# taz.de -- Repression gegen Cannabispatienten: Polizei verletzt Kranken | |
> Matthias K. ist Schmerzpatient und auf dem Weg, sich medizinisches | |
> Cannabis zu kaufen. Am Hamburger Hauptbahnhof werfen ihn Polizist*innen | |
> zu Boden. | |
Bild: Legal kiffen klingt gut, ist aber in der Praxis mit vielen Hürden verbun… | |
HAMBURG taz | Für Schmerzpatient*innen, die sich mit Cannabis behandeln, | |
ist es normal, Wege und Widrigkeiten auf sich zu nehmen, um an ihre | |
Medikamente zu kommen. Selbst Gerichtsverfahren gehören dazu – in der Regel | |
aber keine, in denen sie selbst angeklagt werden. Bei Matthias K. ist das | |
anders. Er musste sich am Dienstag wegen tätlichen Angriffs auf | |
Vollstreckungsbeamt*innen und Körperverletzung vor dem Amtsgericht St. | |
Georg in Hamburg verantworten. | |
[1][Seit 2017 können Ärzt*innen Betäubungsmittelrezepte für Cannabis | |
ausstellen], die Krankenkassen müssen dann dafür bezahlen. In der Praxis | |
funktioniert das aber nicht gut, viele Patient*innen müssen ihren Anspruch | |
gegenüber den Krankenkassen vor Gericht einklagen, Ärzt*innen verschreiben | |
das Medikament oft nur ungern, viele Apotheken haben es nicht vorrätig. | |
Matthias K. gilt als schwer behindert, er leidet an Fibromyalgie, einer | |
chronischen Erkrankung, die – neben anderen Symptomen – starke Schmerzen in | |
Muskeln, Gelenken und der Wirbelsäule verursacht. Seit über drei Jahren | |
befindet er sich im Rechtsstreit mit seiner Krankenkasse BKK-VBU. Solange | |
er noch kein Recht bekommen hat, muss er sein Cannabis auf Privatrezept | |
kaufen und selbst bezahlen. Weil die Preise bei den Apotheken sehr | |
unterschiedlich sind, fährt er dazu auch manchmal nach Hamburg, zur | |
Apotheke seines Vertrauens. Doch am 6. September 2018 kam er nicht weit. | |
Als er kiffend vom ZOB zur S-Bahn lief, forderten ihn zwei Polizisten auf, | |
stehen zu bleiben. „Ich laufe immer mit einem Joint herum, denn ich muss | |
rauchen, um überhaupt laufen und stehen zu können“, erklärt K. vor Gericht. | |
„Ich darf das“, habe er dem Polizisten am Bahnhofsvorplatz erwidert, „ich | |
habe ein Rezept“. Der Beamte Wolfgang U. hielt ihn fest. „Ich wollte den | |
Joint beschlagnahmen“, sagt U. vor Gericht. K. habe das nicht zulassen | |
wollen. | |
## „Ich schrie, dass ich nicht atmen konnte“ | |
Während K. in seine Jackentasche griff um seine Brieftasche mit | |
Arztschreiben und Rezept rauszuholen, warfen die Polizisten ihn zu Boden. | |
Verstärkung kam hinzu, zu viert hielten sie den 63-Kilo leichten Mann auf | |
dem Asphalt. Er habe um sich getreten und geschlagen, sagt U. vor Gericht. | |
Dabei habe sich U. eine „leichte Verletzung am Nagelbett“ zugezogen. K. | |
hingegen sagt: „Ein Knie wurde mir in den Nacken gedrückt, ich schrie, dass | |
ich nicht atmen konnte.“ Immer wieder habe er gerufen, dass er | |
Schmerzpatient sei und Rezepte dabei habe. | |
20 bis 25 Minuten lang hätten die Polizist*innen ihn am Boden fixiert, bis | |
eine Polizistin endlich in seine Brieftasche geguckt habe. Da hatten sie es | |
auch geschafft, ihm den Joint aus der geschlossenen Faust zu klauben, indem | |
sie seinen Daumen weit wegbogen, dass ein Arzt später einen Kapselriss | |
