Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sozialphilosophin über Frauenhass: „Misogynie ist sehr beharrlic…
> Kate Manne legt in ihrem neuen Buch „Down Girl“ die krude Logik und
> Komplexität patriarchaler Strukturen offen. Frauen, die aus der Reihe
> tanzen, werden bestraft.
Bild: Chile, Santiago: Demonstrantinnen gingen am Frauentag 2019 gegen Gewalt a…
taz: Frau Manne, Sie erwähnen in Ihrem Buch, dass die deutsche Kanzlerin
Angela Merkel [1][„Mutti“ genannt wird]. Hat diese Verniedlichung etwas mit
Misogynie zu tun?
Kate Manne: Ich bin vorsichtig, wenn es um soziale Interpretationen
kultureller Kontexte geht, in denen ich keine Insiderin bin. Aber ja,
möglicherweise hat sie etwas damit zu tun. „Mutti“ ist eine sehr vertraute
Ansprache, was etwas Sexistisches haben kann. Der Kontext, in dem ich über
diese Ansprache nachgedacht habe, war die Gewohnheit in den USA und auch in
meinem Heimatland Australien, Politikerinnen nur beim Vornamen zu nennen.
Was ist daran misogyn?
Bei Hillary Clinton mag der Vorname noch einen gewissen Sinn gehabt haben,
um sie von Bill Clinton zu unterscheiden. Aber im Fall von Julia Gillard,
der ersten australischen Premierministerin, gab es diesen rationalen Grund
nicht. In ihrem Fall war man offenbar nicht bereit, auf die respektvolle
Form zu bestehen, sondern schlug einen unangemessen persönlichen Ton an.
Misogynie wird im allgemeinen Sprachgebrauch als Hass gegen Frauen
verstanden, als etwas, was Männer fühlen. Sie definieren sie nun aber als
Erfahrungen wie diese, die Frauen machen. Warum wechseln Sie die
Perspektive?
Es gibt eine naive, lexikalische Definition von Misogynie, mit der man
leicht der Versuchung erliegen kann, Misogynie psychologisch zu
interpretieren – als ein Gefühl im Herzen von Männern. Ein Problem mit
dieser Definition ist, dass Misogynie damit sehr selten vorkäme.
Warum?
Weil Frauen in einem patriarchalen System dahingehend sozialisiert sind, zu
dienen, zu gefallen und gemocht zu werden. Es würde überraschen und hätte
psychologisch wenig Sinn, wenn Männer in einer solchen Kultur für wirklich
jede Frau Hass empfinden würde. Zudem können wir kaum wissen, welche
Emotion eine Person wirklich empfindet. Aus der Perspektive der
Zielobjekte, der Frauen, wäre Misogynie mit dieser naiven Definition sehr
schwer erkennbar.
Was also ist Misogynie für Sie?
Ich schlage eine stärker opferzentrierte Konzeption vor, die sich mit
der Feindlichkeit und dem Hass auseinandersetzt, der Frauen
entgegenschlägt.
Ist der nicht schlicht eine Ausprägung von Sexismus?
Sexismus und Misogynie hängen eng zusammen. Ich verstehe Sexismus als die
Glaubenssätze, die versuchen, die untergeordneten Positionen von Frauen zu
rechtfertigen. Sexismus stellt Geschlechterunterschiede als naturgegeben
hin, seine Ideologie besteht aus Annahmen oder Klischees wie dem, dass
Frauen generell fürsorglicher seien als Männer. Misogynie hingegen setzt
das System durch: Sie ist die Exekutive des Patriarchats.
Sie schreiben, in patriarchalen Gesellschaften gebe es eine [2][ungleiche,
gendergeprägte Ökonomie] von Geben und Nehmen. Von einer Frau wird
erwartet, sozial zu sein, sexuell zur Verfügung zu stehen, Bewunderung zu
geben, dankbar zu sein. Demgegenüber genießt ein Mann bestimmte
Privilegien: Ihm stehen Autorität und Macht zu. Wie kann sich Misogynie
dabei konkret äußern?
