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# taz.de -- Nominiert für den Leipziger Buchpreis: Winterbergs letzte Reise
> Jaroslav Rudiš' deutschsprachiges Debüt will eine Road Novel sein,
> erinnert aber eher an einen Bahn-Roman. Langweilig und gemütlich.
Bild: Rudiš, tschechischer Autor, ist für sein deutschsprachiges Debüt für …
Winterberg ist ein Städtchen im Sauerland. Das Sauerland ist eines dieser
merkwürdigen deutschen Mittelgebirge, ein übermäßig gewellter, ausgebeulter
Landstrich, dessen Städte genauso niedergestreckt wirken wie all die
anderen ausgebombten Städte Westdeutschlands. Eine Gegend zum Vergessen.
Winterberg ist auch der ursprüngliche Name einer Stadt in Tschechien, die
inzwischen Vimperk heißt, und der Name des einen Protagonisten aus dem
neuen, erstmals auf Deutsch geschriebenen Roman des deutsch-tschechischen
Autors Jaroslav Rudiš. Seine bisherigen fünf Romane sind aus dem
Tschechischen übersetzt worden; mit seinem deutschen Debüt hat er es
[1][gleich zu einer Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse]
geschafft.
Winterberg ist ein fast hundertjähriger Moribund, der auf seiner
vermeintlich letzten Reise in Begleitung des Altenpflegers (einer Art
Charon, Fährmann über den Styx, der auch selbst von einer „Überfahrt“
spricht) nach alter Geschichte sucht. Besonders der
preußisch-österreichische Krieg von 1866 und überhaupt das alte Kaiserreich
Österreich-Ungarn haben es ihm angetan. Da liegen irgendwo seine Ahnen
begraben, da liegt auch irgendwo die Liebe seines Lebens, und auch der
Altenpfleger Thomas Kraus stammt daher, aus Tschechien, mit teilweise
deutschen Vorfahren, nämlich genau aus: Vimperk. Also Winterberg.
Geschichte verbindet.
„Winterbergs letzte Reise“ ist eine Art Road Novel, genauer: eine Railroad
Novel durch die Vergangenheit der k.u.k.-Monarchie. Ein Eisenbahn-Roman,
der gleich nach der ersten Etappe (von Berlin nach Leipzig) deutlich an
Fahrt verliert. Man steigt eben schon für die Strecke Leipzig–Dresden auf
die Bummelbahn um. Viele Passagen bestehen aus Vorlesungen und Einordnungen
aus einem alten Reiseführer, dem Baedeker des Habsburger Reichs, erschienen
1913.
## Langeweile sollte selbst nicht langweilig sein
Und so geht es gemütlich dahin. Winterberg ist dabei so etwas wie ein
Thomas-Bernhard-Wiedergänger, der in endlosen Tiraden dahermonologisiert,
während sich der Ich-Erzähler sowohl langweilt wie auch allmählich in
seinen ohnehin vorhandenen Lebensüberdruss sackt. Problem der Darstellung
von Langeweile: Sie sollte selbst besser nicht langweilig sein.
Rudiš versucht es immerhin. Textprobe: „Als Böhme ist man zu dieser
Melancholie verdammt, sagte Bitzan immer, deshalb versucht man immer, so
witzig zu sein, deshalb dieser schreckliche böhmische Humor, egal, ob man
Deutsch oder Tschechisch spricht, nichts hasse ich mehr als diesen
schrecklichen böhmischen Humor, ja, ja, überall, wo ein Böhme auftaucht,
wird erwartet, dass es lustig wird, dass sich der Böhme vor allem über sich
lustig macht …“
Rudiš setzt hier und da ein paar Plotpunkte, die Spannung erzeugen könnten
auf dieser sehr langen Überfahrt. Es tauchen Frauennamen auf und
Gespenster. Es gibt Passagen, die aus Ein-Satz-Zeilen bestehen. Doch dann
beginnt Opa wieder vom Krieg zu erzählen. Also Winterberg von der Schlacht
bei Königgrätz 1866.
## Ächz!
Das Problem ist, dass sich die Handlung insgesamt nur langsam vorwärts
bewegt, der Ablauf vorhersehbar bleibt, die langen Monologe schnell
langweilen, die Metaebene von wegen die Geschichte Mitteleuropas und die
lange untergegangenen Reiche der Mitte und was davon noch heute um uns
herumspukt, eher was für Historiker-Nerds oder tatsächlich
national-identitär (ächz!) Betroffene ist.
„Winterbergs letzte Reise“ als missratenen Abenteuerroman zu bezeichnen,
wäre vielleicht zu hart geurteilt. Aber er kommt halt auch nicht wirklich
in Fahrt.
19 Mar 2019
## LINKS
[1] /Preis-der-Leipziger-Buchmesse/!5573382
## AUTOREN
René Hamann
## TAGS
Eisenbahn
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Literatur
Deutsche Bahn
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