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# taz.de -- Doku über Islamisten: Den Vogel köpfen, so wie Papa
> Kindheit zwischen Terror und Schule: Der packende Film des syrischen
> Regisseurs Talal Derki über den Islamisten Abu Osama und seine Söhne
Bild: Sie wachsen auf mit der Liebe zu Osama bin Laden: die Söhne von Islamist…
Es ist eine seltsame Mode des Dokumentarfilms geworden, für die
Kinoauswertung deutsche und englische Titel wild zu kombinieren. Im Fall
von „Of Fathers and Sons – Die Kinder des Kalifats“ reiben sich die beiden
Teile regelrecht aneinander. Um was soll es in der Doku gehen, fragt man
sich, um Väter und Söhne oder darum, wie Kinder unter Islamisten
aufwachsen?
Der Unterschied bezeichnet die Trennung von Privatem und Politischem.
Werden die Protagonisten dieses Films als Individuen, als Einzelschicksale
vorgestellt, oder geht es um ein „System“ von Erziehung, um ein Muster?
Wird Talal Derkis Doku auf ein sympathieheischendes „auch Isis-Kämpfer
lieben ihre Kinder“ hinauslaufen oder auf eine Art raunende Warnung vor der
„Brut“, die da heranwächst?
Die Antwort lautet überraschenderweise: beides. Oder auch: keins von
beidem. Denn das wirklich Erstaunliche an „Of Fathers and Sons – Die Kinder
des Kalifats“ ist am Ende seine Offenheit für Interpretation. Das ist in
diesem Fall ein Kompliment und mag erklären, warum der Film etliche Preise
gewann und unter anderem für den Dokumentarfilm-Oscar in diesem Jahr
nominiert war.
Regisseur Talal Derki ist in Damaskus geboren und hat in Athen an der
Filmhochschule studiert. Seit 2014 lebt er in Berlin. Für „Of Fathers and
Sons“ kehrte er für längere Zeit nach Syrien zurück, in eine Gegend, die
von der Al-Nusra-Front beherrscht wurde, einer Al-Qaida-Abspaltung, die
sich dem IS anschloss. Dort filmte er in erster Linie eine Familie, was
unter den Bedingungen der Fundamentalisten automatisch heißt: Er filmte nur
Väter und Söhne. Mütter und Töchter sind so sehr tabu, dass sie nicht nur
nie zu sehen sind, sie werden noch nicht einmal erwähnt. Es sei denn als
völlige Nebensache.
## Undercover im Kriegsgebiet
Wie zur Einstimmung auf die rein männliche Perspektive beginnt auch Derki
seinen Dokumentarfilm mit aus dem Off gesprochenen Worten über seinen
eigenen Vater und dessen Lehren und über seine Rückkehr „ins Land der
Väter“, das zugleich das Land geworden ist, in dem sich die „Menschen nach
Krieg sehnen“.
Kurz filmt Derki dabei sich selbst – in Abenteurerpose als Spiegelung im
Seitenfenster eines Autos, das sich über eine Piste den Weg ins, im
übertragenen wie direkten Sinn, verminte Gebiet bahnt. Er habe sich, so
erklärt er weiter aus dem Off, im Al-Nusra-Front-Territorium als
Kriegsfotograf ausgegeben, der mit den Dschihadisten sympathisiere. Man
möchte sich als Zuschauer nicht wirklich ausmalen, was ihm gedroht hätte,
wenn er „enttarnt“ worden wäre.
So weit mag das alles etwas pathetisch, großspurig und sehr nach
Selbstheroisierung klingen. Aber was danach kommt, ist irritierend anders.
Wie er es geschafft hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben, aber Derki muss
es gelungen sein, sich so gut einzufügen in sein Umfeld, dass die „Helden“
seiner Dokumentation, der Al-Nusra-Kämpfer Abu Osama und seine vier Söhne
im Alter von sechs bis zwölf, ihm sichtlich vertrauen.
## Mitten im Leben eines IS-Kämpfers
Was nicht heißt, dass sie je vergessen hätten, dass es da eine Kamera gibt,
die auf sie gerichtet ist. Im Gegenteil, der manchmal ungeschickte,
manchmal sogar gesuchte Blick direkt in die Kamera wird in Derkis Aufnahmen
geradezu zum Beweis dafür, dass die Szenen nicht gefakt oder gestellt sind.
Zu den vertrauensbildenden Maßnahmen muss gehört haben, dass Derki nichts
filmt, was seinen Protagonisten als Verbrechen ausgelegt werden könnte.
Übrig geblieben ist eine fast lähmende Routine von Herumsitzen, Tee trinken
und den Söhnen bei ihren Spielen zusehen. Und reden natürlich. Abu Osama,
das wird schnell deutlich, redet gerne, zumal mit einem Fremden wie Derki,
der seine Worte einfach aufnimmt.
