# taz.de -- Friedensprozess in Eritrea: Aus Feinden werden Freunde | |
> Seit Äthiopien und Eritrea Frieden geschlossen haben, belebt sich der | |
> Handel zwischen den beiden Ländern. Aber die Wehrpflicht für Eritreer | |
> bleibt. | |
Bild: Im September 2018 öffnet sich nach 20 Jahren die Grenze zwischen Eritrea… | |
Jahrzehntelang war Eritrea komplett von der Außenwelt abgeschottet, die | |
Ausreise aus dem Land nicht erlaubt. Seit Kurzem können Eritreer ohne | |
Papiere und ohne Genehmigung die Grenze zu Äthiopien überqueren. Seitdem im | |
Rahmen des [1][Friedensschlusses zwischen den beiden verfeindeten | |
Nachbarländern] im September die Grenze nach zwanzig Jahren Sperrung wieder | |
geöffnet wurde, kommen sie mit Bussen und Ochsenkarren oder laufen einfach | |
die Straße entlang. Es gibt sogar wieder eine Flugverbindung zwischen den | |
beiden Hauptstädten Asmara und Addis Abeba. | |
[2][Die meisten Eritreer versuchen, dem verpflichtenden, viele Jahre | |
dauernden Wehrdienst zu entkommen], der jeden Erwachsenen betrifft. Andere | |
sind auf der Suche nach einem besseren Leben in Äthiopien oder weiter weg | |
in Europa. | |
Da keine Kontrollen mehr stattfinden, weiß niemand, wie viele Eritreer die | |
Grenze überquert haben. Lokale Behörden auf der äthiopischen Seite sagen, | |
dass auf jeden Fall mehr als 25.000 Menschen angekommen sind. Andere | |
Quellen schätzen die Zahl höher. Die Neuankömmlinge lassen sich als | |
Flüchtlinge registrieren, aber bleiben meistens nicht lange im | |
Flüchtlingslager. Viele haben angeheiratete Familien in Äthiopien, wo sie | |
Unterkunft finden, oder ziehen weiter, um anderswo ein neues Leben | |
aufzubauen. | |
Jahrelang war die heimliche [3][Flucht Hunderttausender Eritreer über | |
Sudan, Ägypten und Libyen Richtung Europa eines der düstersten Kapitel der | |
europäischen Flüchtlingspolitik gegenüber Afrika.] In den vergangenen | |
zwanzig Jahren sind nach Schätzungen etwa 600.000 der fünf Millionen | |
Einwohner aus ihrem Land geflohen, zumeist unter Lebensgefahr und mit hohem | |
Risiko für zurückbleibende Angehörige. Jetzt plötzlich lässt das Regime des | |
autoritär regierenden Präsidenten Isaias Afewerki große Teile der | |
Bevölkerung ohne Hinderung ziehen. | |
## In Eritrea herrscht Verwirrung | |
Eritrea ist ein politisch undurchsichtiges Land, und man kann nur mutmaßen, | |
was hinter der Öffnung steckt, meint die britische Journalistin und | |
Eritrea-Kennerin Michela Wrong. „Ich denke, dass die Behörden ein wenig | |
ratlos darüber sind, wie sie auf die neue Beziehung mit dem Nachbarn und | |
ehemaligen Feind reagieren sollen. Die Situation der Abschottung war jedem | |
vertraut. Jetzt, da sie beendet ist, herrscht Verwirrung.“ | |
Äthiopien und Eritrea waren lange verfeindet. Eritrea, einst italienische | |
Kolonie, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vom unabhängigen Äthiopien | |
übernommen und errang erst 1993 seine Unabhängigkeit nach einem blutigen | |
Befreiungskrieg. Zwischen 1998 und 2000 führten die beiden Länder erneut | |
Krieg gegeneinander um ihre nie genau demarkierte Grenze. Mindestens | |
70.000 Menschen kamen ums Leben. | |
Das Friedensabkommen aus dem Jahr 2000, das unter anderem Äthiopiens | |
Rückzug aus umstrittenen Gebieten vorsah, wurde aber von Äthiopien nicht | |
umgesetzt. Erst als im April 2018 der neue Premierminister Abiy Ahmed in | |
Addis Abeba die Macht übernahm und politische Reformen einleitete, | |
vollzogen die beiden Länder endlich ihren Friedensschluss auf einem | |
Gipfeltreffen im Juli. Es folgte die Öffnung der Grenze am 11. September. | |
Die Reformpolitik in Äthiopien weckte auch in Eritrea Hoffnungen auf | |
