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# taz.de -- Zuwanderer in der Stadtnatur: Fuchs findet Stadt gut
> Die Stadt macht dem Fuchs längst keine Angst mehr. Aber wieso hat sich
> das wilde Tier auf den Weg in die Stadt gemacht?
Bild: Füchse finden sich überall in der Stadt, auch im Garten des Bundeskanzl…
Bei den vergangenen taz.labs, die noch im Haus der Kulturen der Welt
veranstaltet wurden, tauchte dort im Innenhof, wo gegrillt wurde, jedes Mal
ein Fuchs auf. Diskret wartete der etwas abseits der sich um den Grill
scharenden Leute, in der Hoffnung, dass etwas für ihn abfiel. Der Fuchs
wurde auch nicht enttäuscht.
Zwei nach Berlin angereiste Lab-Besucher blieben über Nacht dort am
Tagungsort, sie rollten sich in ihre Schlafsäcke – Handys, Brieftaschen und
Schlüsselbunde steckten sie in ihre ausgezogenen Schuhe. Als sie morgens
aufwachten, waren die Schuhe weg. Zwar war die Aufregung groß, aber sie
mussten nicht lange suchen, außerhalb des Gebäudes unter einem Busch befand
sich ein Fuchsbau, und gleich vorne lagen ihre Schuhe. Handys,
Brieftaschen, Schlüsselbunde – es fehlte nichts.
Mir passierte zum Beispiel Folgendes: Ein Fuchs steht an der Kreuzung vor
dem Görlitzer Bahnhof. Ich stehe etwa fünf Meter neben ihm. Als die Ampel
auf Grün springt, überqueren wir beide die Oranien- und die Skalitzer
Straße. Der Fuchs verschwindet daraufhin in der Manteuffelstraße. Seine
„Fluchtdistanz“ gegenüber Menschen hat sich in der Stadt deutlich
verringert, aber kennt der Fuchs auch die Ampelzeichen, hat er nur darauf
gewartet, dass die Autos anhalten oder dass ich losgehe, fragte ich mich.
Nach Antworten wird in Berlin, die Stadt der Fuchsforschung, noch gesucht.
## Der Mann mit den Füchsen
Die Fuchsforschung begann mit dem Verhaltensforscher der
Humboldt-Universität, Günter Tembrock: „der Mann mit den Füchsen“ genann…
In seinem Büro hing ein von ihm gemaltes Porträt seiner Füchsin Fiffi.
Als Tembrock 1948 das Institut für Tierpsychologie aufbaute, das erste in
Deutschland, gab es dort ein „Fuchszimmer“, in dem bis zu sechs Tiere
lebten, und draußen ein Fuchsgehege. Die Nachbarn beschwerten sich über den
Lärm, den die Tiere vor allem nachts machten. Aber für Tembrock, den
Chorsänger und „Freund der Füchse“, der auch gegen ihre deutschlandweite
Bekämpfung opponierte, war das Musik: In seinem Verhaltenslabor fokussierte
er sich auf „Stimmen“, mit denen Sozialverhalten ausgedrückt wird – und
unterschied dabei schließlich 40 Fuchslaute. Daraus entstand sein Fach
Bioakustik, über das er Vorlesungen hielt und ein Lehrbuch veröffentlichte.
Bis Mitte der sechziger Jahre war Tembrock ein weltweit anerkannter Experte
für Bioakustik, dann überholten ihn die Amerikaner mit neuer Abhörtechnik.
Aus methodischen Gründen hielt Tembrock ein Zusammenleben zwischen Forscher
und Versuchstier für notwendig. Sein Vorbild war Konrad Lorenz, der engsten
Kontakt zu seinen Tieren hatte, er ging allerdings über dessen Beobachtung
von „Verhaltensmustern“ hinaus, indem er nach der Motivation des Verhaltens
fragte, also nach dem, was wir Bewusstsein nennen. Dazu unterschied
Tembrock zwischen dem „objektiven“ und dem „subjektiven“ Verhalten – …
was ich erlebe“. Füchse seien dafür gut geeignet, denn sie hätten eine
„Persönlichkeit“.
