| # taz.de -- Die Wahrheit: Senderortung, welche Senderortung? | |
| > „Ein korpulenter Mann in hellblauem Anzug winkte mir zu und lud mich ein: | |
| > „Kommen Sie, wir haben das Radio schon eingeschaltet!“ | |
| Bild: Am Frankfurter Osthafen gibt es sie noch, diese Orte der Glückseligkeit | |
| Wir müssen die Quelle der Übertragung finden“, entschied der Techniker. | |
| Weil ich von solchen Dingen überhaupt nichts verstand, fragte ich: „Wie | |
| denn?“ – „Ist doch egal“, meinte der Techniker. „Hauptsache, man kann | |
| Sender damit endlich orten.“ | |
| Wir packten alles, wie es auch heißen mochte, in seinen Lieferwagen. Der | |
| Techniker schloss sämtliche Geräte an und versorgte sie mit Strom aus der | |
| Benzinpumpe. Ich wurde angewiesen, die Richtantenne für die Funkpeilung zu | |
| halten. Sofort waren wieder die nichtmenschlichen Stimmen zu hören. | |
| Die Fahrt begann. „Kann der Sender unter Umständen nicht Hunderte oder | |
| Tausende von Kilometern weit weg sein?“, fragte ich. „Keine Sorge“, | |
| beruhigte mich der Fachmann, „es muss hier irgendwo in der Nähe sein. Das | |
| fühle ich.“ | |
| Wir fuhren die enge alte Hauptverkehrsstraße neben der Bahnlinie entlang | |
| und dann die erste Querstraße links bergauf. Dem Pegelausschlag des | |
| Anzeigegeräts war selbst ohne Lupe zu entnehmen, dass wir uns wahrhaftig | |
| dem Sender näherten. Schließlich hielt der Techniker den Wagen in einem | |
| stillen Sträßchen an, direkt vor einem eingeschossigen, offensichtlich seit | |
| Langem verlassenen Haus. Im Vorgarten wucherten Gras und Wildkräuter, vom | |
| Zaun war nichts mehr übrig. Der Techniker kommentierte: „Hier ist es. Da | |
| drin muss der Sender sein. Sehen Sie sich den Pegelausschlag an.“ | |
| Er hatte recht, es konnte keinen Zweifel geben. „Was jetzt?“, wollte ich | |
| wissen. Wie aus einer anderen Geschichte antwortete der Techniker: „Wir | |
| müssen warten, bis eine Straßenbahn hier hält.“ Das fand ich unsinnig. In | |
| dieser schmalen Siedlungsstraße würde niemals eine Straßenbahn verkehren. | |
| Doch bevor ich diese Tatsache erwähnen konnte, entstand eine Straßenbahn | |
| als grundloses Ereignis auf der Photonenebene. Sie war völlig leer, nicht | |
| einmal einen Fahrer gab es. Die Türen öffneten sich hydraulisch, und der | |
| Techniker stieg schnell ein. | |
| „Machen Sie schnell“, rief er mir zu, „die Bahn fährt gleich ab!“ Obwo… | |
| ich es nicht verstand, beschloss ich, ihm zu folgen. Allein zurückzubleiben | |
| hatte keinen Sinn. Doch plötzlich lag eine große schwarze Masse vor meinen | |
| Füßen. Ob aus Materie bestehend oder nicht, hinderte sie mich daran, auch | |
| nur einen Schritt vorwärts zu machen. Mit Lauten und Gesten forderte mich | |
| der Techniker auf, ebenfalls einzusteigen. Ich versuchte es unter | |
| Aufbietung aller Kraft, schaffte es aber nicht. Die Tür schloss sich. | |
| Der Techniker sah durch das Fenster zu mir heraus. Sein Gesichtsausdruck | |
| wirkte, als sei es lebenswichtig für ihn, dass ich mitfuhr. Die Bahn setzte | |
| sich in Bewegung. In ihrem Inneren erlosch das Licht, dann verschwand sie | |
| restlos. Hinter mir rief jemand meinen Namen. Ich drehte mich um. Vor der | |
| geöffneten Haustür des verlassenen Hauses stand ein korpulenter Mann in | |
| hellblauem Anzug. Er winkte mir zu und lud mich ein: „Kommen Sie, wir haben | |
| das Radio schon eingeschaltet!“ | |
| 18 Jun 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Eugen Egner | |
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