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# taz.de -- Kolumne American Pie: Uhu, aha, so mögen sie's
> Der FC St. Pauli hat nicht nur in Hamburg seine Fans, sondern auch in New
> York. Dort treffen sie sich in der East River Bar.
Bild: Eine Flagge, beliebt in Hamburg – und in New York
JahJah Brown hat nicht wirklich was mit Fußball am Hut, und die Major
League Soccer interessiert ihn nicht die Bohne. Aber jetzt, als Christopher
Buchtmann von halbrechts in die obere Ecke des Tors vom FC Erzgebirge Aue
trifft, ist JahJah ganz aus dem Häuschen. Er springt auf und stimmt in den
Pauli-Fan-Song „That’s the way – aha aha – we like it“ ein, der durch…
East River Bar in Brooklyn donnert.
JahJah ist ein Skatepunk aus der Bronx, seine Arme sind mit
Bart-Simpson-Tattoos übersät. In die Bar, wo sich an jedem Wochenende der
New Yorker [1][FC-St.-Pauli-Fanclub „East River Pirates“] trifft, hat es
ihn verschlagen, als er mit seiner HipHop-Punkband Ninjasonik hier gespielt
hat. Als er erfuhr, dass die meisten Pirates bekennende antifaschistische
Linke sind, trat er dem Fanclub bei.
„Etwa die Hälfte der Leute sind wegen der Stimmung und der Politik hier“,
sagt Leif Starke, der seit Jahren in die Bar unter der Brooklyn Bridge
kommt, um sich eine Prise Millerntor abzuholen. Die andere Hälfte sind, wie
er, waschechte Pauli-Fans in der Diaspora.
Starke ist in New York in einer deutschen Familie geboren, doch hat er
prägende Jahre in Hamburg verbracht. Und natürlich wurde er mit seinen
linken Tendenzen und seiner Punk-Affinität in die Fan-Kultur des FC St.
Pauli hineingezogen.
## Vieles wirkt vorkommerziell
So landete er, als er beruflich wieder nach New York zurückkehrte,
zwangsläufig in der East River Bar, die ein wenig wie ein Ableger der
Hamburger Original-Fankneipe Jolly Roger wirkt. Die abgewetzten Bohlen sind
bierdurchtränkt und modrig. Im Hinterzimmer schart sich eine Gruppe
tätowierter Fahrradkuriere um einen windschiefen Billardtisch. Rund um die
Bar hängen St.-Pauli-Fahnen und ein von den Spielern signiertes Trikot.
Die Kneipe liegt einige Straßenzüge vom Zentrum des Hipster-Viertels
Williamsburg entfernt. Hier aber wirkt alles noch recht vorkommerziell.
Der polnische Besitzer Marek Gregorski schenkt Fassbier für 4 Dollar aus –
sonst legt man mindestens 7 auf die Theke.
Als Leif Starke, Endzwanziger mit Bart und punkig rasierten Schläfen, vor
rund zehn Jahren anfing, in die Bar zu kommen, bildeten die Handvoll
Pauli-Fans eine Interessengemeinschaft mit schottischen Fans von [2][Celtic
Glasgow]. Es war die Zeit, in der der europäische Fußball populärer wurde,
die urbane Elite hob sich vom amerikanischen Mainstream ab, in dem sie sich
für die europäischen Fußballligen interessierte statt für die NFL oder
Major League Baseball.
Doch die Brooklyner Fans, die sich damals „Borough Boys“ nannten, wollten
sich von der Fan-Kultur abheben, die man mit den Yuppies aus Manhattan in
Verbindung brachte. Man suchte das Undergroundige, Authentische, das es
nirgends zu streamen gab. Die Spiele in der East River Bar wurden auf
VHS-Kassetten geschaut, die per Schneckenpost den Weg nach Brooklyn fanden.
## Abschied mit Mittelfinger
Das ist heute anders. Fanclub-Präsident Sören Thode, lebenslanger Pauli-Fan
aus Dithmarschen, streamt die Spiele von StPauliTV direkt auf den
Kneipenbildschirm. Das klappt leider nicht immer, die versammelten Fans
müssen mehrfach das „Inter-Net, Inter-Net, Inter-Net“ anfeuern, bis es sich
warm gelaufen hat und aus der Pufferzone rauskommt.
Der Schankraum teilt sich mittlerweile in zwei Hälften, in einem sitzt der
harte Kern der East River Pirates mit ihren Totenkopf-T-Shirts. Unter ihnen
eine Delegation der antifaschistischen Brigade Brooklyn, die nach dem
Führungstreffer „Siamo tutti Anti-Fascisti“ anstimmen.
Die andere Hälfte gehört neu angekommenen Neugierigen, die durch einen
Artikel in der New York Times hergelockt wurden. Darunter zwei Reporter der
Bild, die schon von Beginn des Abends an den Zorn der Pauli-Fans auf sich
gezogen haben. So kommt es beinahe zu einem Handgemenge. Thode kann sich
kaum im Zaum halten, „dass diese populistischen Arschlöcher hier
auftauchen“.
Kurz darauf werden die Männer von der Bild mit ausgestrecktem Mittelfinger
verabschiedet. Die Stimmung entspannt sich, obwohl Pauli sich mit 2:1 den
Gästen geschlagen geben muss. JahJah Brown grinst verklärt, der Abend hat
ihn in eine beduselte Glückseligkeit versetzt. Beim Abschied verpasst er
jedem eine Umarmung und ein punkfremdes Geständnis inniger Zuneigung. Dann
fällt die Kneipentür zu und das Millerntor ist wieder 6.000 Kilometer weit
entfernt.
2 Mar 2019
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## AUTOREN
Sebastian Moll
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