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# taz.de -- Die Wahrheit: Im Wasser die Augen
> Die coole Wahrheit-Sommer-Stoy: Wenn Gesprächsfäden mäandern und
> Schläfrigkeit zum Ziel führt, dann ist Angeln angesagt.
„Wenn du nichts fängst, ist es ein Schneidertag“, sagt Björn, beeindrucke…
fachmännisch gewandet, auf der Fahrt in eine Gegend, die der bei Sinnen
gebliebene Frankfurter in der Regel strikt meidet: die Diffusgemarkungen
Griesheim und Nied, durch die leider der schöne Fluss Nidda zuckeln muss,
weil die Natur einst einen Augenblick lang nicht aufgepasst hat.
Die Nidda ist auf langen Abschnitten so beschaulich wie ein Abwasserkanal
im Ruhrgebiet, gnadenlos begradigt, durch Wehre gepeinigt und am Wochenende
von teuflischem Jungeventvolk belagert, das meint, es sei ein
hinreichender Daseinsbeweis, die Mitwelt mit einer Bumsmusik zu beschallen,
die Goebbels gutgeheißen hätte.
Wir haben vom Angeln weniger Ahnung als von der Relativitätstheorie, doch
der gute Mann nimmt uns Trottel mit. Er neigt stark zur unaufdringlichen
Menschenfreundlichkeit und instruiert uns deshalb lediglich dergestalt,
dass eine Unterhaltung ab und an durchaus im Bereich des Möglichen liege,
am Ufer herumzulatschen indes verschrecke die Fische, die er zu schnappen
gedenke.
Wir sind eh eher fürs Rumsitzen, insofern geht das eins a klar. Björn zieht
eine hochprofessionelle Sitzkiepe mit Rädern und etwa hundert Schubladen
und Fächern hinter sich her, und dann öffnet sich linker Hand plötzlich der
Blick auf einen moosig-metallen oszillierenden, großen Weiher, den
Grill’schen Altarm.
Frau C. und ich gehorchen Freund Björn, breiten eine braune Decke aus und
legen uns hin. So geht das Mitangeln. Frau C. schläft erst mal ein.
Da drüben, am Rande einer kleinen Insel, steht ein Graureiher herum, wie
nur Graureiher herumstehen. Unermüdlich steht er. Dann steht er noch etwas
mehr.
Björn klaubt lebende Maden aus einer Dose. Er habe sie mit Rakı versorgt,
erklärt er, Friedfische stünden auf Maden in Anisdip, und es sei ein Frage
von Minuten, bis er einen am Haken habe, der müsse daraufhin als Köderfisch
dienen, um einen verdammten Hecht anzulocken, Hecht schmecke besonders
fein.
Frau C. schläft gut. Ich blättere in einer Fischbestimmungsbroschüre der
Zeitschrift Blinker. Über uns im Baum knattert ein Buchfink unablässig vor
sich hin, rechts hinten aus dem Wald antworten ihm alsbald zwei weitere
Kameraden mit Kontergesängen. Ein Grünfink schwunscht dazwischen.
## Problemfisch schwer zu fangen
Björn bringt an der hundertfünfzig Meter langen Schnur Bleikugeln
(-schrote) an, holt in weitem Bogen aus und lässt den Schwimmer ins Wasser
fliegen. Frau C. wacht auf. Björn sagt, die Schleie sei ein „Problemfisch“
und schwer zu fangen, der Graureiher steigt mit missmutigen, trägen
Flügelschlägen auf und streicht wie ein Piratensegel über uns hinweg. Jetzt
schlafen wir ein.
Als wir aufwachen, holt Björn die Schnur ein und murmelt: „Maden sind noch
dran, sind nicht ausgenuckelt. Ich angele so lange, wie ich Zeit habe.“
Rechts von uns schmeißt ein offenbar geringfügig unzufriedener Mann seine
halbe Brotzeit ins Wasser. Fische lockt er dadurch nicht an, aber einen
Familientrupp Nilgänse, der selbstsicher herbeihalbkreist, eine
Gesandtschaft jenes schlechtbeleumundeten Neozoons, das unterdessen
Rotmilane aus deren Horsten vertreibt, Enten ertränkt und überdies unserer
grandiosen spätmodernen Freizeitbadgesellschaft, zumal in Frankfurt, schwer
zu schaffen macht und hart zusetzt. Nicht umsonst hielt bereits Alfred
Brehm fest (laut FAZ): „Sie [die Nilgans] gehört zu den herrschsüchtigsten
und boshaftesten Vögeln, die es gibt, und lebt trotz der Vereinigungen, die
sie mit ihresgleichen eingeht, nicht einmal mit diesen in Frieden.“
Die Pose, dreißig, vierzig Meter von uns entfernt, will und will sich nicht
bewegen. Vermutlich ist sie eingeschlafen. Björn grüßt eine vorbeigleitende
Nutria und preist diesen perfiden Invader als „die gechilltesten Tiere,
die’s gibt“.
