# taz.de -- Präsidentschaftswahl in El Salvador: Die Linke hat fertig | |
> Wie die Ex-Guerilla FMLN als Regierungspartei ihre Wähler enttäuscht hat. | |
> Und warum am Sonntag ein Kandidat ohne Programm gewinnt. | |
Bild: Diese Wählerin in San Salvador unterstützt Nayib Bukele. Er hat kein Pr… | |
SAN SALVADOR taz | Die Mordquote ist seit Jahren eine der höchsten der | |
Welt, mehr als doppelt so hoch als in Mexiko mit seinem Drogenkrieg. Opfer | |
sind in der überwiegenden Mehrheit junge Männer aus den Armenvierteln. In | |
der Polizei gibt es Todesschwadronen, die Verdächtige gezielt erschießen. | |
Menschenrechtsorganisationen nennen dies „außergerichtliche Hinrichtungen“. | |
Der Vizepräsident hat solche staatlichen Killer sogar schon öffentlich | |
ermuntert. Polizisten, sagte er, brauche die Hand beim Schießen nicht zu | |
zittern. Sie hätten nichts zu befürchten. | |
[1][Jeden Tag fliehen] zwischen 300 und 400 Menschen vor Gewalt, Armut und | |
Hoffnungslosigkeit aus dem Land. Es handelt sich nicht um Brasilien unter | |
seinem rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro. Es geht um das | |
zentralamerikanische El Salvador mit seinen rund sechs Millionen | |
Einwohnern. Seit zehn Jahren [2][regiert dort die Linke]. Am kommenden | |
Sonntag wird ein neuer Präsident gewählt und die Nationale Befreiungsfront | |
Farabundo Martí (FMLN) wird aller Voraussicht nach die schwerste Niederlage | |
erleiden, seit sie von einer marxistischen Guerilla zur Partei geworden | |
ist. | |
Ihr Kandidat Hugo Martínez, lange Jahre Außenminister, erreicht in den | |
allermeisten Umfragen nicht einmal ein zweistelliges Ergebnis. Sogar bei | |
ihrer ersten Kandidatur, im März 1994, hatte ihr damaliger | |
Präsidentschaftsanwärter Rubén Zamora im ersten Wahlgang knapp 25 Prozent | |
der Stimmen erzielt. Es folgten fünfzehn Jahre in der Opposition. Zwar | |
hatte die FMLN in dieser Zeit über zwei Legislaturperioden die stärkste | |
Parlamentsfraktion, die Präsidentschaft aber konnte sie nie gewinnen. | |
Schafik Handal, viele Jahre Generalsekretär und Fraktionsvorsitzender, | |
hatte dies immer als das kleinere Übel hingenommen. „Lieber sind wir in der | |
Opposition und bleiben unseren Idealen treu, als dass wir sie verraten, um | |
an die Macht zu kommen“, hat er einmal in einem Interview gesagt. Handal | |
war immer dagegen gewesen, aus Machtkalkül mit dem beliebten parteilosen | |
Fernsehjournalisten [3][Mauricio Funes] als Präsidentschaftskandidaten | |
anzutreten. | |
## Alles sollte anders werden | |
Handal erlag Anfang 2006 einem Herzinfarkt. Drei Jahre später kam die FMLN | |
mit Funes als Präsident an die Macht. Bei seiner Amtseinführung versprach | |
der eine Regierung für die Armen, die die Menschenrechte in den Mittelpunkt | |
stelle und gegen Korruption und Straffreiheit kämpfe. Das Amnestiegesetz, | |
das die Kriegsverbrecher des Bürgerkriegs (1980 bis 1992) bis heute | |
schützt, solle fallen. Für Posten in der Regierung sollten nicht | |
Familienverhältnisse ausschlaggebend sein, sondern allein das Sachwissen. | |
Kurzum: Es sollte alles ganz anders werden als unter den zwanzig Jahren der | |
Regierung der rechtsextremen Oligarchenpartei Arena. Es herrschte | |
Aufbruchstimmung, aber nur für einen Moment. | |
Die FMLN hat in den vergangenen zehn Jahren alle Versprechen gebrochen, für | |
die sie zwei Mal gewählt worden ist. Nie wurde eine Steuerreform | |
angegangen, die die Oberschicht zugunsten von Sozialprogrammen für die | |
