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# taz.de -- Live-Auftritt einer Online-Satirezeitung: Fake News, abendfüllend
> Aus dem ORF verbannt, wird „Die Tagespresse“ auf der Bühne im Wiener
> Rabenhof Theater lebendig – als politisches Kabarett.
Bild: Nachrichtenmoderator Paul Kraker, im Hintergrund Nicholas Ofczarek im The…
In Zeiten, da es politisch nichts zu lachen gibt, gedeiht das politische
Kabarett. Das beweist auch das Team von der Tagespresse, einer
Online-Satirezeitung, die sich erstmals vor echtem Publikum versucht.
Kulisse sind die Monitore eines Nachrichtenstudios, vor denen der echte
Nachrichtenmoderator Paul Kraker als einziger live auftretender Akteur im
Stile der Zeit im Bild die Fernsehnachrichten verliest. Anders als Oliver
Welke in der Heute Show verzichtete der Profi, der am nächsten Morgen
wieder in den Frühnachrichten auf Ö1 zu hören war, dabei auf Mimik und
witzige Kommentare. Das kann bei zahlendem Publikum nicht abendfüllend für
gute Laune sorgen, ist man gewillt zu denken. Doch das Konzept geht auf.
Einer Regierung, die mit entwaffnender Humorlosigkeit daran geht, Spuren
sozialdemokratischer Reformpolitik konsequent zu tilgen und den rechten
Mainstream auf viele Jahre zu verankern, kann man nur mit Satire angemessen
begegnen. Das gelingt nicht zuletzt durch die Beiträge bekannter
Schauspieler, allen voran ein Videoblog eines schlagenden
Burschenschafters, brillant dargestellt von Nicholas Ofczarek.
Die Tagespresse, 2013 von jungen Studenten gegründet, entwickelt aus
tatsächlichen Meldungen satirisch überhöhte Nachrichten. Material dafür
liefert die tägliche Politik reichlich. Der Versuch, dieses im Internet
erfolgreiche Konzept – immerhin 3.500 Abonnenten zahlen monatlich 3 Euro –
im Fernsehen zu etablieren, war von keinem nachhaltigen Erfolg begleitet.
Nach nur einer Staffel wurde das Programm abgesetzt. Für 30 Minuten
herzhaftes Lachen reichte es nicht.
Und eine Neuauflage ist in einem von der Regierungsmehrheit zunehmend unter
Druck geratenen ORF nicht zu erwarten. Bei der Premiere von „Schwarz-Blau
Unzensuriert“ im Wiener Rabenhof Theater wurde jedenfalls 100 Minuten
gelacht. Vorausgesetzt wurde eine gewisse Kenntnis der Politik und der
ORF-Fernsehprogramme.
## Fake News
Schon der Titel ist eine Anspielung: Unzensuriert.at ist ein FPÖ-nahes
rechtsextremes Nachrichtenportal, das auch gerne Fake News transportiert.
In einer Parodie auf die kultige Kuppelsendung Liebesg’schichten &
Heiratssachen tritt der bekennende Prolet Mathias, 31, aus Wien auf, der
sich von seiner langjährigen Liebe, der SPÖ, abgewandt hat und mit der FPÖ
eine neue Partnerschaft einging.
Interviewt von der rauchigen Stimme der Originalsendungsmacherin Elisabeth
T. Spira, berichtet er von einer kurzen Romanze, bis er entdeckt, dass die
neue Geliebte ihn nach Strich und Faden ausnimmt und ihn mit einem Russen
betrügt. Die Pointe: Er darf zu Hause rauchen und auf der Autobahn 140 km/h
fahren. Deswegen nimmt er die Nachteile in Kauf und bleibt der neuen
Partnerin treu.
Das Lachen bleibt einem im Halse stecken, denn tatsächlich ist das ein
gelungenes Porträt eines typischen FPÖ-Wählers, der aus Protest gegen was
auch immer bei den Rechtspopulisten gelandet ist und sich durch Fakten
nicht irritieren lässt. Die Aufhebung des Rauchverbots in Lokalen und
Experimente mit Tempo 140 sind nach einem Jahr Regierung die einzigen
nachweisbaren Leistungen der FPÖ, die mit Putin liebäugelt und Kanzler
Sebastian Kurz’ (ÖVP) Kurs zugunsten der Interessen seiner Großspender aus
der Industrie willig unterstützt.
## FPÖ-Granden als verkappte Nazis
Diesem Muster folgt der ganze Abend, in dessen Verlauf angebliche
Volksschulunterlagen des jungen Sebastian Kurz präsentiert werden, „die
seinen Werdegang schon damals vermuten lassen“. Neben vielen subtilen
Anspielungen mangelt es auch nicht an erwartbaren Pointen, wenn etwa
sämtliche FPÖ-Granden als verkappte Nazis dargestellt werden.
Doch im Interesse der politischen Ausgewogenheit bekommt auch die
Opposition ihr Fett ab. Dafür bietet sie schließlich reichlich Anlass. Etwa
die ehemalige Grünen-Chefin Eva Glawischnig, die nach ihrer politischen
Karriere ausgerechnet beim Glücksspielkonzern Novomatic anheuerte, dessen
Praktiken sie jahrelang bekämpft hatte. Sie wird als anonymisierte Eva G.
mit entstellter Stimme ins Bild gerückt, die beichtet, wie sie in ihrer
Spielsucht eine ganze Partei verzockt hat. Bekanntlich flogen die Grünen
bei den jüngsten Wahlen aus dem Nationalrat.
Die Opposition mag in Österreich durch eigenes Versagen und geschickte
Selbstdarstellung der Regierung derzeit neutralisiert sein, doch das
politische Kabarett lebt.
20 Feb 2019
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
Tagespresse
Satirezeitung
Wiener Rabenhof Theater
Österreich
Kabarett
Bayern
Junges Theater
Rechtspopulismus
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