Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kommentar Lust an der Demütigung: Schalke, j’accuse!
> Nach dem Debakel gegen Düsseldorf liegen auf Schalke die Nerven blank.
> Woran es erinnern kann, wenn Fans wie hoheitliche Vertreter auftreten.
Bild: Nomen est omen: Der Verein heißt nicht nur Schalke 04, er spielt auch ge…
Sie werden sehr stolz auf sich gewesen sein, die französischen Militärs,
die den angeblichen Landesverräter Alfred Dreyfus am 5. Januar 1895 zu
seiner öffentlichen Degradierung brachten, bei der ein Offizier ihm die
Epauletten von der Uniform riss, sie zu Boden warf und anschließend seinen
Säbel zerbrach. Aus historischen Zeichnungen wissen wir, dass Dreyfus, elf
Jahre später rehabilitiert, während dieser Demütigung militärisch korrekte
Haltung bewahrt hat.
Auch die Zuschauerreaktionen wurden festgehalten: Auf dem gemalten
Titelbild der sieben Tage später erscheinenden Le Monde illustré sind
klatschende, vermutlich grölende Menschen zu sehen. Einige sind auf Bäume
geklettert, um die Szene besser überblicken zu können, ein am Rand
stehender, gut gekleideter Mann hat seinen Spazierstock erhoben, als wolle
er die Meute anfeuern.
Womit wir zu einer modernen Degradierung kommen, bei der es allerdings kein
Happy End und schon gar keine Helden gibt. Wie genau sich die beiden
Abgesandten der Ultras Gelsenkirchen fühlten, die am Samstag nach Schalkes
0:4-Niederlage gegen Fortuna Düsseldorf Benjamin Stambouli noch auf dem
Rasen die Kapitänsbinde abnahmen, ist nicht bekannt.
Vermutlich waren sie stolz auf sich, nicht wenige Fußballfans bezichtigen
Spieler schließlich gern des Verrats am Verein, wenn alles nicht so läuft,
wie sie sich das vorstellen. Und Verräter, darin sind sich erstaunlich
viele Anhänger nicht nur von Schalke mit den damaligen Gegnern von Dreyfus
einig, gehören bestraft, öffentlich gedemütigt und verhöhnt.
Im Übrigen dürften sich die beiden Ultras im Recht gefühlt haben, denn sie
hatten Stambouli ja nicht irgendeine Kapitänsbinde abgenommen, sondern die
von ihnen designte, weswegen das Ding auch nicht einfach abgerissen und zu
Boden geworfen, sondern fein säuberlich zusammengefaltet wurde, um fortan
vermutlich nicht nur als Trophäe zu gelten, die man kommenden Generationen
stolz präsentieren kann, sondern auch als Mahnung zu dienen, was mit
Verrätern passiert.
## Die Kita „Kleine Gelsenwichtel“
Was mit einem Verein los ist, der wütende Fans ungehindert auf den Rasen
spazieren lässt, damit sie dort seine Angestellten – und hier konkret den
gerade von einem Jochbeinbruch genesenen, mit Gesichtsmaske spielenden
Benjamin Stambouli – nach Herzenslust beschimpfen können, ist eine Frage,
die man sich vielleicht lieber nicht stellen möchte.
Und schon gar nicht möchte man wissen, warum Schalke seine Kapitänsbinde
von Fans gestalten lässt, grad so, als sei 04 kein professionell geführtes
Unternehmen, sondern die Kita „Kleine Gelsenwichtel“ – was dazu auch noch
besonders apart ist, wenn man weiß, dass die Binde eine anatomisch nicht
sehr geglückte Darstellung eines Mannes zeigt, der eine an einem großen
Zahnstocher befestigte Nordkurven-Fahne schwenkt, jedenfalls so gut ihm das
mit einem offenkundigen offenen Bruch im rechten Standbein und ohne rechten
Unterarm möglich ist.
Aber es geht an dieser Stelle ja eigentlich um Degradierung à la Schalke.
Und den dahinterstehenden Gedanken, der gerade in Fußballkreisen
anscheinend nicht totzukriegen ist: Dass Spieler, wenn sie nur zur
ausdauernd und intensiv öffentlich verspottet, bedroht, angeschrien und
gedemütigt werden, umgehend und automatisch zu besseren Kickern werden.
Werden sie nicht. Wie schon der Schriftsteller Émile Zola, der Dreyfus
leidenschaftlich verteidigte, wusste: „Die Menschen sollen Menschen bilden,
indem sie sie als Menschen behandeln.“
3 Mar 2019
## AUTOREN
Elke Wittich
## TAGS
Fußball
Schalke 04
Fußball-Bundesliga
Fortuna Düsseldorf
Fußball
Fußball
Schwerpunkt Sport trotz Corona
FC St. Pauli
Lesestück Interview
Fußball
## ARTIKEL ZUM THEMA
Revierderby in der Fußball-Bundesliga: Ein Diplomat in Königsblau
Vor dem Derby bei Borussia Dortmund gibt sich Schalke-Trainer Huub Stevens
reserviert. Über die Gründe für die Krise seines Klubs will er nicht
sprechen.
Bundesliga Niederrhein-Derby: Im Tiefschlaf
Nach dem 1:3 in Düsseldorf will sich Gladbach-Coach Hecking auf intensive
Fehlersuche in seinem kriselnden Ensemble begeben.
Niederlage des FC Schalke 04: Die Lust am Leiden
Der FC Schalke 04 verliert historisch hoch bei Manchester City. Zum Glück –
denn was wäre der Fußball ohne die wunderschönen Dramen?
Kolumne American Pie: Uhu, aha, so mögen sie's
Der FC St. Pauli hat nicht nur in Hamburg seine Fans, sondern auch in New
York. Dort treffen sie sich in der East River Bar.
Trainer Pal Dardai über Hertha BSC: „Ich spüre keinen Druck“
Bundesligatrainer Pal Dardai über seinen Ehrgeiz, die Möglichkeiten von
Hertha BSC und darüber, warum er sich ein Leben ohne die Kabine nicht
vorstellen kann.
Kolumne Press-Schlag: Im Land der sportlichen Leiter
Die Bundesliga taugt immer noch zum Trendsetter. Ihre neueste
Errungenschaft: der Managerwechsel als Allheilmittel.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.