feststellte. | |
In der Brieftasche fanden die Beamt*innen neben dem Rezept Geld, das sie | |
für Dealgeld hielten, und brachten ihn zur Wache, wo er sich nackt | |
ausziehen musste. Erst nach fünf Stunden und einem Telefonat mit seiner | |
Apothekerin ließen sie ihn gehen. „Seit ich Cannabispatient bin, wurde ich | |
70 bis 100 Mal auf der Straße kontrolliert“, sagt K. „Aber so aggressiv wie | |
in Hamburg habe ich das noch nie erlebt.“ | |
Die Hamburger Linksfraktion hatte 2018 eine [2][Anfrage zu dem Vorfall | |
gestellt]. Die Abgeordneten fragten unter anderem, welche Anweisung es für | |
Polizist*innen gibt, wenn sie auf kiffende Cannabispatient*innen treffen. | |
Die Antwort: Keine. Daran hat sich bis heute nichts geändert, bestätigt der | |
Polizeisprecher Holger Vehrens. „Es ist immer eine Einzelfallprüfung, | |
deshalb lassen sich Maßnahmen gegen Cannabispatienten auch in Zukunft nicht | |
vermeiden.“ Erst die Vorlage eines Rezeptes und einer Arztbescheinigung | |
könne [3][eine Verdachtslage ausräumen]. | |
## Verhalten der Polizei war wohl rechtswidrig | |
Nach anderthalb Stunden Verhandlung sagt der Richter, an K. gewandt: | |
„Keiner möchte Sie hier wegen tätlichen Angriffs und Körperverletzung | |
verurteilen.“ Im Raum stehe nur noch der Vorwurf des Widerstands, der einen | |
deutlich geringeren Strafrahmen vorsieht als tätlicher Angriff. Der Richter | |
sagt auch: „Ich gehe davon aus, dass der Beamte unverhältnismäßig und damit | |
rechtswidrig gehandelt hat.“ Die körperliche Gewalt gegen K. hätte nicht | |
eingesetzt werden dürfen, der Polizist hätte erst prüfen müssen, ob K. | |
Schmerzpatient ist. | |
Trotzdem folge daraus nicht automatisch ein Freispruch. Um zu einem Urteil | |
zu kommen, müsste man die anderen Beamt*innen laden und abwägen, ob K. | |
damals davon ausgehen konnte, dass die Beamt*innen vorladen – oder man | |
stelle das Verfahren wegen Geringfügigkeit ein. K. will eigentlich | |
freigesprochen werden, aber als der Richter in Aussicht stellt, dass die | |
Staatskasse alle Kosten übernehmen könnte – was sehr unüblich ist – stim… | |
er „schweren Herzens“, wie er sagt, zu. | |
„Die Kostenübernahme sagt viel über die Entscheidung des Richters aus“, | |
sagt K.s Anwalt Klaus Poschmann. Faktisch bedeute sie das Gleiche wie ein | |
Freispruch, nur formal nicht. Bei einem Freispruch hätte aber die | |
Staatsanwaltschaft in Revision gehen können. „Man kann das durchaus als | |
politisches Signal verstehen“, sagt Poschmann. Auch K. ist zufrieden. „Ich | |
hoffe, dass das Signal auch bei der Polizei ankommt“, sagt er. Vielleicht | |
könnten Cannabispatient*innen sich dann irgendwann angstfrei auf der Straße | |
bewegen. Ob K. seinerseits die Polizist*innen wegen Körperverletzung im Amt | |
anzeigt, will er sich noch überlegen. | |
7 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Medizinische-Cannabis-Importe-stocken/!5570423 | |
[2] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/64506/polizeiliches_vorgeh… | |
[3] /Gegen-die-Illegalisierung-von-Cannabis/!5680983 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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