Misogynie kann so vielfältig sichtbar werden, dass es fast schwer fällt,
sie zu katalogisieren. Wenn eine Frau zum Beispiel in einem Meeting sehr
geradeheraus ist und eine Idee pushen will, die ein männlicher Kollege
nicht teilt, kann sich Misogynie schlicht darin äußern, dass der Frau das
verübelt wird, dass dieser oder ein anderer Kollege sie zurückweist, dass
sie als aggressiv wahrgenommen wird. Vielleicht macht man sich über ihren
Charakter lustig, vielleicht äußert sich Misogynie an dieser Stelle nur als
etwas Subtiles, Unangenehmes – aber es kann bis hin zu sexualisierter oder
häuslicher Gewalt gehen.
Können wir Bürosituationen wirklich mit sexualisierter Gewalt vergleichen?
Natürlich gibt es sehr große Unterschiede in der Frage, wie ernst und
verletzend diese Formen von Misogynie sind. Aber die gemeinsame Bedrohung
liegt darin, eine Frau dafür zu bestrafen, in irgendeiner Form aus der
Reihe zu tanzen und patriarchale Normen und Erwartungen zu unterlaufen.
Ein Beispiel, das Sie schon angesprochen haben, ist Hillary Clinton, die
2016 die [3][Präsidentschaftswahl gegen Trump] verloren hat.
Hillary Clinton wurde sowohl von rechts als auch von links enorm
attackiert. Oft wurde ihr gegenüber eine Art moralische Empörung geäußert.
Sie wurde als Bitch, als Hexe, als Lügnerin bezeichnet, als nicht
vertrauenswürdig und nicht authentisch, als fies, falsch und nicht
warmherzig.
Manche sehen als Grund für diese Anschuldigungen ihre Nähe zur Wall Street.
Warum soll sie wegen Misogynie die Wahl verloren haben?
Manche Kritik an Hillary Clinton mag berechtigt gewesen sein. Aber vielfach
waren die Anschuldigungen vollkommen aufgeblasen – und das ist Misogynie.
Häufig war, was vorgebracht wurde, ätzend und exzessiv verdammend, obwohl
viele Menschen auch angesichts ihrer politischen Vorstellungen in ihrem
Urteil eigentlich hätten vorsichtiger sein müssen. Auf eine ähnliche Art
und Weise wie über Clinton wurde übrigens auch über Julia Gillard
gesprochen.
Wie kommt es, dass trotzdem mehr als die Hälfte aller weißen Frauen, die
bei dieser Wahl ihre Stimme abgegeben haben, den offen misogynen Trump
gewählt haben?
Wir werden daran gewöhnt, loyal zu mächtigen weißen Männern zu sein, indem
wir ihre Motive oder ihr Verhalten nicht infrage stellen – auch dann nicht,
wenn sie sich, wie in Trumps Fall, sexueller Belästigung oder sogar
sexuellen Übergriffen schuldig gemacht haben. Wir lernen, diese Männer zu
schützen und ihren Ruf aufrecht zu erhalten, und wir werden bestraft, wenn
wir es nicht tun. Für weibliche Solidarität ist das desaströs.
In diesem Fall, in der Wahlkabine, hätte niemand die Frauen bestrafen
können. Niemand hätte gemerkt, wenn sie ihr Kreuz bei Clinton gemacht
hätten.
Das stimmt. Aber wir handeln nach internalisierten moralischen
Verpflichtungen, die nicht nur in Situationen greifen, die öffentlich sind.
Wenn wir daran gewöhnt sind, eher loyal zu Männern als zu Frauen zu sein,
hat das Auswirkungen auch auf unser Verhalten in der Wahlkabine.
Ist es das, was Sie als „Himpathy“ bezeichnen, als Empathie mit dem
männlichen Täter?