Demokratie. Trotz der Grenzöffnung hat sich in diesem Bereich aber wenig | |
getan. „Äthiopien zieht Truppen von der Grenze ab, und damit ist die | |
andauernde Wehrpflicht in Eritrea nicht mehr gerechtfertigt“, analysiert | |
Wrong. „Aber Präsident Isaias Afewerki hat sie noch immer nicht offiziell | |
abgeschafft. Die Eritreer sind enttäuscht. Indem die Regierung sie nun | |
ungehindert ausreisen lässt, lässt sie jedoch Druck ab.“ | |
Für Äthiopien ist der Zustrom nicht einfach zu bewältigen. Das Land mit | |
rund 100 Millionen Einwohnern beherbergte schon vorher ungefähr 900.000 | |
Flüchtlinge – vor allem aus den Nachbarländern Sudan, Südsudan, Somalia und | |
eben Eritrea. Durch ethnische Konflikte in verschiedenen Regionen | |
Äthiopiens gibt es auch noch rund 1,4 Millionen Binnenvertriebene. Und dann | |
sind da noch jährlich Zehntausende unfreiwillige äthiopische Rückkehrer, | |
die zurückgeschickt werden aus Ländern, in denen sie illegal arbeiteten, | |
vor allem aus Saudi-Arabien. | |
## Die Geschäfte auf beiden Seiten laufen jetzt gut | |
Wirtschaftlich betrachtet ist die Grenzöffnung für beide Länder gut. | |
Eritrea hatte sich nicht nur selbst abgeschottet, sondern wurde auch vom | |
Rest der Welt jahrelang mit Sanktionen belegt und isoliert. Es gab kaum | |
noch Außenhandel, viele Güter waren Mangelware. Jetzt kommen täglich | |
äthiopische Händler über die Grenze, um ihre Waren ohne Zollgebühren oder | |
Inspektionen in Eritrea zu verkaufen. Aus Eritrea kommen dagegen viele | |
Busse mit Fahrgästen, die in Äthiopien einkaufen. Die Geschäfte auf beiden | |
Seiten laufen gut. | |
Äthiopien hat nun auch erstmals seit dem Krieg wieder Zugang zu den | |
eritreischen Häfen von Assab und Massawa am Roten Meer. Die Reisen für | |
äthiopische Laster sind kürzer als nach Dschibuti, bis voriges Jahr der | |
Haupttransitpunkt für Äthiopiens Außenhandel. Von der Wiedereinbindung in | |
die regionalen Wirtschaftskreisläufe profitiert auch Eritreas Regierung, | |
Michela Wrong sieht auch persönliche Motive des eritreischen Machthabers am | |
Werk. Der Machtwechsel in Äthiopien, der Abiy Ahmed an die Macht brachte, | |
bedeutete vor allem eine Entmachtung der im Land bislang mächtigsten | |
ehemaligen Guerillabewegung TPLF (Tigray People’s Liberation Front). Deren | |
historischer Führer, Meles Zenawi, bis zu seinem Tod 2012 äthiopischer | |
Regierungschef, war der Hauptgegner und Erzfeind des eritreischen | |
Präsidenten, Isaias Afewerki. | |
Im Guerillakampf waren Isaias und Meles einst Waffenbrüder, doch überwarfen | |
sie sich, nachdem sie in ihren Ländern die Macht ergriffen. Die Rivalität | |
der beiden war auch der Hauptgrund für den objektiv absurden Grenzkrieg von | |
1998 bis 2000. Jetzt, da Meles tot ist und seine TPLF entmachtet, pflegen | |
Isaias und sein Regime freundliche Beziehungen mit dem neuen äthiopischen | |
Premierminister, Abiy, den Isaias schon zweimal besucht hat. | |
Dies könnte nun auch das Ende der Diktatur in Eritrea einläuten, so Wrong. | |
„Nun, da die Grenze geöffnet ist, wird es für Isaias unmöglich sein, seinen | |
autoritär und streng kontrollierten Staat gegen die Auswirkungen der | |
sanften Revolution in Äthiopien abzuschotten“, meint Wrong. „Letztendlich | |
werden die Änderungen auch auf Eritrea übergreifen, ob Isaias mitmacht oder | |
nicht.“ | |
12 Feb 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.dw.com/de/jetzt-ist-der-richtige-zeitpunkt-bundespr%C3%A4sident… | |
[2] https://www.amnesty.de/2015/12/2/eritrea-endloser-militaerdienst-vertreibt-… | |
[3] https://www.proasyl.de/news/fluchtsituation-eritrea-kein-ende-in-sicht/ | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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