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# taz.de -- Umsturz im Sudan: Der Protest geht weiter
> Sudans Protestbewegung hat gesiegt. Das Militär setzt Diktator Bashir ab.
> Sein Vize gilt allerdings als „Völkermordverantwortlicher“.
Bild: Auch sie wirkten am Sturz Omar Hassan al-Bashirs mit
Berlin taz | Nach fast dreißig Jahren an der Macht ist Sudans Präsident
Omar Hassan al-Bashir [1][von der eigenen Armee abgesetzt worden]. „Als
Verteidigungsminister verkünde ich den Sturz des Regimes und die
Verbringung seines Chefs in Gewahrsam an einen sicheren Ort“, erklärte
Vizepräsident Awad Ibn Ouf am Donnerstagnachmittag im Staatsfernsehen. Ein
Militärrat werde für zwei Jahre den Übergang zu freien Wahlen überwachen.
Für drei Monate gilt der Ausnahmezustand. Die Verfassung ist suspendiert,
alle staatlichen Institutionen sind aufgelöst.
Nach Tunesien, Ägypten und Libyen im Jahr 2011 und Algerien vor wenigen
Wochen hat nun also auch im Sudan ein Volksaufstand den Sturz eines
Langzeitherrschers erzwungen, und zwar ganz ohne fremde Hilfe, wie [2][die
Protestbewegung auf der Straße] nicht müde wird zu betonen. Aber führt
dieser Umsturz zur Demokratie wie in Tunesien, zu einem neuen Militärregime
wie in Ägypten oder zum Bürgerkrieg wie in Libyen? Sudan kennt alle drei
Optionen, und alle scheinen derzeit offen.
Die Protestbewegung wird sich die Früchte ihres Muts nicht leicht nehmen
lassen. Der Aufstand gegen Bashirs Gewaltregime hatte am 18. Dezember 2018
in Atbara begonnen, einer Industriestadt im Norden Sudans, wo die Bahnlinie
vom Roten Meer ins Landesinnere Richtung Khartum und der Schiffsweg auf dem
Nil aus Ägypten zusammentreffen. Zunächst richtete sich der Protest in
diesem Geburtsort der sudanesischen Gewerkschaftsbewegung einfach gegen die
Verdreifachung der Brotpreise. Es wurde daraus [3][ein landesweiter
Aufstand], getragen vom Berufsverband SPA (Sudanese Professionals
Association).
Jede Woche gingen Menschen in allen Landesteilen für Freiheit auf die
Straße: Männer und Frauen, Araber und Schwarze, Studenten und Rentner,
Religiöse und Säkulare, Berufstätige und Bauern – ein Querschnitt einer
vielfältigen, offenen Gesellschaft, die sich in einem Militärregime nicht
wiedererkennt. Zuweilen bewiesen sie beträchtlichen Mut gegen schießende
Sicherheitskräfte.
## „Diese Revolution ist eine Frauenrevolution“
Bemerkenswert ist dabei die herausragende Rolle von Frauen – anknüpfend an
Frauendemonstrationen gegen sudanesische Militärherrscher, die die Männer
in Bürgerkriegen an der Front verheizten, und an die Königinnen der Nubier
in der Antike. Mehrmals sind unter Bashir harte islamische Urteile gegen
Frauen Auslöser für Protest gewesen. Auf Demonstrationen ist die Parole
„Diese Revolution ist eine Frauenrevolution“ zu hören gewesen. Dass Bashir
am 8. März die Freilassung aller verhafteten Frauen verkündete, heizte den
Protest eher weiter an.
Am 6. April, dem Jahrestag eines früheren vom Volk bejubelten
Militärputsches 1985, zogen die Demonstranten vor die Zentrale der Macht:
das Militärhauptquartier in Khartum, zugleich Sitz der Präsidentschaft. Als
sie dort tage- und nächtelang ausharrten und als sie im Laufe der Tage
immer mehr wurden, waren Bashirs Tage gezählt.
