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# taz.de -- Die Wahrheit: Was gebraucht wird
> Das, was derzeit in der Welt veranstaltet wird, ist offenes Irrenhaus.
> Geheiligter Amoklauf. Kanonengesegnete Zertrümmerung.
Was hier veranstaltet wird – und wir verwenden die Passivkonstruktion
bewusst, denn es ist ja niemand zuständig, die „Gesetze der Wirtschaft“,
sie sind halt so, wie sie sind, gottgegeben, von der Natur verfügt, dem
„Geist der Geschichte“ inhärent.
Deshalb braucht es mehr, mehr von allem, mehr „Entwicklung“, mehr
„Wachstum“, mehr „Welthandel“, mehr Abiturientenreisen nach Neuseeland,
mehr Mobilität, mehr Daten, mehr Fleisch, mehr Fisch, mehr Krabben, mehr
Avocados, mehr Schweine und mehr Rinder und mehr Biobenzin und mehr
Scheißdreck und mehr Plastik und mehr Blödsinn und mehr „Bildung“ sowieso,
es braucht mehr Müll, mehr Medienangebote, mehr Meinungen, mehr
Militäreinsätze, mehr Matschköppe und mehr Monstertrucker.
Es braucht mehr, von allem und von jedem, es braucht mehr Dreck, es braucht
mehr Druck, es braucht mehr Maßnahmen, wofür und wogegen auch immer, es
braucht mehr, ohne das Mehr bewegt sich nichts, entwickelt sich nichts,
ohne das Mehr „bleiben wir stehen“ …
Warum bleiben wir eigentlich nicht mal stehen? Wäre das der Tod – stehen zu
bleiben und zu gucken, was da ist?
Wir brauchen: mehr Mobilgeräte, mehr Mobilangebote, mehr Mobilwohnungen,
wir brauchen mehr mobile Welten, weil die Welt so deppert ist, da zu sein,
stehen zu bleiben, still zu verharren, wir müssen alles in Bewegung setzen,
wir müssen den Dingen den Marsch blasen, wir müssen die Dinge in Aufruhr
versetzen, wir müssen sie aus ihrem Schlaf reißen, sie auf Trab bringen,
wir müssen sie hineinzerren in den Strudel des Irrsinns und Wahnwitzes, wir
brauchen mehr Ausbeutung, wir brauchen mehr Tötung, wir brauchen mehr
Vernichtung, und wir brauchen, ha!: „grünes Wachstum“.
Das, was hier veranstaltet wird, ist offenes Irrenhaus. Geheiligter
Amoklauf. Kanonengesegnete Zertrümmerung. Das ist alles, was der Fall ist.
Das, was ist, ist das „wissenschaftliche Zeitalter“. Das brauchen wir. Was
wir nicht brauchen: Schönheit, Zartheit, Dezenz, Hingabe.
Wir brauchen Arbeit, wir brauchen Märkte, wir brauchen Fußball und das
freie Werberadio, wir brauchen das Internet, wir brauchen Preisplattformen
und den mündigen Verbraucher, wir brauchen Regeln, wir brauchen Politik,
wir brauchen Preiselbeeren aus Chile, wir brauchen „Top-regionen Im
Globalen Markt Für Essbare Insekten“, wir brauchen Mind-Stations und
Muscle-Farmen, wir brauchen Mystery-Channels und Memory-Websites. Wir
brauchen. Wir brauchen alles. Wir brauchen: alles.
Was wir nicht brauchen: Seen mit Röhricht, halb beschattete Wiesen am
Mischwaldrand, Auen, Moore, Streuobstwiesen, Säume, krumme Linien,
befleckte Flächen, gurgelnde Bäche, lachende Spechte, lästernde Stare,
herumkurvende Kiebitze.
Das brauchen wir nicht, weil das niemand braucht. Es braucht auch niemand
und nichts zu leben, denn das Leben braucht man nicht. Was zählt, ist der
Tod.
21 Mar 2019
## AUTOREN
Jürgen Roth
## TAGS
Wachstum
Wirtschaft
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Stuttgart
Angeln
Funk
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Kulturszene
Frankfurt am Main
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