## Fortsetzung der Fuchsforschung
Im Juni 2018 organisierte die kulturwissenschaftliche Mitarbeiterin der
Humboldt-Universität Sophia Gräfe eine Konferenz über „Verhaltenswissen“,
auf der es um das Lebenswerk des 2011 verstorbenen Tembrock ging. Dort
führte auch die Biologiedoktorandin am Leibniz-Institut für Zoo- und
Wildtierforschung Sophia Kimmig in ihrem Referat aus, dass und wie
Tembrocks Fuchsforschung heute weitergeführt wird. Kimmig untersucht, wie
Füchse in der Stadt leben.
Tembrock hatte keine wild lebenden Füchse untersucht. Davon gab es damals
einige am Stadtrand und mindestens einen im Tierpark Friedrichsfelde, der
zum Glück nur außerhalb, auf dem Gelände einer LPG, jagte, wie der
ehemalige Tierparkdirektor Heinrich Dathe berichtete. Füchse jagen nicht im
Umkreis ihres Baus. Heute ist es im Tierpark umgekehrt: Die Füchse kommen
von außen und haben schon etliche Enten, Schwäne und Flamingos gerissen. Im
übrigen Stadtraum sind sie jedoch wohlgelitten. Wenn man der Lokalpresse
glauben darf, sind Füchse die beliebtesten Wildtiere in Berlin. 3.000
sollen es inzwischen sein.
## Der Fuchs und der Fall der Mauer
Für ihre Einwanderung in die Stadt gibt es mindestens zwei Erklärungen. Zum
einen die des Ökologen Josef Reichholf, dass sich die Dörfer mittlerweile
der Natur verschließen, während die Städte sich ihr öffnen – das nehmen
auch andere Wildtiere wahr. Und zum anderen, berlinspezifischer: Weil mit
dem Fall der Mauer zigtausend Kaninchen, die bis dahin nahezu ohne Feinde
im Todesstreifen gelebt hatten, sich in alle Richtungen verstreuten, wurden
die Füchse dadurch quasi in die Stadt gelockt. Hier merkten sie bald, dass
die Menschen sie relativ wohlwollend tolerierten, mehr als auf dem Land.
Einer Füchsin, die im Palast der Republik lebte und dort mehrere Jungen
großzog, wurde beim Abriss des Gebäudes sogar ein neues Domizil in einer
Tiefgarage am Alexanderplatz verschafft. Die Füchsin zog jedoch einen
Kaninchenbau am Neptunbrunnen vor und sollte dann laut Medienberichten auf
der Museumsinsel wohnen. Oder der Fuchs, der im Rohbau für ein
Bundesministerium lebte, wo ihn jemand gefüttert hatte und er handzahm
geworden war. Der Wildtierbeauftragte des Senats ließ ihn umsetzen – in den
Treptower Park, dort wurde er jedoch von seinen Artgenossen vertrieben,
woraufhin man seine Spur verlor.
Füchse gelten als klug, halbwegs diskret und nützlich, weil sie Mäuse und
Ratten jagen. So haben auf einem Kreuzberger Spielplatz die vielen Ratten
einen Fuchs angelockt. Seinetwegen zögert man noch, Giftköder auszulegen,
weil die auch ihn töten könnten.
In den Medien war auch die Geschichte von den zwei Füchsen zu lesen, die an
der Köpenicker Endhaltestelle der Buslinie 169 Einlass in den offenen Bus
begehrten. „Das passiert ständig, was denken Sie, wie oft unsere
Mitarbeiter so etwas erleben“, teilte die BVG-Sprecherin mit.
Die Kulturwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität Katja Kynast
berichtete von einem Erlebnis diesen Winter: „Gestern früh habe ich auf
meiner Gassirunde um den Urbanhafen das traurigste Bild gesehen: einen
Fuchs, der durch den Landwehrkanal schwimmen wollte, um sich auf der
anderen Seite eine Ente zu holen, und dabei erfroren ist. Er sah aus wie
lebendig. In Schwimmhaltung, Ohren oben. Aber er hat sich einfach überhaupt
nicht bewegt. Und um ihn herum war Eis. Der Technische Hilfsdienst war
schon da. Auch wenn dem Fuchs nicht mehr zu helfen war, mussten sie etwas
tun, weil sie sonst den ganzen Tag deswegen angerufen worden wären.
Wenn man ein totes Tier von privaten Tierpräparatoren ausgestopft bekommen
möchte, würde das in Berlin zwischen 200 und 300 Euro kosten. Vom
Präparator Michael Ernst erfuhr ich, dass er sicher auch gelegentlich
Stadtfüchse reinbekomme, er wisse jedoch nichts Genaues über ihre Herkunft.