Armen belastet hätte. An der überbordenden Gewalt – drei große | |
Zusammenschlüsse von Banden überziehen das Land flächendeckend mit | |
Schutzgelderpressung, kontrollieren den Drogen- und Menschenhandel und | |
setzen ihren Machtanspruch mit Tausenden Morden in jedem Jahr durch – ist | |
die FMLN genauso gescheitert wie zuvor Arena. | |
Zwar hatte die Regierung Funes mit dem organisierten Verbrechen verhandelt | |
und damit die Zahl der Morde für ein paar Monate reduziert. Der ehemalige | |
Guerilla-Kommandant Salvador Sánchez Cerén aber setzte dann als zweiter | |
Präsident von der FMLN von 2014 bis heute wieder auf Repression. Sein | |
Vizepräsident Óscar Ortiz – auch er ehemals FMLN-Comandante – gab | |
Verdächtige zum Abschuss frei. | |
## Korruption und Vetternwirtschaft | |
Kriegsverbrecher genießen unter der FMLN-Regierung den selben Schutz wie | |
zuvor unter Arena. Als 2016 Spanien mit einem internationalen Haftbefehl | |
die Auslieferung von neun Militärs verlangte, die für ein Massaker an der | |
Führungsriege der Jesuitenuniversität im Jahr 1989 verantwortlich sind, | |
gewährte ihnen die Regierung in einer Kaserne Schutz. Die Generalamnestie | |
für im Bürgerkrieg begangene Verbrechen gilt bis heute. | |
Und das, obwohl der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof 2012 ihre | |
Aufhebung angeordnet und das salvadorianische Verfassungsgericht sie 2016 | |
für verfassungswidrig erklärt hatte. Medardo González, seit 2004 | |
Generalsekretär der FMLN, begründet die Weigerung, den gerichtlichen | |
Anordnungen nachzukommen, genauso wie zuvor extreme Rechte: Eine Aufhebung | |
der Amnestie „ist nicht opportun und schafft nur Instabilität“. | |
Auch der versprochene Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft war kaum | |
mehr als ein Lippenbekenntnis. Funes holte nicht nur seine damalige Ehefrau | |
Vanda Pignato ins Kabinett, sondern ließ auch seiner damaligen Geliebten | |
und heutigen Partnerin Ada Mitchell Guzmán einen Diplomatenpass ausstellen, | |
obwohl sie keinerlei Funktion ausübte. Sánchez Cerén machte seine Enkelin | |
zur Chefin der staatlichen Armutsbekämpfungsprogramme – ganz ohne jegliche | |
Ausbildung und Erfahrung. | |
## Weg frei für einen neuen Blender | |
Heute wirft die Staatsanwaltschaft Funes die Unterschlagung von 351 | |
Millionen US-Dollar während seiner Präsidentschaft vor. Er entzog sich | |
seiner Verhaftung durch die Flucht nach Nicaragua. | |
Generalstaatsanwalt Douglas Meléndez hatte zuvor dessen rechten | |
Amtsvorgänger Saca wegen der Unterschlagung von 300 Millionen Dollar vor | |
Gericht gebracht. Saca bekam zehn Jahre Haft. Als Ende vergangenen Jahres | |
im Parlament die Verlängerung der Amtszeit von Meléndez anstand, wurde die | |
von der FMLN und Arena abgelehnt. Stattdessen hievte diese | |
Links-Rechts-Koalition einen rechten Oligarchen ins Amt des | |
Generalstaatsanwalts. | |
So sind nun die beiden Parteien desavouiert, die die Politik El Salvadors | |
in den vergangenen drei Jahrzehnten bestimmten. Alles deutet darauf hin, | |
dass dies den Weg für einen noch kaum belasteten Blender frei macht: Nayib | |
Bukele, derzeit Bürgermeister von San Salvador. Der 37-jährige reiche | |
Geschäftsmann bestritt seinen Wahlkampf ohne klares Programm, postete viel | |
auf Twitter und Facebook – und führt in den Umfragen. | |
2 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Toni Keppeler | |
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