Frau C. macht nichts, der Graureiher, wieder am Standort, hat ebenfalls
wenig zu tun. Wir beobachten die sonderbaren Wasserläufer, einen
wonnebadenden Stockentenerpel, ein müßiggehendes Höckerschwanenpaar und die
in Bodennähe herumwirrenden fliegenden Ameisen, die sich paaren. „Zuviel
Schönheit ist mir lästig“, hat Charles Bukowski in einer Dokumentation mal
gesagt.
Der Weiher: ein undurchdringlicher Spiegel, Farben gebärend, für die es
keine recht passenden Begriffe gibt, Rabenkrähen ziehen über ihn hinweg,
mit den betont stoischen Flügelschlägen. Die Buchfinkenmännchen dreschen
sich mittlerweile die Schädel ein, und Björn, der hier als Spezialist für
Angelkommunikation ein wohldosiertes Redevorrecht genießt, lässt sich
vernehmen: „Setzt sich doch so ’ne unverschämte Libelle auf meine Pose.“
Er holt erneut aus und jagt den Schwimmer in einem anmutigen Bogen weit
hinaus. Wir gucken.
„Vielleicht gibt es hier gar keine Fische“, flüstert Björn beinah. „Wir
haben die Antiangelenergie, es liegt an uns beiden“, beruhigt ihn Frau C.
Prompt kommt ein höchstens dreizehnjähriger Bengel vorbei, mit einer Angel,
die im Vergleich zu Björns High-end-Equipment wie ein spielzeugartiges
Yps-Gimmick aussieht, und berichtet ungefragt, er habe mit dem Blinker
heute spinnfischend „bloß zwei kleine Hechte und zwei Barsche“ erwischt.
## Köderfisch als Star des Abends
Nach dreieinhalb Stunden steigt Björn auf Mais als Köder um und zieht
ziemlich rasch eine Plötze, ein Rotauge, aus dem Uferbereich heraus,
erledigt sie mit einem Kiemenrundschnitt, spricht zu seinem Köderfisch:
„Tut mir leid für dich, du bist der Star des heutigen Abends“, und
durchstößt die Schwimmblase, damit er keinen Auftrieb hat.
Nun eine schwerere Rute mit mehr Wurfgewicht, Stahlvorfach festknoten,
mörderischen Haken dran, um den Hecht, den „großen Räuber“, niederzuzwin…
und zu richten – und eine Ermahnung an uns: „Ihr müsst euch mehr aufs Töt…
konzentrieren!“
Eine leichte Brise schiebt kleine Wellen auf uns zu, ein Vogel nach dem
anderen hebt rund um das Schlachtfeld zu singen an, ein Seeadler, die
Nutria zu meucheln, käme uns zupass – oder auch ein Fischadler, der Björn
assistieren könnte.
Das faschistische Technogedröhne, von der anderen Seite der Nidda
herüberwehend, nimmt kein Ende, da wäre einzig eine Harpyie, deren letzte
Lebensräume in den tropischen Wäldern der brasilianische Nazi Bolsonaro
gerade zu vernichten beschlossen hat, in der Lage einzuschreiten.
Wenn man sie mal bräuchte, kneifen die Genossen Greifvögel. Björn
schleudert den Köder zum wiederholten Mal wie ein Irrer weit, weit links
rüber zum Teichrosenteppich, unter dem wir alle eine Bande verfluchter
Hechte vermuten.
Passieren tut: nichts – außer dass, dem Anglerfreund zum Hohn, in sicherer
Entfernung zum Schwimmer ständig irgendwelche Fischindividuen aus dem
Wasser springen.
„Die Dinge werden nie so, dass sie nur noch gut sind“, sagt Bukowski.
Immerhin haben wir später einen Grand ohne vier Schneider frei verloren.
22 Jun 2019
## AUTOREN
Jürgen Roth
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