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# taz.de -- Inklusion in Niedersachsen: Gymnasien halten sich raus
> Nur wenige Schüler*innen mit Förderbedarf gehen auf Gymnasien, viele
> dagegen auf Integrierte Gesamtschulen. Nun haben Schulleiter*innen einen
> Brandbrief geschrieben.
Bild: Meist nur eine Schemen: Inklusion an Gymnasien
Hannover taz | Die Schulleiter*innen der elf Integrierten Gesamtschulen in
Hannover haben einen Brandbrief geschrieben. Sie fühlen sich bei der
Inklusion von Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf allein
gelassen – insbesondere von den Gymnasien.
Die Zahlen sind eindeutig: Unter den 14.938 Gymnasiast*innen hatten Stand
August 2018 in Hannover nur 33 einen Förderbedarf im Bereich Lernen oder
Geistige Entwicklung. Unter den 10.953 Schüler*innen der Integrierten
Gesamtschulen (IGS) waren es 654. Sie werden different unterrichtet. Das
heißt, dass sie nicht die gleichen Lernziele wie ihre Mitschüler*innen
haben.
„Es ist sehr ungerecht verteilt“, sagt Michael Bax, der Schulleiter der
Leonore-Goldschmidt-Schule, einer IGS in Hannover. Auch die Gymnasien
müssten für eine gelungene Inklusion ihren Beitrag leisten. „Aber ich
glaube, man möchte es einfach nicht.“ In dem Brief kündigen Bax und seine
IGS-Kolleg*innen an, dass sie nur im Schnitt 1,5 Schüler*innen mit
Förderbedarf pro Klasse aufnehmen wollen. Bisher seien es etwa drei
Schüler*innen, berichtet die Hannoversche Allgemeine Zeitung.
In Niedersachsen können Eltern entscheiden, in welcher Schule sie ihre
Kinder anmelden. Wenn es in einer Schule zu wenig Plätze gibt, können
Schüler*innen abgewiesen werden. Gesamtschulen dürfen jedoch die Plätze
auslosen, um zu verhindern, dass es einen Überhang an leistungsstarken oder
leistungsschwächeren Schüler*innen gibt.
„Hinter der Integrierten Gesamtschule steckt die Idee, eine gute
Durchmischung zu haben“, sagt Bax. Die IGS sei aber auch die Schulform, die
abgeschulte Schüler*innen, „die vom Gymnasium runter gereicht werden“,
aufnehme. Hinzu kämen Geflüchtete, die aus Sprachlernklassen kämen. Wenn es
zu viele Schüler*innen gebe, die Unterstützung benötigten, funktioniere das
Konzept IGS nicht mehr, sagt Bax.
Horst Audritz vertritt als Vorsitzender des Philologenverbandes in
Niedersachsen die Interessen der Gymnasiallehrer*innen. Schulen seien nicht
dafür da, um Schüler*innen zu betreuen, sondern diese auf ihren Abschluss
vorzubereiten, sagt er.
Die Gymnasien seien zwar verpflichtet, die Schüler*innen aufzunehmen, die
von ihren Eltern angemeldet würden. „Aber in der Beratung sagt man
natürlich: ‚Überlegen Sie sich, wo ihr Kind am besten aufgehoben ist‘“,
sagt Audritz.
Es gebe Inklusionskinder, die gut auf ein Gymnasium passten. Schüler*innen
mit einer körperlichen Behinderung beispielsweise. Kinder mit
sonderpädagogischem Förderbedarf hätten jedoch „nur Misserfolgserlebnisse�…
„Die Eltern müssen das verantwortungsbewusst entscheiden und das tun sie
auch.“
Der Verbandschef sieht nicht die Gymnasien in der Pflicht, sondern das
Kultusministerium, bei dem er „unkritische Inklusionsideologen“ vermutet.
„Die Inklusion wird einseitig auf die Lehrkräfte abgeladen, ohne
hinreichende Unterstützungsleistungen wie beispielsweise durch
Schulbegleiter oder Förderschullehrer zu gewähren“, sagt Audritz.
Diesen Vorwurf weist Sebastian Schumacher, der Sprecher des
niedersächsischen Kultusministeriums, zurück. Die „personellen und
räumlichen Voraussetzungen für eine inklusive Beschulung“ seien auch an den
Gymnasien gegeben. Trotzdem nehme man Rückmeldung zu Problemen bei der
Inklusion sehr ernst. Die Ursache für die ungleiche Verteilung sieht er
nicht bei den Gymnasien, sondern in der „außerordentlich guten Arbeit“
einerseits der Integrierten Gesamtschulen, aber auch der Oberschulen bei
der Umsetzung der Inklusion.
## Kritik vom Landesrechnungshof
Doch auch der niedersächsische Landesrechnungshof hatte das Ungleichgewicht
unter den Schulformen in seinem letzten Jahresbericht kritisiert – und
dabei wiederum die Hauptschulen als Benachteiligte ausgemacht. In
Niedersachsen werde annähernd die Hälfte der Schüler*innen mit
Unterstützungsbedarf an einer Regelschule unterrichtet. Die Hauptschulen
führten diese Liste an: Der Anteil von Förderschüler*innen betrug dort 14,6
Prozent, an den Gymnasien waren es lediglich 0,5 Prozent. „Bei Fortsetzung
dieses Trends ist nicht auszuschließen, dass Hauptschulen innerhalb weniger
Jahre den Status faktischer Förderschulen erlangen könnten.“
Die Stadt Hannover bemüht sich nach eigener Aussage darum, als
Schulträgerin die Gymnasien attraktiver für Kinder mit Förderbedarf und
deren Eltern zu machen. Derzeit werde dafür ein Konzept entwickelt, sagt
Stadtsprecherin Susanne Stroppe. „Grundsätzlich ist es wichtig, dass die
Gymnasien beginnen, eine positive Grundhaltung gegenüber der inklusiven
Beschulung zu entwickeln.“
Mit den Schulleiter*Innen der IGS, die den Brandbrief geschrieben haben,
sei die Stadt im Gespräch. „Selbstverständlich ist, dass alle Schüler*innen
einen Schulplatz erhalten werden.“
19 Feb 2019
## AUTOREN
Andrea Maestro
## TAGS
Niedersachsen
Hannover
Inklusion
Schule
Gymnasien
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