Himpathy ist ein strukturell zumindest sehr ähnliches Phänomen. Frauen
zeigen oft einen großen Widerwillen, den sprichwörtlichen „Golden Boy“ f�…
sein schlechtes und misogynes Verhalten verantwortlich zu machen, sie
zeigen tatsächlich Sympathie eher für ihn als für seine weiblichen Opfer –
sogar in Fällen von erwiesenen sexualisierten Übergriffen.
Das englischsprachige Original Ihres Buchs war bereits geschrieben, als
#MeToo entstand. War das nicht eine weibliche Form von Solidarität, die mit
Himpathy gebrochen hat?
Ja, ich glaube, dass die #MeToo-Bewegung ein Beispiel für weibliche
Solidarität ist. Erfahrungen wie die, die Frauen dabei öffentlich gemacht
haben, sind sehr verbreitet. #MeToo hat das kollektive Bewusstsein dafür
geschärft sowie die kollektive Bereitschaft, Frauen zuzuhören, wesentlich
verbessert. Wir müssen das zwar als fortlaufenden Kampf verstehen, aber wir
können uns nun schon besser auf die Bedürfnisse und Rechte von Opfern
konzentrieren, anstatt zu viel Sympathie gegenüber männlichen Tätern zu
haben.
Können wir angesichts solcher Entwicklungen davon ausgehen, dass Misogynie
automatisch abnimmt, weil sich Geschlechterrollen auflösen und das
Patriarchat zumindest strauchelt?
Nichts passiert automatisch. Fast die gesamte Geschichte der Menschheit war
patriarchal geprägt, nur in der jüngsten Zeit gab es wenig tatsächlichen
egalitären Fortschritt. Aber Misogynie ist sehr beharrlich. Wir müssen
wachsam sein und weiter kämpfen.
Was können wir tun?
Ich wünschte, ich hätte eine bessere Antwort auf diese Frage. Wir brauchen
Wissen und konzeptuelle Werkzeuge, um Misogynie zu erkennen und zu
benennen, so dass sie nicht mehr geleugnet werden kann. Nur so können wir
uns ihr letztlich widersetzen. Frauen, Menschen, können durch Wissen
empowert werden, Lösungen für viele einzelne und oft alltägliche
Situationen misogyner Aggression zu finden. Das ist wichtig – sowohl für
die Menschen selbst als auch dafür, dass wir in dieser Hinsicht
Fortschritte machen.
21 Mar 2019
## LINKS
[1] /Kolumne-Liebeserklaerung/!5450493
[2] /Gastkommentar-Equal-Pay-Day/!5578458
[3] /Kandidat-fuer-die-US-Praesidentschaftswahl/!5574533
## AUTOREN
Patricia Hecht
## TAGS
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Sexismus
Donald Trump
Schwerpunkt #metoo
taz.gazete
taz.gazete
Dokumentarfilm
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
## ARTIKEL ZUM THEMA
Buch „Afrotopia“: „Der“ afrikanische Mensch
Felwine Sarr ist eine wichtige Stimme im Streit um koloniale Raubobjekte.
Doch sein Buch ist ein Pamphlet für ahnungslose Kulturalisten.
Aktivist und Jurist zu White Supremacy: „Ich fühle mich nicht mehr sicher“
Der US-amerikanische Jura-Professor Khaled Beydoun erinnert auf Twitter an
die Geschichten der Christchurch-Opfer. Auch Trumps Rhetorik ermuntere zu
Verbrechen.
Buch „Sexuell verfügbar“: Auf Onkels Schoß
Das Bewusstsein für Genderungerechtigkeiten verändert sich. Unser Verhalten
nicht. Die Journalistin Caroline Rosales über die Macht von Bildern.
Dokumentation über Ruth Bader Ginsburg: Schwarze Brille und Spitzenjabots
Die Doku „RBG – Ein Leben für die Gerechtigkeit“ porträtiert die Ikone …
Richterin am US-Supreme Court, Ruth Bader Ginsburg.
Kommentar Frauen im Bundestag: Vorne machen es die Männer
Im nächsten Bundestag werden noch weniger Frauen sitzen. Woran liegt das?
An den Männern, die immer nach vorne wollen, oder an Strukturen?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.