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# taz.de -- Apotheker über medizinisches Cannabis: „Es geht um Lebensqualit�…
> Die Cannabis-Patienten würden immer mehr, sagt Apotheker Florian Heimann.
> Und erklärt, warum sich viele von ihnen noch immer stigmatisiert fühlen.
Bild: Massive Engpässe: Heimann kooperiert mit DHL-Express, um seine KundInnen…
taz: Herr Heimann, Sie leiten im Kölner Raum eine Apotheke. Wie viele
Cannabissorten haben Sie im Sortiment?
Florian Heimann: Wir versuchen immer alles dazuhaben, was in Deutschland
lieferbar ist. Medizinische Cannabissorten werden zurzeit aus Holland und
Kanada importiert. Aus Holland gibt es fünf Sorten, die Kanadier beliefern
Deutschland mit 20, 25 Sorten. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um
Cannabisblüten und Cannabisextrakte.
Wie unterscheiden sich die Sorten?
Der Wirkstoffgehalt ist sehr unterschiedlich. Eine Cannabispflanze hat an
die 100 Cannabinoide. Am bekanntesten ist THC, Tetrahydrocannabinol, das
auch den psychotrophen Effekt hat und deswegen als Betäubungsmittel
eingestuft worden ist. Und das CBD, das Cannabidiol, das keinen
Betäubungsmittelstatus hat. Abgesehen von den 100 Cannabinoiden hat die
Pflanze auch noch verschiedene Terpene.
Wie bitte?
Das sind ätherische Verbindungen, die auch zur Wirkung beitragen. Alles
zusammen ergibt die spezifische Wirkung der Pflanze. Historisch bedingt
gibt es – vereinfacht gesagt – die Varietäten Indica und Sativa.
Indica-Sorten sollen eher körperlich entspannend wirken, bei chronischen
Verkrampfungen etwa könnte Indica angezeigt sein. Bei Appetitlosigkeit,
Übelkeit und Erbrechen würde man eher aktivierende Sativa-Sorten wählen.
Seit März 2017 ist Cannabis in Deutschland [1][als Medikament zugelassen].
An die 100.000 Rezepte haben Ärzte im letzten Jahr ausgestellt. Was
bedeutet das für die Apotheken?
Für die meisten der zirka 20.000 Apotheken in Deutschland ist das Thema
noch relativ neu. Es sind vielleicht zehn bis fünfzehn, die so gut sortiert
sind wie wir. Unser Team ist mittlerweile ausgesprochen gut geschult. Zwei
Mitarbeiter beschäftigen sich Fulltime mit dem Thema. Es ist ja nicht so,
dass ein Cannabiskunde reinkommt und fünf Minuten später wieder weg ist.
Das ist ein sehr beratungsintensives Gebiet. Im Gespräch mit den Kunden
haben wir große Erfahrung gesammelt und viel gelernt. Auch der Austausch
mit anderen engagierten Kollegen hilft uns hier weiter. Durch
Veranstaltungen wie der Cannabis Business Conference …
… die am heutigen Montag in Berlin beginnt …
… erhält man einen Überblick über den Markt, auch aus Sicht der Hersteller
und Großhändler.
Wie wirkt sich die steigende Nachfrage auf Ihr Geschäft aus?
Wir sind immer noch eine normale Apotheke, aber der Cannabis-Patientenstamm
nimmt stark zu. Das hat auch mit unserer Informations-Webseite zu tun, die
wir seit dem vergangenen Herbst anbieten. Man findet uns so relativ
schnell.
Auf Ihrer Webseite sind alle verfügbaren Sorten unter Angabe des
Wirkstoffgehalts aufgelistet. Auch einen kostenlosen Lieferservice bieten
Sie an.
Unsere Apotheke macht im Kölner Raum ohnehin viele Spezialleistungen. Heime
und Pflegedienste werden regelmäßig mit Arzneimitteln beliefert. Zwei Autos
mit Fahrer sind jeden Tag für uns unterwegs. So können wir auch unsere
Cannabis-Stammkunden im Raum Köln beliefern. Trotz der Engpässe auf dem
Markt versuchen wir immer gut lieferfähig zu sein. So was spricht sich
herum.
Sind die [2][Engpässe] wirklich so schlimm, wie behauptet wird?
Ja, das ist massiv. Mittlerweile erreichen uns Anfragen aus ganz
Deutschland. Mit unserem Lieferdienst ist das nicht mehr zu bewältigen. Für
Patienten, die in ihrer Umgebung keine lieferfähige Apotheke finden, haben
wir deshalb mit DHL-Express eine Logistik aufgebaut, die das Medikament im
Einzelfall sicher zu ihnen bringt.
Wie kommt es zu den Engpässen?
Das hat viele Gründe: Die erhöhte Nachfrage, der Aufwand bei den Importen,
vielleicht auch zu wenig Personal bei den Lieferketten und den Behörden,
die das alles prüfen und genehmigen müssen. Auch wenn die Neuregelung jetzt
schon seit zwei Jahren besteht: Nicht alles funktioniert von jetzt auf
gleich. Die Ärzte mussten ja auch erst mal ihre Erfahrungen sammeln.
