| # taz.de -- Berliner Cannabispolitik: Kiffen soll erforscht werden | |
| > Hanfparade demonstriert am Samstag wie jedes Jahr für die Freigabe von | |
| > Cannabis. Der rot-rot-grüne Senat will im Herbst ein Modellprojekt | |
| > beantragen. | |
| Bild: Nicht mal der Anbau für den Eigenbedarf ist offziell erlaubt | |
| Nach der Arbeit noch kurz zur legalen Verkaufsstelle und ein Gramm für den | |
| Feierabend geholt? Vielleicht ein mildes Hasch zum Entspannen oder doch | |
| lieber ein anregendes Sativa? Für Cannabiskonsumenten sind Möglichkeiten | |
| wie diese in Berlin bisher reine Wunschvorstellungen. Ein im | |
| Koalitionsvertrag beschlossenes [1][Modellprojekt] der rot-rot-grünen | |
| Landesregierung soll in Zukunft aber eine legale Abgabe an registrierte | |
| Personen ermöglichen. Obwohl ähnliche Versuche in der Vergangenheit in | |
| Deutschland allesamt scheiterten, sieht der Senat gute Chancen, das | |
| Vorhaben erfolgreich umzusetzen. | |
| Das Modellprojekt sieht vor, dass Cannabis an mehreren Abgabestellen an | |
| Registrierte verkauft werden kann. Der Preis soll etwas höher sein als auf | |
| dem Schwarzmarkt üblich. Zur Teilnahme berechtigt seien grundsätzlich in | |
| Berlin wohnende Konsument*innen, die über 18 Jahre alt sind. Allerdings | |
| sei geplant, die Teilnehmer*innenzahl auf einen „niedrigen vierstelligen | |
| Bereich“ zu beschränken, erklärt Niklas Schrader, drogenpolitischer | |
| Sprecher der Linksfraktion, gegenüber der taz. Das Modellprojekt solle | |
| zunächst zwei Jahre laufen und könne frühestens 2020 starten. | |
| Geplant ist nun, dass der erforderliche Antrag Ende September beim | |
| zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) | |
| eingereicht wird. Die Behörde entscheidet, ob das Projekt mit dem | |
| Betäubungsmittelgesetz (BtMG) vereinbar ist. Eine legale Abgabe von | |
| Cannabis ist in Deutschland laut BtMG verboten, aber es gibt | |
| Ausnahmeregelungen. Auf diese hatte sich auch das Bezirksamt | |
| Friedrichshain-Kreuzberg 2015 in seinem Antrag berufen, in dem die | |
| Einrichtung eines Coffeeshops in Kreuzberg vorgesehen war. Das BfArM hatte | |
| dem aber eine krachende Abfuhr erteilt. | |
| Um die Chancen einer Genehmigung zu erhöhen, wird das Modellprojekt von | |
| Rot-Rot-Grün nun als wissenschaftliche Studie deklariert. Mit der | |
| Ausarbeitung des Antrags hat der Senat das Hamburger Zentrum für | |
| interdisziplinäre Suchtforschung beauftragt. Ein Modellprojekt, das | |
| wissenschaftlichen Zwecken dient und nicht dazu angetan ist, den Konsum zu | |
| fördern, so die Annahme, falle unter die Ausnahmeregelung. | |
| Das Forschungsinteresse formuliert Niklas Schrader so: „Die Frage ist, ob | |
| es gelingt, mit einer kontrollierten Abgabe die gesundheitsschädigenden | |
| Folgen des Konsums zu mildern.“ In den Cannabisverkaufsstellen sollte es | |
| gleichzeitig auch Beratungsangebote für Konsument*innen geben, etwa | |
| darüber, wie der Konsum risikoärmer gestaltet werden könnte. Auch würden | |
| die Konsument*innen genauestens über den Wirkstoffgehalt der | |
| Cannabisprodukte informiert. Dabei geht es im Wesentlichen um die Anteile | |
| von THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol). | |
| Laut Schrader wird sich das Modellprojekt aber auf eine stark eingegrenzte | |
| Zielgruppe beschränken. Touristen oder Gelegenheitskiffer müssten ihr Gras | |
| weiterhin im Park und anderswo kaufen. „Man wird mit dem Projekt nicht den | |
| Schwarzmarkt in Berlin austrocknen können“, glaubt Schrader. Dafür sei der | |
| Bedarf einfach zu groß. Auch werde man mit dem Projekt nicht verhindern | |
| können, das Dealer weiterhin Gras an Minderjährige verticken. | |