## In friedlicher Koexistenz
Seit der erfolgreichen Köderimpfung gegen den Tollwutvirus und den
Fuchsbandwurm, die mit einem Aussetzen vieler Vernichtungsmaßnahmen
einherging, haben sich die Bestände erholt, ohne dass mehr Füchse in den
Revieren leben. Diese sind in den Städten jedoch sehr viel kleiner als auf
dem Land. 1.600 Reviere soll es in Berlin geben, in einigen werden sie
gefüttert, etwa von älteren Damen auf Friedhöfen, wo diese sich vor allem
um verwilderte Katzen kümmern. Es heißt, dass beide Tierarten dort in
friedlicher Koexistenz leben.
Weil sie nicht gejagt werden, verlieren die Füchse langsam ihre Scheu und
nähern sich damit wieder ihren ganz ursprünglichen Verhaltensweisen an.
Josef Reichholf spricht von einem „Urvertrauen“ und meint damit, dass die
Tiere bis zu den ersten Begegnungen mit den Menschen noch keine Furcht vor
ihnen hatten.
Der Naturforscher Georg Wilhelm Steller, der 1741 Alaska erforschte, hatte
über eine Insel östlich von Kamtschatka berichtet, wie ihnen dort die
Neugier und Frechheit der furchtlosen Eisfüchse zugesetzt hatten: Sie
stahlen und zerstörten alles. Charles Darwin bemerkte über die Füchse, die
er auf den Falkland-Inseln traf: Sie waren „derart zahm, dass sie aus der
Hand fraßen“, weil sie die Menschen noch nicht als Feind erlebt hatten. Der
Umweltforscher Jens Soentgen schreibt in seinem Buch „Ökologie der Angst“,
dass heute „im Brennpunkt des Emotionslebens der meisten höheren Tiere die
Angst vor dem Menschen steht“. Er geht aber davon aus, dass nahezu
angstfreie „Formen des Zusammenlebens unter veränderten Voraussetzungen
auch wieder neu entstehen können“.
## Immer geringere Fluchtdistanz
Bei den Stadtfüchsen sollte man statt von Selbstdomestizierung von
Selbstzähmung sprechen, das heißt, sie werden vertrauensvoller, wobei es
nicht unwichtig ist, wie man ihnen gegenübertritt. Im Kreuzberger
Prinzenbad gab es bis 2016 einen bei Badegästen und Personal beliebten
Fuchs namens Fuchsi, dessen Fluchtdistanz immer geringer wurde, er ließ
sich füttern und sogar streicheln – bis er vor den Augen entsetzter
Badegäste von einem Förster erschossen wurde. Das Tier war schwer verletzt,
so dessen Begründung.
Bei der Domestizierung gibt es mehrere Arten, den Füchsen die Angst zu
nehmen, eine argumentiert genetisch. 1959 begann der sowjetische Genetiker
Dmitri Beljajew mit Domestikationsversuchen bei Silberfüchsen – auf Wunsch
einer Pelztierfarm, der weniger ängstliche Füchse die Arbeit erleichtern
sollten. Nach 35 Generationen und 45.000 Füchsen war Beljajew am Ziel: Die
Tiere waren zahm. Er hatte stets die zutraulichsten weiter gezüchtet.
Zuletzt hatten diese sich aber sozusagen im Nebeneffekt, auch wie die Hunde
und andere Haustiere körperlich verändert: Sie bekamen Schlappohren,
bellten, wedelten mit dem Ringelschwanz zur Begrüßung, behielten runde,
kindliche Gesichter und hatten weiße Fellflecken. Als wertvolle Pelztiere
waren sie damit nicht mehr zu gebrauchen.
Eine weitere Möglichkeit der Domestizierung geht eher von den Füchsen aus.
Zwei Bücher berichten darüber: „Fuchs ganz nah“ (2013) und „Wilde Füch…
ganz vertraut“ (2006). Bei den Autoren der beiden Bücher handelt es sich um
Forstbedienstete, die im Wald jeweils Bekanntschaft mit jungen Füchsen
machten. Beide trafen „ihren“ Fuchs dann täglich und brachten bald kleine
Leckerbissen mit. Es waren beides Weibchen, Sophie und Feline genannt.