Nun vollzieht das Militär den Wandel, und die Demonstranten sind ratlos.
Ist das ihr Sieg? Soldaten der Armee hatten in den letzten Tagen die
Massendemonstrationen gegen andere Teile des Sicherheitsapparats
verteidigt. Aber Ibn Ouf, der jetzt Bashirs Sturz im Fernsehen verkündete,
ist für einen Neuanfang nicht die erste Wahl.
Der Darfur-Exilverband „Darfur Union“ in Großbritannien bezeichnete Ouf
bereits bei seiner Ernennung zum Vizepräsidenten im Februar als
„Völkermordverantwortlichen“. Er sei zwischen 2003 und 2007 Verbindungsmann
zwischen Sudans Regierung und den regimetreuen Janjaweed-Milizen gewesen,
Hauptakteur des Völkermords an missliebigen Volksgruppen in Darfur. „Seine
Hinterlassenschaft in der Region ist: Bombenangriffe durch
Antonow-Flugzeuge, Niederbrennen von Dörfern, Zwangsvertreibung und
Massenvergewaltigung.“
## Der Wandel in Khartum ist nicht nur kosmetisch
Ouf kommt aus dem innersten Machtzirkel: Er war Chef des
Militärgeheimdienstes und stellvertretender Generalstabschef, dann nach
einer Auszeit Verteidigungsminister und seit Februar, als Präsident Bashir
den Ausnahmezustand verhängte, Vizepräsident. Wegen mutmaßlicher
Mitverantwortung für die Verbrechen in Darfur, derentwegen Bashir vom
Internationalen Strafgerichtshof mit Haftbefehl gesucht wird, steht Ouf
seit 2007 unter US-Sanktionen und stand auch auf Den Haags erster Liste
möglicher wegen Darfur anzuklagender Verantwortlicher. 2010 hatte Bashir
ihn deswegen schon in den Ruhestand versetzt und als Botschafter nach Oman
abgeschoben, bevor er ihn als Verteidigungsminister zurückholte.
Als Minister integrierte Ouf 2017 die gefürchtete Miliz RSF (Rapid Support
Force), hervorgegangen aus den Janjaweed-Milizen Darfurs, in die
Streitkräfte als halbautonome Truppe, nachdem sie davor dem Geheimdienst
unterstellt waren. Das war ein Teil der Politik, Sudans Militärapparat als
Partner Europas bei der Sperrung der Migrationsrouten aus Eritrea hoffähig
zu machen.
Ouf setzte sich damit gegen den mächtigen Geheimdienstchef Salah Gosh durch
– ein Machtkampf, der auch in diesen Tagen eine Rolle beim Umgang des
Regimes mit den Protesten gespielt hat, als die Armee Demonstranten gegen
Scharfschützen des Geheimdienstes schützte.
Der Dachverband der Protestierenden ruft nun zu weiteren Protesten auf:
„Wir lehnen den vom Regime inszenierten Putsch ab, der dieselben Gesichter
und Institutionen reproduziert, die die Nation in Zorn versetzt haben“,
erklärte am Nachmittag der Berufsverband SPA.
Der Wandel in Khartum ist aber keineswegs nur kosmetisch. Schon am Morgen
wurde gemeldet, Vertraute Bashirs und Führungsmitglieder seiner Partei NCP
(National Congerss Party) seien in Haft. Der Geheimdienst verkündete die
Freilassung sämtlicher politischer Gefangener. In mehreren Städten wurden
Regierungsgebäude gestürmt.
11 Apr 2019
## LINKS
[1] /Omar-al-Bashir-von-Armee-abgesetzt/!5587327
[2] /Aufstand-gegen-Sudans-Machthaber/!5584778
[3] /Proteste-gegen-Diktatur-im-Sudan/!5555429
## AUTOREN
Dominic Johnson
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