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# taz.de -- Fankultur: Wurst oder Whiskey
> Auch in New York haben die rivalisierenden Hamburger Fußballvereine HSV
> und FC St. Pauli Anhänger, die alle Spiele verfolgen.
Bild: Fast wie zu Hause: St. Pauli-Fans in der Williamsburger Szenekneipe East …
NEW YORK taz | Der Holzboden knarrt, ein leichter Biergeruch liegt in der
Luft: Die East River Bar ist eine ehrliche Kneipe in einer Ecke des
Szeneviertels Williamsburg, wo die Gentrifizierung noch nicht angekommen
ist. An den Wänden im Eingangsbereich thront die East River Pirates Flagge,
daneben mehrere große St. Pauli-Flaggen und -Schals. Auch die Gäste, über
zehn wollen das Spiel des FC St. Pauli gegen Frankfurt sehen, sind
entsprechend gekleidet: In St. Pauli-T-Shirt oder Trikot. Die, die direkt
von der Arbeit kommen, haben sich wenigstens noch schnell einen
braun-weißen Schal übergeworfen.
In New York ist Fußball wie im Rest der USA noch immer ein Nischensport.
Trotzdem habender FC St. Pauli und der HSV in New York einen offiziellen
Fanclub: Die Anhänger vom HSV kommen seit zehn Jahren im East Village in
Manhattan zusammen, die East River Pirates treffen sich seit vier Jahren in
Williamsburg. Zwar sind die Fanclubs längst nicht so verfeindet wie in
Hamburg, doch die Unterschiede sind spürbar.
Das Nevada Smith, eine klassisch amerikanische Sportsbar mit unzähligen
eingerahmten und unterschriebenen Trikots an den Wänden, ist der Treffpunkt
der HSV-Fans. Die Bar ist voll, die Mehrheit des Publikums spricht deutsch:
Viele von ihnen sind Touristen in blau-weißen Trikots. Zwischen ihnen
stehen drei Männer, die Mitglieder des New Yorker HSV-Fanclubs. Statt
Trikot tragen sie ein Poloshirt mit Fanclubaufschrift, dazu kurze Hose und
Turnschuhe. Konzentriert starren sie auf einen der fünf Flachbildschirme,
auf denen das Eröffnungsspiel HSV gegen Dortmund gestochen scharf und live
gezeigt wird.
"Ich kann die Spiele nicht versetzt gucken und so tun, als ob sie noch
nicht gelaufen wären", sagt Oliver Lunt, der seit über sechs Jahren von New
York aus für den HSV fiebert, "da sind wir uns im Fanclub einig." Deswegen
treffen sich die HSV-Fans manchmal auch früh morgens in Manhattan und
nehmen sich sogar gelegentlich frei, um trotz sechs Stunden Zeitunterschied
live bei ihrem Verein dabei zu sein.
Die St. Pauli Fans auf der anderen Seite des East River sehen das Match auf
einer Wand, auf die es projiziert wird. Sie haben es aus dem Internet
heruntergeladen: "Aufgrund der schlechten Verbindung ruckelt das Bild
manchmal", erklärt David Barkhymer, einer der Fanclubgründer. Weil sich die
St. Pauli Fans nach Feierabend oder am Wochenende treffen, scheidet
Live-Übertragung aus. "Am Spieltag meiden wir Anrufe und bestimmte
Websiten", sagt David.
Der 39-jährige Lehrer kommt aus den USA - wie ungefähr die Hälfte der East
River Pirates. Die Begeisterung für den FC St. Pauli entstand bei ihm, als
er 1997 einen befreundeten Austauschstudent in Hamburg besuchte und
gemeinsam mit ihm ein Spiel im Millertorstadion sah. "In den USA gibt es
einfach kein vergleichbares Sporterlebnis mit dieser besonderen
Atmosphäre", sagt David. Über das Internet fand er andere amerikanische
Fans und gründete mit ihnen den offiziellen New Yorker FC St. Pauli
Fanclub.
Inzwischen gibt es rund 30 Mitglieder, ganz genau weiß David das nicht.
"Wir sind da nicht so streng", sagt er , "jeder ist willkommen." Der
jüngste Zuschauer ist drei Jahre alt und der Sohn von St. Pauli-Fan Renzo
Pecaroraro. Der 44-jährige Softwareentwickler aus Hamburg versucht, ihn so
oft wie möglich zu den Fanclubtreffen mitzunehmen.
Bei den HSV-Fans geht es da schon bürokratischer zu. Im Mitgliedsantrag
muss man begründen, warum man HSV-Fan ist, der Mitgliedsbeitrag beträgt 25
Dollar im Jahr. Die zwanzig Mitglieder des Fanclubs kommen aus Deutschland,
viele sogar aus Hamburg, die Frau und die Tochter des Gründers sind die
einzigen Frauen im Club. "Die meisten Mitglieder wohnen gar nicht mehr in
New York", erklärt Oliver Lunt, der sich, nachdem der Gründer nach
Connecticut gezogen ist, um die Organisation kümmert. "Aktiv sind nur noch
sechs Leute."