Die Cannabisagentur des Bundesinstituts für Arzneimittel und
Medizinprodukte hat nunmehr [3][den Anbau von Cannabis in Deutschland
ausgeschrieben]: 10 Tonnen, verteilt auf vier Jahre, sollen hier
erwirtschaftet werden. Wird das helfen, die Situation zu entspannen?
Den kompletten Bedarf in Deutschland wird das wahrscheinlich nicht decken
können. Wir werden immer noch Importe brauchen. Und das ist auch gut, weil
die Variationsbreite wichtig ist. Blutdruckmedikamente gibt es ja auch in
jeglicher Kombination. Selbst wenn es sich um dieselbe Erkrankung handelt –
jeder Mensch reagiert anders. Was die Lieferengpässe betrifft, ist davon
auszugehen, dass sich die Firmen immer besser auf den steigenden Bedarf
einstellen werden.
Wie geht die direkte Versorgung in Ihrer Apotheke vonstatten?
Cannabis geht bei uns genauso offen über den Ladentisch wie eine
Kopfschmerztablette. Wir verstecken das nicht. Wir gehen nicht in ein
gesondertes Räumchen, die Beratung und die Abgabe werden in aller
Öffentlichkeit abgewickelt. Immerhin sprechen wir hier von einer
Arzneipflanze, von der es seit 2.000 Jahren medizinische Aufzeichnungen
gibt.
Mit einem Cannabisdealer, der frei Haus liefert, lassen Sie sich vermutlich
nicht gern vergleichen?
Man kann solche Sprüche machen. Viele Patienten können das zu Recht nicht
mehr hören, und es führt zu einer Stigmatisierung, die keinem hilft. Es
geht ja null darum, den Freizeitkonsum zu fördern. Es geht darum, kranken
Menschen mit riesigen Leidensgeschichten ein Stückchen Lebensqualität
zurückzugeben.
Auf dem Schwarzmarkt in Berlin wird das Gramm Cannabis für 8 bis 12 Euro
gehandelt. Was kostet das Gramm bei Ihnen?
Zwischen Cannabis für den Freizeitkonsum und medizinisch genutzten Sorten
besteht ein großer Unterschied. Bei Letzterem muss eine gleich bleibende
Qualität erzielt und nachgewiesen werden. In der Produktion kostet ein
Gramm Cannabis dann 1, 2 Euro. Bis die Lieferung in Deutschland ist, ist
ein Vielfaches daraus geworden. Der Endpreis in der Apotheke beläuft sich
zurzeit auf zirka 19 bis 28 Euro pro Gramm.
Wer macht solche Preise?
Die Arzneimittelpreisverordnung schreibt vor, wie die Apotheken den Aufwand
für die Prüfung, Herstellung und Abgabe der Rezeptur in Rechnung zu stellen
haben. Die Preisentwicklung ist eindeutig zu hoch. Aber das wird sich
hoffentlich bald ändern. Die Arzneimittelpreisverordnung für die gesamte
Lieferkette soll im Sommer mit der Folge angepasst werden, dass die
Abgabepreise für medizinisches Cannabis sinken werden.
Bei wie vielen Ihrer Patienten übernimmt die Krankenkasse die Kosten?
Wir haben ungefähr 40 Prozent Selbstzahler und 60 Prozent Kassenpatienten.
Die großen Krankenkassen genehmigen eigenen Angaben zufolge ungefähr zwei
Drittel aller Anträge. Ich kenne aber auch viele Leidensgeschichten von
Patienten, die einen Anwalt einschalten mussten, der auf Kostenübernahme
geklagt hat. Bei manchen hat auch das nicht funktioniert.
Wann sind Sie als Apotheker erstmals mit Cannabis in Berührung gekommen?
Das war 2014. Die Verabreichung von Cannabis als Medikament war da noch an
eine Erlaubnis der Bundesopiumstelle (Bopst) des Bundesinstituts für
Arzneimittel und Medizinprodukte geknüpft. Nur wenige Menschen in
Deutschland hatten eine Erlaubnis. Ein Kunde kam eines Tages zu uns. Er
hatte schon viele Apotheken abgeklappert, keiner wollte ihm bei der
Antragsstellung helfen. Wir haben ihm geholfen und der Apotheke damit
gleichzeitig ein neues Geschäftsfeld eröffnet.
Was glauben Sie: Wird die Freigabe von Cannabis als Medikament auch die
Entkriminalisierung von Cannabis als Genussmittel befördern?
Als Apotheker ist es mir wichtig, zwischen medizinischem Cannabis und
Freizeitkonsum zu unterscheiden. Aber wenn es darum geht, mit einer
Entkriminalisierung und kontrollierten Abgaberegelung den Jugendschutz zu
fördern, kann ich das persönlich befürworten.
1 Apr 2019
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## AUTOREN
Plutonia Plarre
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