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# taz.de -- Betreuer in der Not II: In der Küche wird der Kaffee kalt
> Juliane Friedrich arbeitet als gesetzliche Betreuerin. Ein Job zwischen
> dem bürokratischen Irrsinn unserer Zeit – und Mitmenschlichkeit.
Bild: Juliane Friedrich will, dass sich ihre Klienten möglichst frei fühlen
„Frau Friedrich?“, ruft es durch die Gegensprechanlage. Thomas Panitsch*
hat schon auf das Klingeln gewartet. Vielleicht stand er sogar auf dem
Balkon des Plattenbaus, irgendwo in Marzahn, und hat sie von Weitem kommen
sehen. Juliane Friedrich steigt die Treppen hoch. Panitsch steht in der
Tür, bittet herein, nur zwei Schritte misst der Flur der winzigen
Einzimmerwohnung. Im Wohnzimmer zwei Sessel, ein Bett, auf das Panitsch
eine Decke geworfen hat, die Modelleisenbahn in der Zimmerecke. Panitsch
verteilt Plätze und Wassergläser. „Ich mach Kaffee, aber nur löslichen.“
Juliane Friedrich packt indessen die dicke Mappe aus, auf der Panitschs
Name und sein Geburtsdatum stehen. Seit vier Jahren ist sie seine
gesetzliche Betreuerin.
Juliane Friedrich ist Sozialpädagogin, Mitte 40. Schon während des Studiums
arbeitete sie in der Wohnbetreuung der Lebenshilfe. „Aber da ist man immer
das letzte Glied in der Kette.“ Friedrich wollte mehr erreichen „für die
Freiheit und Selbstbestimmung der Menschen“. 1999 ließ sie sich zur
gesetzlichen Betreuerin ausbilden. Denen zu ihrem Recht zu verhelfen, die
mit der Regelung ihrer Angelegenheiten nicht klarkommen, ist seitdem ihr
Beruf.
An die erste eigene Klientin kann sie sich noch gut erinnern. „Das vergisst
man nicht.“ Eine Schlaganfallpatientin ohne Angehörige, nicht mehr
ansprechbar. Die Übernahme der Kosten zu klären, ein gutes Sterben
ermöglichen, darum ging es damals. 25 Jahre war Friedrich da alt.
## Die ganze Verwaltung
Heute betreut sie 37 KlientInnen. Thomas Panitsch ist einer von ihnen,
Jahrgang 61. Aufgeregt erzählt er von dem Brand in der Wohnung über ihm,
das dritte Mal in zwei Jahren, die Feuerwehr war da. „Einmal lass ich dem
das noch durchgehen, dann ruf ich den Vermieter an“, sagt Panitsch. Das
meiste könne er alleine, zum Beispiel den Haushalt führen. „Aber die ganze
Verwaltung“ – kopfschüttelnd zeigt Panitsch auf die dicke Akte.
Die schlägt Friedrich jetzt auf, bespricht einen Arztbrief mit ihm. Wie es
ihm jetzt gehe, fragt sie. „Die Beine sind wieder gut, ich kann sogar ein
Stück rennen.“ Morgen will er einen Ausflug machen, wenn das Wetter
mitspielt. Vielleicht zur Mutter. „Meine Mutti ist so krank, das geht ja
schon ans Sterben.“ Die Mutter war früher seine Betreuerin, „da hatten wir
uns oft in der Wolle“. So hat er auch das Loch in die Zimmertür geschlagen,
die endlich mal repariert werden müsste. Panitsch wollte dann keine
Betreuung mehr aus der Verwandtschaft, „gibt nur Streit“.
Wenn Juliane Friedrich zur Betreuerin bestellt wird, dann kommt es ihr erst
einmal auf zwei Dinge an, sagt sie. „Ordnung schaffen“ ist das eine:
Ansprüche klären, sich um Schulden kümmern, Hilfen organisieren. Und auf
der anderen Seite Vertrauen aufbauen, den anderen kennenlernen, immer
wieder seine Wünsche abfragen. Eine Unterstützung will sie sein und
„niemand, der bestimmt, wie jemand zu leben hat“.
Bei den meisten KlientInnen hat sie dafür jeweils sieben Stunden in den
ersten drei Monaten, danach werden es immer weniger. Es gibt Betreute, die
dauerhaft mehr Zeit brauchen, als die Vergütungsordnung derzeit vorsieht.
Schaut sie dann auf die Uhr? „Was erledigt werden muss, erledige ich“, sagt
Friedrich.
