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# taz.de -- Die Wahrheit: Alm über der Idiotenstadt
> In Frankfurt/M. gibt es eine neue Sehenswürdigkeit: die CityAlm. Ein Ort
> der Niedertracht. Eine Blockhütte des Schwachsinns …
Bild: Am Frankfurter Osthafen gibt es sie noch, diese Orte der Glückseligkeit
Nach der Pest, die die gesamte Republik von links oben, von Ostfriesland,
bis rechts unten, bis nach Niederbayern, befallen hat, nach der
Oktoberfestpest, die in jedem Weiler, in jeder Kneipe, in jedem
Sportlerheim und obendrein bald, das Werk des Scheitans, der die
Freizeitgesellschaft erschuf, zu vollenden, vermutlich in jedem
Kinderzimmer wütet, nun auch noch das. Sie lässt nichts aus, die
entfesselte, geldgemästete Event-, Fun- und Rumpelwelt.
Die CityAlm in Frankfurt! Steht man da oben und schaut nach links, blickt
man auf die obere Hälfte des rotbraunen Turms des weitgehend gotischen
Kaiserdoms, eines der letzten soliden, das Auge poussierenden Bauwerke in
dieser vergammelnden und zugrunde kapitalisierten Idiotenstadt Frankfurt.
Dort drüben war Johanna Spyris Heidi sehnsuchtsvoll hinaufgestiegen und sah
dann mit neuerlichem Kummer „auf ein Meer von Dächern, Türmen und
Schornsteinen nieder“. Und doch hatte sie Glück. Nicht gewahren musste sie,
was ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen wäre und was man heuer hier
hingeknallt hat.
In der ohnehin nichtigsten und hässlichsten Ecke der angeblichen Metropole
am inferioren Main, im dämonischen Dunstkreis der dummen Konstablerwache,
wurde sie errichtet, auf dem Dach des Parkhauses hinterm Peek &
Cloppenburg: eine überdimensionierte Blockhütte aus wahrscheinlich sogar
echtem Holz, ein architektonisches Scheusal sondergleichen. Diese
eschatologische Form der Triplikation des Schwachsinns bringt nur Frankfurt
zuwege – Konstablerwache, Parkhaus, Almhütte.
Was sich in der CityAlm, dieser abgeschmackten Fress- und Saufbude on top
of the underworld, neben Bankern und Anwälten (3 l Grey Goose Wodka für 550
Euro) herumtreibt, das sind Ansammlungen von wahrnehmungspsychologisch
desintegrierten Viertelsubjekten, die es aus dem Konsuminferno an der Zeil
herausgespült hat und die karierte rot-weiße Tischdecken und
Lebkuchenherzen, mutmaßlich in China gefertigte Rehgeweihe und „alte“
bäuerliche Gerätschaften an den Wänden für ein Lebensgefühl halten; die
sich an zutiefst bedauernswerten Bedienungen im Dirndl und in der
Krachledernen ergötzen und ihr nicht vorhandenes Gemüt mit arschgeigiger
Après-Ski-Ratschbumm-Musik aufpumpen; die ihren Mägen „Woas Grünes“
(Geißenpeters Almsalat) und „Woas Gscheits“ (Alm-Öhis Käsespätzle) und
fünfzehn „Schnapserl“ zuführen und der allgemeinen Daseinsschrumpfung in
dieser letzten horribel-höllischen Gestalt des
Dampfnudelteilzeitdumpflebens die Kaiserkrone aufsetzen.
Draußen vor der bedauerlicherweise nicht mal knarzenden Tür der
„Innenstadt-Rooftop-Alm“, die der Geschäftsführer „sexy“ findet, ein
Weihnachtsmarkt mit zwölf Glühweinständen auf einer Hackschnitzelunterlage
auf einem Parkhausoberdeck. Sie ist endgültig ausgetickt, die Menschheit.
„Es ist aus. Mit uns ist es aus.“ (Beckett: „Endspiel“)
12 Dec 2017
## AUTOREN
Jürgen Roth
## TAGS
Frankfurt am Main
Gaststätten
Wachstum
Frankfurt am Main
Kulturszene
Landwirtschaft
Franken
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