Heute sind es außer Oliver sogar nur zwei: Matthias Silcher und Sebastian
Holzmeister. Alle leben seit Jahren in New York. Oliver wurde von seiner
Speditionsfirma in die USA geschickt, die anderen beiden haben verschiedene
Jobs ausgeübt. Sebastian arbeitet heute in der Softwarebranche, Matthias
war zunächst in der Marktforschung tätig, inzwischen studiert der
39-Jährige Psychologie. "Ich liebe es, hier zusammenzuhängen und mit
anderen über die Spiele zu philosophieren", sagt er.
Die erste Halbzeit verläuft schmerzvoll, schon in den ersten Spielminuten
das erste Gegentor von Dortmund, kurz darauf ein zweites. "Das tut ja weh",
sagt Sebastian. "Aber immerhin sind die Fantreffen immer eine gute
Gelegenheit, um sich in der Muttersprache auszutauschen." Dann fällt das
dritte Gegentor. Die Frustration wird mit Bier runtergespült.
Bei den St. Pauli-Fans schallen aus den Boxen St.-Pauli-Lieder von der "100
Jahre St. Pauli CD". Eins davon spielt die Band des New Yorker
Fanclubmitglieds und Schlagzeugers Sören Thode. Der 35-jährige ehemalige
Dithmarscher Dorfpunk lebt seit fast zehn Jahren in New York und
organisiert gemeinsam mit David die Fanclubtreffen.
Tor für St. Pauli! Die Fans springen auf. Traditionellerweise ist dies der
Zeitpunkt für eine Runde Knob-Whiskey-Shots. "Das ist unser Ritual, um ein
Tor zu feiern", sagt der 32-jährige Christian Gyllensuärd, der lange Zeit
in Hamburg gelebt hat. Nach dem Schluck gemeinsames Schütteln. Nicht gerade
lecker. "Wir haben einfach die Flasche mit dem hässlichsten Etikett
ausgewählt und dabei ist es dann geblieben", sagt er.
In der Halbzeit gehen die Fans in den Außenbereich der Bar, um zu rauchen
und sich zu unterhalten. "In New York gibt es so viel Fluktuation", sagt
Christian, der mit BWL aufgehört hat und nun Film studiert, "da ist es
schön, dass es den Pauli-Fanclub gibt, der ist immer da."
Inzwischen sind noch ein paar Clubmitglieder nachgekommen, darunter auch
zwei Frauen. "Ich finde es richtig gut, dass St. Pauli der Verein mit den
meisten weiblichen Fans ist," sagt David.
Bei den HSV-Fans sind die Biergläser nach der Halbzeitpause wieder
aufgefüllt, die Stimmung ist immer noch angespannt. Oliver, Sebastian und
Matthias stehen mit verschränkten Armen vor den Bildschirmen. Dann endlich
eine Torchance für die Hamburger. Matthias ruft "HSV, HSV, HSV!". Doch
heute springt bis auf einen Ehrentreffer wenig gegen die klar überlegenen
Dortmunder heraus.
"Es ist nicht immer einfach, HSV-Fan zu sein", sagt Sebastian, "aber es
lohnt sich immer wieder." Privat treffen sich die HSV-Fans eher selten,
aber nach dem Spiel gehen sie immer Currywurst essen, bei einem deutschen
Imbiss.
In der East River Bar fällt kurz vor dem Schlusspfiff das Ausgleichstor,
doch die Pauli-Fans bleiben gelassen. "Es geht nicht immer ums Gewinnen",
sagt David und erzählt, wie sie einmal im Jahr Fan-Artikel bei einer
Charity-Party versteigern. Letztes Jahr kamen so 1.000 Dollar zusammen.
"Wir wollen die St. Pauli-Philosophie leben", sagt David, "und das
bedeutet: etwas Gutes tun!"
Vor einigen Wochen war St. Pauli-Präsident Stefan Orth in der East River
Bar zu Besuch, zusammen haben sie das Spiel gesehen und sich unterhalten.
Der Kontakt der HSV-Fans zu ihrem Verein ist nicht so eng, immerhin haben
sie zu ihrem zehnjährigen Jubiläum ein Trikot mit der Aufschrift "10" aus
Hamburg bekommen.
Einmal im Jahr kicken die HSV- und St. Pauli-Fans von New York
gegeneinander. Die HSV-Fans würden das Spiel sehr ernst nehmen, sagt
Pauli-Fan Christian. Bisher haben die HSV-Fans immer gewonnen.
26 Aug 2011
## AUTOREN
Katharina Finke
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