Früher habe es eine Mischkalkulation gegeben – die mehr und die weniger
betreuungsintensiven Fälle. Aber inzwischen gebe es eigentlich nur noch
komplizierte Fälle. „Unser System macht viele Menschen
betreuungsbedürftig“, sagt Friedrich. Zu komplex seien die
Antragstellungen, vor allem fehle die Beratung in den Ämtern. „Ich kenne
mich aus, und ich lasse mich nicht abwimmeln, ich lege mich auch mit den
Ämtern an“, sagt Friedrich.
## Zubehör für die Eisenbahn
Die meiste Arbeit passiere im Hintergrund, in dem Büro, das Friedrich
zusätzlich zu den Betreuungen leitet und in dem neben Zeichnungen von
KlientInnen auch die von ihren Kindern hängen. „Die beste Betreuung ist
die, die man nicht merkt.“ Friedrich will keine Kontrollinstanz sein,
möglichst frei sollen sich die Klienten fühlen. Aber sie hat auch schon
Zwangsbehandlungen wie die Einweisung in die Psychiatrie veranlasst. Und es
gibt eine Menge Klienten, die zum Beispiel nicht allein über ihr Geld
verfügen dürfen.
Das ist auch bei Thomas Panitsch so. „Was ist denn noch auf dem Konto
drauf“, fragt er und zeigt wieder auf Friedrichs Akte. Friedrich liest es
ihm vor. „Miete und Strom ist alles bezahlt.“ Panitsch nickt zufrieden und
erzählt jetzt von seiner Eisenbahn. „Brauchen Sie da wieder etwas extra?“,
fragt Friedrich. „Ja machen Sie mal 40 Euro“, sagt Panitsch. Damit kauft er
Zubehör für die große TT und die kleine N-Spur auf der Eisenbahnplatte. Zu
Weihnachten gab es 240 Euro für eine neue Lok.
Panitsch wohnt im betreuten Einzelwohnen, regelmäßig fährt er mit seinem
Wohnbetreuer auf Tour, in Tschechien waren sie schon und im thüringischen
Drognitz, wo Panitsch aufgewachsen ist. Davon will er jetzt Fotos zeigen
und seine Postkartensammlung. „Die kenne ich noch gar nicht“, sagt
Friedrich. Die kleinen Modelle und Figuren, die Panitsch bastelt, hat er
ihr dagegen schon mehrfach gezeigt.
Viele Betreute sind einsam, wird Friedrich später auf dem Weg zurück ins
Büro erzählen. Sie wollen sich gern unterhalten, Kaffee trinken. „Das mache
ich dann quasi nebenbei“, sagt Friedrich. Inzwischen habe sie genug
Erfahrung für die ausreichende Distanz. „Die braucht man, um einige
Schicksale zu ertragen.“ Manchmal sei es trotzdem hart – Friedrich erzählt
von dem Klienten, mit dem sie 2008 sein Leben sortierte. Suchtkrank war er,
hatte binnen kurzer Zeit schwere Schicksalsschläge erlitten, schaffte es
trotzdem, trocken zu werden. Sie half ihm, den Mädchennamen seiner Mutter
anzunehmen, schließlich heiratete er sogar. Dann kam ein Bruch, Friedrich
ging in Elternzeit.
## In den Tod begleiten
Als sie wiederkam, war der Klient verzogen. 2016 rief er an, „ob ich ihn
wieder betreue“. Obdachlos, mit abgelaufenem Personalausweis und nur noch
dem, was er am Leibe trug. „Er hatte alles verloren.“ Noch einmal schafften
sie es, gemeinsam Ordnung herzustellen, eine Wohnung zu organisieren, ein
Leben. Dann kam die Krebsdiagnose, austherapiert. „Jetzt bleibt mir nur
noch, ihn auf dem Weg in den Tod zu begleiten“, sagt Friedrich.
Bei Thomas Panitsch ist der Kaffee kalt geworden in der Kanne,
uneingeschenkt steht er noch in der Küche. „Soll ich mich sonst noch um
irgendetwas kümmern?“, fragt Juliane Friedrich. Die Zimmertür mit dem Loch,
ja, da sollte endlich mal eine neue her. „Es muss doch alles ordentlich
sein“, sagt Panitsch. Er will sie auch selbst bezahlen, schließlich hat er
sie ja eingeschlagen. „Ich kümmere mich darum.“ Friedrich macht eine Notiz,
später wird sie den Vermieter anrufen.
Mit ihr sei so herrlich Ruhe eingekehrt, sagt Thomas Panitsch, kurz bevor
sich Juliane Friedrich für dieses Mal verabschiedet. „Inzwischen mach ich
nüscht mehr kaputt.“
*Name geändert
25 Mar 2019
## AUTOREN
Manuela Heim
## TAGS
Arbeit
Sozialpolitik
Berlin Marzahn-Hellersdorf
Betreuung
Inklusion
Schwerpunkt Armut
Inklusion
bipolare Störung
Psychiatrie
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