# taz.de -- „Der illegale Film“ über das Recht am Bild: Selfie-Sticks absc… | |
> „Der illegale Film“ stellt die Frage, wem die vielen Bilder auf der Welt | |
> eigentlich gehören. Seine undogmatische Erzählform ist seine Stärke. | |
Bild: Mächtige Algorithmen sind am Werk: Gesichtserkennung und Emotion Trackin… | |
„Wir machen uns ein Bild von der Welt“, heißt es im Off-Kommentar. Und das | |
stimmt für den Regisseur von „Der illegale Film“ vielleicht noch mehr als | |
für andere. Denn Martin Baer ist Filmemacher und Kameramann, seit | |
Jahrzehnten filmt und fotografiert er andere. Aber: Darf er das überhaupt? | |
Wenn ein Gesicht der angeschlossenen Person gehört – wieso gehört dann das | |
(Ab-)Bild dieses Gesichts dem Fotografen? Wenn man sich an Figuren aus | |
Disney-Filmen erinnert – wieso darf man seine Erinnerungen nicht zeigen? | |
Wem die Bilder gehören – das ist das Leitmotiv des überraschend | |
spielerischen und philosophischen Dokumentarfilms, den Baer gemeinsam mit | |
Claus Wischmann erarbeitet hat. Die Filmemacher zitieren Medienphilosophen | |
wie Vilém Flusser und Autorinnen wie Susan Sontag, lassen | |
Rechtsanwält*innen und Medienexperten zu Wort kommen und collagieren aus | |
neu gedrehtem und vielem zusammengeschnittenen (illegalen?) Archiv- und | |
YouTube-Material ein sprühendes Essay, dessen Form den Inhalt | |
widerspiegelt. | |
Von der Geschichte des Fotografierens bis hin zum Copyright, von der Angst | |
vor Seelendiebstahl bis zum Selfie, vom religiösen „Du darfst dir kein | |
Abbild machen“ bis hin zum wilden Affen, dessen selbstgemachtes Foto einen | |
Urheberstreit auslöste: Baer und Wischmann setzen ihren nachdenklichen, | |
weisen und witzigen Film mitten hinein in die Urheberrechtsreform-Debatte. | |
Anhand des Umgangs mit Bildern weisen sie gesellschaftliche Tendenzen nach: | |
„Das erste wichtige Fotomagazin der USA hieß Life“, erklärt der | |
US-amerikanische Fotografie-Professor, ehemalige Fotoredakteur der New York | |
Times und Autor Fred Ritchin im Film. „Danach gab es das Magazin People. | |
Das nächste hieß Us. Und das aktuelle heißt Self.“ Interessierte einen | |
einst das Leben um einen herum, ist es nun vor allem das Selbst – die | |
Geschichte der Fotografie ist die Sozialgeschichte des Menschen. | |
Baer und Wischmann setzen einen Dokumentarfilm-Ausschnitt aus den 1970ern, | |
in dem Mitgliedern eines Naturvolks vom Regisseur und Autor Jean-Pierre | |
Dutilleux zum ersten Mal ein Spiegel vorgehalten wird und sie ihrem Abbild | |
mit Vorsicht begegnen, ein skurriles YouTube-Video entgegen, in dem ein | |
Mann „Don’t let the camera steal your soul!“ singt. | |
## Nimmt die Fotografie etwas weg? | |
„Es wird einem ja auch ein Teil der Seele geraubt“, sagt der | |
Kunsthistoriker Matthias Bruhn dazu, man wisse eben nicht, was mit einem | |
geschossenen Foto passiert – wird es zerknüllt, werden die Augen | |
ausgestochen, wird es verehrt? Nimmt die Fotografie etwas weg oder fügt sie | |
etwas hinzu? Und wenn man, zum Beispiel aus religiösen Gründen, Bilder | |
generell ablehnt – wozu hat Gott dann den Fotografen erschaffen? | |
Eine große Stärke dieses ideen- und facettenreichen Films ist seine | |
undogmatische Erzählform: Baer, der als roten Faden die Erlebnisse seiner | |
kleinen Tochter mit ihrem neuen digitalen Fotoapparat einwebt, will selbst | |
lernen und wissen – und man folgt seinen Fragen fasziniert. „Meine | |
Erinnerungen gehören Disney“, heißt ein Kapitel, das Walt Disney als selbst | |
dem Kopieren nicht abgeneigten Menschen beschreibt (allein das | |
Disney-Logo-Schloss ist eine Kopie Neuschwansteins), den milliardenschweren | |
Konzern jedoch für das gnadenlose Verfolgen jeder noch so kleinen Nutzung | |
einer geschützten Disney-Figur oder -Schrift kenntlich macht. | |
Folgerichtig zeigt Baer zwar seine Töchter beim Schauen und Mitsingen von | |
„Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ aus ihrem (und Baers) Lieblingsfilm | |
„Dschungelbuch“, die Bilder im Fernseher werden jedoch unkenntlich gemacht. | |
Ein Kapitel widmet sich der Überwachung, ein weiteres der künstlichen | |
Intelligenz. Das schwer umkämpfte und hitzig interpretierbare Copyright, | |
stellt der Film fest, gilt anscheinend nicht für jene Algorithmen, die sich | |
der Milliarden Bilder aus dem Internet bedienen, um immer schlauer und | |
genauer zu werden, um dem menschlichen Auge immer mehr zu ähneln – oder es, | |
wie ein Programmierer im Film begeistert behauptet, eh längst überholt zu | |
haben. Aber apropos: Wenn ein Computerprogramm ein Bild malt – ist es dann | |
schöpferisch tätig? Erschaffen Computer, oder reproduzieren sie? Erschafft | |
ein*e Fotograf*in oder reproduziert er/sie? | |
## Wir überlassen es den Apparaten, uns die Welt zu erklären | |
„Der Mensch vergisst, dass er es war, der die Bilder erzeugte“, wird der | |
hellsichtige Vilém Flusser zitiert. „Er kann sie nicht mehr entziffern.“ | |
Konsequenterweise kann dieser scharfsinnige Dokumentarfilm am Ende keine | |
eindeutige Botschaft präsentieren, die das Thema „Bilder“ ein für allemal | |
abhandelt. Dafür stecken wir viel zu tief drin in der Bilderflut – und | |
überlassen es, so Baer, den Apparaten, uns die Welt zu erklären. | |
Baers kleine Tochter wird irgendwann erleben, dass der Fotoapparat die | |
Wirklichkeit doch nicht hundertprozentig aufzunehmen geschweige denn | |
festzuhalten vermag. Es wird sie nicht vom Fotografieren abhalten. Baer und | |
Wischmann zeigen einen YouTube-Clip, in dem ein Mann mit einem | |
Bolzenschneider die Selfie-Sticks von überraschten (und hernach entzürnten) | |
New-York-TouristInnen abschneidet. Vielleicht ist das auch eine | |
Möglichkeit. | |
11 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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