Das Aufnehmen nämlich verleiht ihnen Größe, eine Bedeutung, die sie ohne
laufende Kamera nicht hätten. Etwa seine Erklärung für seinen Lebensweg:
1974 geboren, sei er „immer schon“ begeistert gewesen von den Taliban in
Afghanistan. Aufregend und ermutigend sei es gewesen, dass sie die Russen
angegriffen hätten. Das Wort „Islam“ habe ihn fasziniert. Osama bin Laden,
Aiman az-Zawahiri – diese Führer würde er lieben … Jenseits des Films und
seiner spannungsvollen Entstehung durch Derkis „Einschleichung“ kann man
mit solchen Plattitüden nur wenig anfangen.
Der Liebe zu den Al-Qaida-Führern hat Abu Osama direkt an seine Söhne
übergeben – indem er sie nach ihnen benannt hat: der zwölfjährige Osama ist
der Älteste, danach kommt Aiman, dann Mohammad Omar, der zum großen Stolz
von Abu Osama 2007 am Jahrestag der Attentate auf das World Trade Center
zur Welt kam. „Gott erhörte mein Gebet“, erläutert er.
## Momente der Verrohung
Diese Großspurigkeit mit ihren immer ein wenig bemüht wirkenden religiösen
Verweisen macht aus Abu Osama erst recht einen „ganz normalen“ Patriarchen.
Und Ähnliches gilt für seine Söhne, deren jungenhafte Neugierde an Derkis
Kamera und der Welt, die sich dahinter zu öffnen scheint, geradezu mit den
Händen zu greifen ist.
Wenn sie sich streiten und der eine beklagt sich beim Vater, dass der
andere schließlich angefangen hat, schafft der Vater mit dem Spruch vom
Klügeren, der nachgibt, und ein paar Fußtritten Ruhe. Es ist (fast) wie
überall auf der Welt, wo Patriarchen noch handgreiflich werden dürfen.
Aber solche Entdeckungen sind eben nur die eine Seite der für
Interpretationen so offenen Dokumentation. Auf der anderen gibt es da die
kleineren, unspektakulären Momente, die den Grad der Verrohung deutlicher
zeigen. Wenn ein Freund des Vaters einen der kleineren Brüder damit
bedroht, ihm mit dem Messer die Haut abzuziehen oder ihn mit einem
Stromkabel zu peitschen, nur im Scherz natürlich, dann scheint der Kleine
offenbar genug von solchen Taten zu wissen, um auch bei scherzhafter
Drohung fast weinen zu müssen.
„Wir haben seinen Kopf heruntergedrückt und ihn abgetrennt, so wie du es
mit dem Mann gemacht hast“, erzählt ein anderer der Jungs seinem Vater von
der erfolgreichen „Hinrichtung“ eines Vogels. Aber haben sie tatsächlich
den Vater einen Mann köpfen sehen? Oder war das „nur“ eine seiner
Erzählungen? Nach Letzteren hört man immerzu fragen, wenn er mit ihnen
durchs karge Gelände spaziert: „Wie hast du das Gebiet befreit, Papa?“ „…
sind deine Kameraden den Märtyrertod gestorben?“
## Militär oder Matheaufgaben?
Derki hat Abu Osama und seine Söhne über den Zeitraum von fast zwei Jahren
hinweg beobachtet. Man stellt sich vor, dass er Hunderte von Stunden
gedreht haben muss. Durch die Auswahl der Szenen, die es in den Film
geschafft haben, macht Derki sehr subtil den einen oder anderen Punkt. Da
gibt es etwa eine Aufnahme, die die drei Jungs beim Schlafengehen zeigt.
Der ältere Osama gibt den jüngeren Brüdern Rechenaufgaben. „Was sind vier
Äpfel geteilt durch zehn?“ Nach ein bisschen Diskussion – der kleine
Mohammad schlägt vor, man könne die Äpfel zerschneiden, dann würde es für
alle reichen – einigen sie sich auf „fünf“ als richtige Antwort. Ist das
Derkis Kommentar zum Bildungsnotstand unter Islamisten?
Später sieht man Osama in Tarnuniform beim Militärtraining, das direkt
Filmen wie „Full Metal Jacket“ abgeguckt scheint. Der kleine Aiman dagegen
darf offenbar in eine „reguläre“ Schule gehen, wo in getrennten Gruppen
sogar Mädchen mitlernen. Dort rechnet er vor, dass 33–27=6 ergibt – es ist
der hoffnungsvollste Moment des ganzen Films.
21 Mar 2019
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
Islamismus
Dokumentarfilm
Syrischer Bürgerkrieg
Krieg
Theater
Türkei
„Islamischer Staat“ (IS)
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