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# taz.de -- 20 Jahre Friedensvertrag in El Salvador: "Nehmen, was die Gringos g…
> Dagoberto Gutiérrez unterzeichnete vor 20 Jahren als FMLN-Comandante den
> Friedensvertrag. Viel hat sich seitdem nicht geändert in El Salvador,
> sagt der Verfassungsrechtler.
Bild: Namen von Toten des Bürgerkriegs 1980-1992 in Cinquera, El Salvador.
taz: Don Dagoberto, am 16. Januar 1992 haben Sie und neun weitere
Comandantes der FMLN mit der Regierung und der Armee von El Salvador einen
Friedensvertrag unterzeichnet. Die Guerilla sprach damals von einem Sieg.
Wie beurteilen Sie das heute?
Dagoberto Gutiérrez: Noch immer werden genauso viele Menschen getötet wie
damals. Nur haben wir keinen Bürgerkrieg mehr, sondern einen sozialen
Krieg. Ein Bürgerkrieg hat Regeln, sogar juristische. Heute aber gibt es
keine Fronten mehr, keine Chefs, kein politisches Projekt und also auch
keine Verhandlungslösung mehr. Der Krieg kann dich an jeder Verkehrsampel
erreichen.
Sie vergleichen die Opfer der Kriminalität mit denen des Bürgerkriegs?
Natürlich haben wir die rechte Militärdiktatur zerschlagen, die 1932
errichtet worden war. Damals war die Armee zur regierenden Klasse geworden,
die die Interessen der Oligarchie als dominanter Klasse absicherte. Weil
die Armee den Bürgerkrieg nicht gewinnen konnte, verlor sie ihre Qualität
als regierende Klasse. Stattdessen gibt es heute eine neue: Technokraten,
die Chefs der großen Unternehmen, die politischen Parteien. Die dominante
Klasse aber ist immer noch dieselbe: die Oligarchie, die Kaffeebarone waren
und sich in Banker verwandelt haben. Aber so klar habe ich das damals noch
nicht gesehen.
Neu war immerhin, dass die FMLN legal als Partei auftreten konnte.
Die FMLN als Guerilla war eine Allianz aus fünf Organisationen, die
ideologisch sehr unterschiedlich, zum Teil sogar feindselig gegeneinander
waren. Aber wir wollten gemeinsam die Militärdiktatur stürzen. Mit dem Ende
des Kriegs endete diese Übereinkunft. Eine neue, in der jede Organisation
ihre eigene politische Identität definiert hätte, wurde nie gesucht. Die
FMLN wurde einfach vom System verschluckt.
Warum gab es dann so viel Aufregung bei den Unternehmern, als die FMLN vor
neun Jahren stärkste Parlamentsfraktion wurde und vor knapp drei Jahren mit
Mauricio Funes die Präsidentschaftswahl gewann?
Die Oligarchie hat noch immer nicht verstanden, dass ein Regierungswechsel
nicht gleichzeitig einen Systemwechsel bedeutet. Wenn sich ARENA und die
FMLN an der Regierung abwechseln, verschieben sich ein paar Nuancen, sonst
passiert nichts. Präsident Funes hat kein historisches Projekt und auch
kein politisches. Er hat nur eine strategische Beziehung zu Washington. Er
nimmt das, was die Gringos ihm geben.
Und was geben die Gringos El Salvador?
Washington garantiert die wirtschaftliche Stabilität des Landes. Mit
anderen Worten: Emigration in die USA wurde zur Staatspolitik, die
Überweisungen der ausgewanderten Arbeiter sichern unsere Wirtschaft. El
Salvador wurde zum neoliberalen Labor eines Landes, das einzig und allein
auf der Basis der Finanzwirtschaft und des Konsums funktioniert.
Nennenswerte Produktion gibt es nicht, unsere Landwirtschaft wurde durch
Lebensmittelimporte ersetzt. Selbst unsere nationale Währung ist
verschwunden, wir bezahlen heute mit Dollars. Und die FMLN rückt immer mehr
nach rechts.
Wie konnte das passieren?
Ganz einfach: Da wird ein guter Junge aus der Guerilla plötzlich zum
Parlamentsabgeordneten und kommt ohne Vorwarnung in Alice Wunderland. Er
hat ein riesiges Gehalt in einem Land der Hungerlöhne, er bekommt ein
eigenes großes Auto, einen Fahrer, Leibwächter. Und er stellt fest: Er kann
eine ganze Legislaturperiode im Parlament verbringen, ohne ein einziges Mal
den Mund aufzutun. Abgeordneter zu sein ist dann nicht mehr ein Mittel, das
man benutzt, um politische Ziele zu erreichen.
Sie haben die FMLN schon früh verlassen und arbeiten heute in einer
Gruppierung, die sich "Revolutionäre Tendenz" nennt. Wollen Sie noch immer
die Diktatur des Proletariats in El Salvador?
Wir beobachten die Erfahrungen genau, die derzeit in Bolivien und Ecuador
gemacht werden. Uns interessiert vor allem die protagonistische Rolle, die
soziale Bewegungen dort beim Entstehen eines neuen Staats und neuer
Verfassungen haben. Diese Verfassungen räumen mit der leidigen europäischen
Erbschaft auf, nach der ein Staat auf der Repräsentation durch Parteien
aufgebaut ist. Das funktioniert in Lateinamerika nicht. Wir sind deshalb
für unabhängige Kandidaten bei Wahlen und für ein imperatives Mandat ihrer
Wahlkreise. Wir verabschieden uns nicht von der Demokratie - wir brauchen
eine andere.
15 Jan 2012
## AUTOREN
C. Romero
T. Keppeler
## TAGS
Präsidentschaftswahl
El Salvador
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