Letztere ging so weit in ihrem Vertrauen, dass sie den Buchautor Günther
Schumann später zu ihrem versteckten Bau führte, wo sie ihre Jungen hatte,
und ihn sogar mit diesen allein ließ als Aufpasser, während sie sich auf
Futtersuche für ihre Welpen begab. Es scheint fast so, dass weibliche
Füchse gelegentlich ein Junges aus ihrem Wurf Neues ausprobieren lassen,
nämlich der Neugierde, auf den Menschen nachzugeben.
Bereits in den Sechziger Jahren bemerkte man in England, dem klassischen
Land der Fuchsjagd, dass sich in der jagdfreien Zone London immer mehr
Füchse niederließen. Die englischen Füchse waren tollwut- und bandwurmfrei
– und deswegen weniger gefürchtet. 1972 begann eine achtköpfige
Forschergruppe der Biologen an der Oxford-Universität das „Sozialleben von
Füchsen“ zu erforschen – 15 Jahre lang. Sie folgte deren Fährten im
Freiland mit Radiotelemetrie, in Oxford auch den Stadtfüchsen, und zähmten
immer wieder einige, indem sie sie als Haustiere aufzogen. Entgegen der bis
dahin geltenden Ansicht waren ihre Füchse keine Einzelgänger, sondern
lebten in „Familiengruppen“.
## Siedlungsraum Schlaraffenland
Die Berliner Fuchsforschung von Sophia Kimmig scheint sich eher an einer
Schweizer Forschung zu orientieren. Dort befasste sich ab 1995 ein
„integriertes Fuchsprojekt“ mit den Stadtfüchsen in Zürich. Zunächst wol…
man mehr über deren Lebensweise in der Stadt wissen, dazu wurden sie
eingefangen und mit einem Sender ausgerüstet. Dabei lernten die
Wissenschaftler schon mal, dass die Telemetrie-Methode in Städten
komplizierter ist als in ländlichen Gebieten, wie in ihrem Bericht
„Stadtfüchse“ (2006) zu lesen ist. Einige der observierten Stadtfüchse
schlugen so immer wieder neue Wege ein, andere gingen stets ihr Revier ab –
meist auf denselben Wegen. Die Reviere überlappten sich oft.
Da sie Würmer, Kleintiere, Früchte und vor allem Essensabfälle von Menschen
suchen, gehen Füchse meist allein auf Nahrungssuche. Sie werden mithin auch
über ihre Ernährung domestiziert. Die Zürcher Forscher meinen, für Füchse
sei der Siedlungsraum ein „Schlaraffenland“. Dazu gehören „gut geschütz…
Orte“, etwa unter Schuppen oder Baucontainer, wo sie ungestört die
Tagesstunden verbringen und ihre Jungen großziehen können. Diese Verstecke
„sind ein zentrales Element im Lebensraum der Füchse“. Die Forscher waren
erstaunt, wie viele solcher Räume es selbst mitten im Siedlungsraum gibt.
Einmal überraschten Bauarbeiter auf der dritten Etage ihres Gerüsts morgens
zwei Füchse, die dort den Tag verschlafen wollten. Manche Schlafplätze
befinden sich nur wenige Meter von viel frequentierten Fußwegen entfernt.
Es gebe jedoch in der Stadt „Grenzen des Wachstums“ für die
Fuchspopulationen. Und in genetischer Hinsicht hätten sich bereits „klare
Unterschiede“ zwischen den Stadt- und den Landfüchsen entwickelt, zudem
wurden selbst Unterschiede zwischen den Zürcher Populationen nördlich und
südlich der Limmat festgestellt.
Ebenso ergaben Umfragen, dass es Unterschiede zwischen jungen Stadtmenschen
und den alten Landbewohnern gibt: Die Ersteren sind sehr viel
fuchsfreundlicher eingestellt. Man solle Füchse aber nicht füttern, weil
sie dadurch immer zutraulicher werden – noch gilt in der Schweiz: „Zahme
Füchse werden erschossen“.
Die Zürcher Fuchsforscher haben ein Buch über ihre Arbeit veröffentlicht
und eine Webseite eingerichtet, man findet dort auf [1][stadtwildtiere.ch]
auch Ratschläge bei Konflikten.
Sophia Kimmig, die sich für ihre Doktorarbeit dem Fuchs in Berlin auf die
Spur geheftet hat, arbeitet ähnlich wie die Zürcher Fuchsforscher. „Bei der
Auswertung wird es um die ‚Verstädterung‘ der Art gehen“, erklärte sie …
19 Feb 2019
## LINKS
[1] https://stadtwildtiere.ch/
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
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