| Das langfristige Ziel, das nicht nur die Linken sondern auch die Grünen | |
| verfolgen, ist, dass Cannabis bundesweit legalisiert wird. „Die | |
| Verbotspolitik ist gescheitert“, sagt Catherina Pieroth, Sprecherin für | |
| Gesundheits- und Drogenpolitik der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Ein | |
| effektiver Jugendschutz sei mit einem Verbot nicht möglich. Das ergebe sich | |
| auch aus einer kürzlich veröffentlichten Studie der Fachstelle für | |
| Suchtberatung. In der Publikation heißt es, Berliner Jugendliche seien | |
| jünger als früher, wenn sie zu kiffen beginnen, und täten dies auch immer | |
| häufiger. | |
| Das Modellprojekt ist daher auch ein politischer Appell an die | |
| Bundespolitik, die Legalisierung voranzutreiben. Sollte das BfArM den | |
| Antrag bewilligen, könnte Berlin Vorbild für andere Städte werden, die dann | |
| ähnliche Projekte durchführen könnten, so Schrader. | |
| Kerstin Jüngling von der Fachstelle für Suchtprävention indes warnt vor | |
| vorzeitiger Euphorie. Zwar sei sie grundsätzlich für eine regulierte Abgabe | |
| von Cannabis, man dürfe aber nicht erwarten, dass eine vollständige | |
| Legalisierung, schon gar nicht ein Modellprojekt alle mit Cannabiskonsum | |
| verbundenen Probleme lösen könne. | |
| „Normalität führt zu höherem Konsum“, sagt Jüngling. Gerade bei | |
| Jugendlichen sei die Gefahr groß, dass Cannabis dann als harmlos verstanden | |
| werde. „Cannabis im Jugendalter richtet ganz schön viel Schaden an.“ Das | |
| gelte besonders für die aktuell im Umlauf befindlichen Sorten, die einen | |
| sehr hohen THC-Gehalt aufwiesen. Zwingende Voraussetzung sei, dass deutlich | |
| mehr in Präventionsmaßnahmen investiert werde, so die Suchtexpertin. Schon | |
| jetzt sei die Nachfrage nach Beratung in ihrer Fachdienststelle deutlich | |
| höher, als das, was man leisten könne. | |
| 9 Aug 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rot-rot-gruene-Drogenpolitik/!5383730&s=Modellprojekt+Cannabis/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jonas Wahmkow | |
| ## TAGS | |
| Hanfparade | |
| Kiffen | |
| Drogenpolitik | |
| Drogen | |
| Cannabis | |
| Polizei Berlin | |
| Lesestück Interview | |
| Cannabis | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Vorstoß zur Cannabis-Legalisierung: Kiffer bleiben unerforscht | |
| Bremens Koalition setzt sich für ein wissenschaftliches Modellprojekt zur | |
| kontrollierten Abgabe von Cannabis ein – die Aussichten sind aber schlecht. | |
| EU-Gericht urteilt zu Hanfblatt im Logo: Symbol regt zum Drogenkauf an | |
| Ein Hanfblatt im Markenzeichen? Schon die Anspielung auf Marihuana verstößt | |
| gegen die öffentliche Ordnung, urteilt das Europäische Gericht. | |
| Drogenhandel in Berlin: Näschen fürs Geschäft | |
| Immer mehr Menschen lassen sich mit Kokain beliefern. Die Polizei und die | |
| Kanalisation bestätigen eine Zunahme von Kokstaxis. | |
| Apotheker über medizinisches Cannabis: „Es geht um Lebensqualität“ | |
| Die Cannabis-Patienten würden immer mehr, sagt Apotheker Florian Heimann. | |
| Und erklärt, warum sich viele von ihnen noch immer stigmatisiert fühlen. | |
| Berliner Hanfparade: „Den Gegnern geht die Puste aus“ | |
| Vor 20 Jahren wurde die Hanfparade gegründet und Hans Cousto ist von Anfang | |
| an dabei. Auch am Samstag wird er wieder auf der Straße sein. | |
| Cannabis in Kreuzberg: „Wir müssen den Handel kontrollieren“ | |
| Friedrichshain-Kreuzberg darf keine Coffeeshops einrichten. Doch das will | |
| der Bezirk nicht hinnehmen. Horst-Dietrich Elvers, Autor des | |
| Coffeeshop-Antrags, erklärt, was er sich von einem Widerspruch erhofft. |