der Altmaier von
der Energiewirtschaft, der Scheuer vom Verkehr und die Klöckner von der
Landwirtschaft klafterbreite Bußgelder abdrücken müssen, wenn sie mit ihrer
Politik dem Klima weiterhin eine böse Nase drehen. Schon lange, grumbelt
Svenja Schulze, habe sie die vier Charaktermasken auf dem Kieker, „auch und
gerade deshalb, weil mein Umweltministerium so abgemagert ist! Das kann ich
nicht verknusen!“
Zu Recht? Svenja Schulze verweist auf die heißesten vier Jahre seit 65
Millionen v. Chr., auf das anschwellende Artensterben in der Pflanzen-,
Vogel- und Insektenwelt, auf Ozeane, die vor Wärme dampfen, auf Gletscher,
die selbst nachts schmelzen, auf Kohlendioxid, das die Luft dick wie Schmer
macht, auf Atommüll und das Ende der Menschheit. Die konkurrierenden
Ministerien warnen vor dem Artenschwund in der Energiewirtschaft, vor
schmelzendem Konsum, vor sterbenden Autofabriken. Jeder von Vernunft und
Wohlstand gepäppelte Mensch sieht ein, was schlimmer ist! Und was das
Schlimmste wäre: Wenn die Ökos erst mal das Sagen haben, wird Geld nichts
mehr wert sein! Was soll man denn dann essen!
## Mit Schredder und Rüttelsieb
Svenja Schulze weiß, dass sie einen Herkules zu bewältigen hat. An sich ein
Geistesmensch, der nach dem Abi zart Germanistik studierte und 1996 eine
federleichte Magisterarbeit über Frank Wedekind aufs Papier hauchte, ist
sie sich doch für nichts zu fein. Ihr Alltag als Ministerin spricht Bände:
Sie besucht eine Kunststoffverwertungsfirma, wo übermenschliche
Schreddermaschinen und Rüttelsiebe unter Höllenlärm Abfall häckseln, damit
aus Plastik wieder Plastik wird. Sie besichtigt einen Recyclingbetrieb, der
abgelebte Batterien zerlegt und zu neuen Akkus verbaut, die zerlegt werden,
und das Perpetuum mobile erfunden hat. Und sie macht Station bei einem
frischgeborenen Start-up, das aus Wind Wasserstoff herstellen will, der
durch Elektrolyse in preiswerten Wind zum Schiffsantrieb umgewandelt wird.
Niemand kann Svenja Schulze mangelnden Einsatz an den Kopf werfen. Klar,
Deutschland hatte von ihr nie wirklich gehört, als sie im März 2018
Bundesumweltministerin wurde; aber das ging ihr genauso. Ähnlich war es
schon 2005 gewesen, als sie nach acht Jahren Anwesenheit im Düsseldorfer
Landtag von der SPD-Fraktion plötzlich und unvermittelt zur Sprecherin in
Sachen Umwelt und Naturschutz ausgerufen wurde; in Nordrhein-Westfalen
also, wo noch niemand von Natur gehört hatte! Als gelernte Parteisoldatin
machte sie den Job und wartete einfach, bis andere Zeiten heranwuchsen: Sie
schmeckten nach „Innovation, Wissenschaft und Forschung“, Dingen, von denen
sie während ihrer Zeit an der Bochumer Ruhr-Universität hatte läuten hören,
und so wurde sie genau dafür 2010 Ministerin in NRW und hielt sich bis 2017
aufrecht auf dem Stuhl.
## Freitagliche Grünschnäbel
Natürlich weiß sie als nun schon neun Jahre alte Ministerin, dass
Kompromisse gebacken werden müssen. Dass sie als Juso auf die
Stamokap-Theorie hörte, die den Staat als Reparaturbetrieb des Kapitalismus
diffamierte, hilft ihr jetzt, wo sie den Kapitalismus von Staats wegen zu
reparieren hat. Die Viererbande im Kabinett wird ihr dafür noch auf Knien
dankbar sein! Svenja Schulze hat extra für sie und ihre Auftraggeber sogar
die Klimaziele von 2020 auf 2030 verschoben, um Artenschwund in der
Energiewirtschaft und sterbende Autofabriken zu verhindern. Es geht eben
nicht nur um die Umwelt, sondern der Untergang der Menschheit muss auch
sozialverträglich erfolgen! Sogar die Grünschnäbel, die draußen jeden
Freitag motzen, werden’s eines Tages begreifen.
16 Apr 2019
## AUTOREN
Peter Köhler
## TAGS
Umweltministerium
Schwerpunkt Klimaproteste
Svenja Schulze
Schwerpunkt Klimawandel
Stärke
Wirtschaft
Europa
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Franziska Giffey
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