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# taz.de -- Studien-Koordinator über Nichtwähler: „Durchweg politisch inter…
> In den armen Stadtteilen Bremens wählt weniger als die Hälfte der
> Wahlberechtigten. Die Denkfabrik Stuttgart hat für eine Studie
> Nichtwähler interviewt.
Bild: Werden seit 1975 immer weniger: Wähler*innen bei den Bremer Bürgerschaf…
taz: Herr Tertelmann, sind Langzeitarbeitslose politisch uninteressiert?
Martin Tertelmann: Nein. Tatsächlich hat die Bertelsmann-Stiftung einen
Zusammenhang zwischen Nichtwählen und Langzeitarbeitslosigkeit in allen
deutschen Großstädten nachgewiesen. Aber die 70 Nichtwähler, die wir von
der Denkfabrik Stuttgart in ganz Deutschland – übrigens auch in Bremen –
für unsere Studie interviewt haben, waren durchweg politisch interessiert
und auch gut informiert. Das hat uns auch selbst etwas überrascht.
Warum wählen sie nicht?
Grob zusammengefasst: Die Menschen sind von der Politik enttäuscht. Sie
erleben, dass sich für sie nichts zum Besseren ändert. Die Nicht-Wahl
verstehen viele als politisches Statement: Ihre Stimme abzugeben, würden
sie als falsche Legitimation sehen von etwas, mit dem sie gar nicht
einverstanden sind.
Was genau stört sie denn so?
Sie gehen nicht wählen, weil sie das Gefühl haben, dass sich Politik nicht
für sie interessiert, ihre Lebensleistung nicht anerkennt. Viele
Langzeitarbeitslose haben ja schon 30, 40 Jahre in die Sozialkassen
eingezahlt. Dann gibt es noch das Gefühl, dass Politik nur Politik für die
Reichen macht. Das Gefühl ist auch nicht falsch: Eine Studie von Armin
Schäfer von der Uni Osnabrück hat empirisch belegt, dass die Entscheidungen
in den Parlamenten überwiegend mit den Interessen der Wohlhabenden
übereinstimmen.
Warum sollten sich Parteien auch für die Interessen von Nichtwählern
einsetzen?
Politiker wissen natürlich, wo ihre Stammwähler sitzen. In Stadtbezirke zu
gehen, wo ich geringe Aussichten habe, gewählt zu werden, erscheint
unattraktiv, das kann man verstehen. Aber sie sind Volksvertreter, sie
haben die Pflicht, sich um Belange aller Bürger zu kümmern. Sonst fällt die
Gesellschaft irgendwann auseinander. Es braucht langfristiges Engagement.
In Ihrer Studie sind nicht nur die Befragten, sondern auch die Interviewer
selbst arbeitslos.
Inspiriert hat uns Pierre Bourdieu: Er hat gewusst, dass es nicht gleich
ist, wer das Interview führt. Wenn ein Professor sich mit jemandem aus
prekärer Schicht unterhält, entsteht schon allein durch Sprache, Kleidung,
Habitus ein Gefälle. Uns war die Augenhöhe wichtig, dass die Betroffenen
jemandem gegenübersitzen, der ihre Probleme versteht.
Und das Ergebnis? Gibt es eine realistische Chance, die Nichtwähler zu
erreichen?
Der Titel der Studie, „Gib mir was, was ich wählen kann“, zeigt ja schon,
dass die Menschen die Tür nicht zugeschlagen haben. Sie steht eigentlich
weit offen. Viele Medien kamen nach der Studie auf uns zu und wollten
Interviews mit Nichtwählern führen. Unsere Studienteilnehmer waren gerne
bereit – aber sagten immer wieder: „Ja, aber ich muss Ihnen sagen, ich bin
wieder wählen gegangen.“ Allein die Zuwendung, die Beschäftigung mit dem
Thema hat die Menschen wieder mobilisiert. Das zeigt ja, dass es gar nicht
so schwer ist.
Was müsste also passieren, damit sich Langzeitarbeitslose in Bremen wieder
am demokratischen Prozess beteiligen?
Die Politik muss dafür aufsuchende Formate wählen. In Stuttgart haben wir
das Format „Betroffene berichten. Politiker hören zu“ eingeführt. Eine
Stunde lang erzählen Langzeitarbeitslose von ihrer Lebenssituation, die
Politiker sitzen im Publikum. Danach kommt man ins Gespräch. Ein zweites
Element sind Bürgersprechstunden im Sozialraum. Die Politiker dürfen nicht
in ihrem Büro sitzen und sich beschweren, dass keiner kommt.
Bürgersprechstunden finden in Bremen oft jetzt schon in Einkaufszentren
oder sozialen Einrichtungen statt.
Ich glaube, in Bremen ist das ein bisschen anders, weil die
Arbeitslosigkeit dort größer ist als hier bei uns in Stuttgart. Ich denke,
es ist dort schwieriger, das zu ignorieren.
Am 26. Mai wird in Bremen gewählt. Können Politiker noch etwas tun, um die
Menschen zu erreichen?
Ja. Wir besuchen hier im Projekt „Demokratiebegleitung“ vor den kommenden
Wahlen ein Viertel mit niedriger Wahlbeteiligung, machen Hausbesuche,
Straßeninfostände, erinnern die Menschen daran, zur Wahl zu gehen. Wir
wissen von der Bertelsmannstiftung, dass die Wahlbeteiligung um etwa 10
Prozent nach oben gebracht werden kann, wenn man vor der Wahl durch die
Viertel geht. Das wäre zum Beispiel eine Möglichkeit.
3 Apr 2019
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
## TAGS
Wahlbeteiligung
Bremen
Schwerpunkt Bürgerschaftswahl Bremen 2023
Nichtwähler
Langzeitarbeitslose
Wahlkampf
Anti-Rassismus
Grüne Bremen
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
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