# taz.de -- Übergang zur Demokratie: Schatten über Äthiopien | |
> Ethnische Gewalt und politische Spannungen gefährden die Reformpolitik | |
> des jungen Premiers Abiy Ahmed. Bricht der Vielvölkerstaat auseinander? | |
Bild: Als Abiy Ahmed an die Macht kam, wurde er gefeiert als Politiker, der sac… | |
NAIROBI taz | Scheitert der Übergang zur Demokratie in Äthiopien? Ethnische | |
Gewalt und politische Spannungen seit einem Putschversuch im Juni gefährden | |
die politischen und wirtschaftlichen Reformen des jungen | |
[1][Premierministers Abiy Ahmed]. | |
Als Abiy im April 2018 an die Macht kam, wurde er gefeiert als junger | |
Politiker, der sachlich und nüchtern sprach. Er feuerte korrupte Beamte und | |
kritisierte seine eigene Partei. Er ist Sohn eines muslimischen | |
Oromo-Vaters und einer christlichen Amhara-Mutter, eine ideale Verkörperung | |
des Vielvölkerstaats Äthiopien. | |
Aber heute fragen sich Äthiopier, ob er der Mann ist, den das Land jetzt | |
und in der Zukunft braucht. | |
Nach dem [2][gescheiterten Staatsstreich] unter Anführung von General | |
Asaminew Tsige im Juni wurden Hunderte von Menschen verhaftet und das | |
Internet vorübergehend abgeschaltet. Der General war einer von Tausenden | |
politischen Gefangenen gewesen, die Abiy unter anhaltenden Druck von | |
Protesten der Bevölkerung voriges Jahr aus der Haft entlassen hatte – ein | |
zentraler Beweis der politischen Liberalisiserung. | |
Tsige gehörte zur Volksgruppe der Amhara, der zweitgrößten des Landes, und | |
war zum Sicherheitschef der Amhara-Region befördert worden, trotz seines | |
Rufes, ein ethnischer Nationalist zu sein. Es war die typische Weise von | |
Abiy, alte Feinde des äthiopischen Regimes zu umarmen, um Frieden und Ruhe | |
zu stiften. Aber nach seinem mutmaßlichen Putschversuch wurde er | |
erschossen. | |
## Zurück in alte autoritäre Gewohnheiten? | |
War das eine Panikreaktion? Oder fallt Äthiopiens Regierungspartei EPRDF | |
(Ethiopian Peoples Revolutionary Democratic Front) wieder in alte | |
autoritäre Gewohnheiten zurück? „Beides“, glaubt Äthiopien-Experte Willi… | |
Davison von der International Crisis Group. „Viele dieser Handlungen waren | |
gewohnheitsmäßige instinktive Reaktionen des Staates auf ernsthafte | |
Bedrohungen. Wir werden sehen müssen, wie sich die anschließenden | |
Strafverfolgungsmaßnahmen entwickeln, um dies zu beurteilen.“ | |
Die EPRDF besteht aus vier regional-ethnischen Parteien, die die drei | |
großen ethnischen Gruppen Äthiopiens vertreten – Amhara, Oromo und Tigray �… | |
sowie die von vielen kleineren Volksgruppen besiedelte „Region der | |
südlichen Nationen, Nationalitäten und Völker“ im Süden des Landes. Seit | |
Abiy an der Macht ist, wurden Zehntausende von Kritikern des Regimes | |
freigelassen und kritische Aktivisten und Politiker aus dem Exil | |
zurückgeholt: eine positive Entwicklung, die aber für neue | |
Herausforderungen sorgt. | |
„Die politische Liberalisierung hat, obwohl notwendig, Probleme geschaffen, | |
da jetzt verschiedene Fraktionen um Einfluss konkurrieren“, sagt Davison. | |
Die ethnischen Gruppen dominieren ihre jeweiligen Regionen und öfter gibt | |
es Streitereien um Land an den Grenzen dieser Regionen; außerdem | |
konkurrieren insbesondere Amhara- und Tigray-Parteien um die Vorherrschaft | |
im Land. | |
Seit die EPRDF vor dreißig Jahren an die Macht kam, wurden solche Konflikte | |
mit eiserner Faust unterdrückt. Als Abiy Premierminister wurde, traten | |
anfangs die Sicherheitsorgane sanfter auf. Aber nachdem die ethnischen | |
Konflikte dieses Jahr immer mehr zunahmen, reagieren die Sicherheitskräfte | |
wieder mit härterer Hand. In keinem Land der Welt leben aktuell mehr | |
Menschen als Binnenvertriebene – über drei Millionen nach UN-Angaben. | |
## Für 2020 sind Wahlen geplant | |
So wurden in Hawassa, Hauptstadt der Südregion, bei gewalttätigen | |
Auseinandersetzungen zwischen lokalen Aktivisten der Sidama-Ethnie und | |
Sicherheitskräften zahlreiche Menschen erschossen. Die Sidama wollen eine | |
eigene Verwaltungsregion, aber die Zentralregierung fürchtet einen | |
Dominoeffekt in dem Land mit 100 Millionen Einwohnern aus mehr als 80 | |
Ethnien. Sie hat nun für den 13. November darüber ein Referendum angesetzt. | |
Äthiopien wird oft verglichen mit dem ehemaligen Jugoslawien, das nach dem | |
Tod des autoritären Führers Josip Broz Tito auseinanderfiel. In Äthiopien | |
besteht Angst, dass dem Land dasselbe Schicksal blüht, vor allem seit dem | |
Tod des ebenfalls autoritären langjährigen Premierministers Meles Zenawi, | |
ein Tigray, 2012. Sein Nachfolger aus dem Süden, Hailemariam Desalegn, war | |
nicht imstande, die Einheit zu bewahren, und galt als schwach gegenüber den | |
Tigray-Generälen. 2015 begannen Massenproteste vor allem unter Oromo und | |
Amhara, die das Land in eine schwere Krise stürzten, was zur Machtübernahme | |
durch Abiy im April 2018 und zu Reformen führte. | |
Abiys Zulassung eines echten Mehrparteiensystems machte den Weg frei für | |
neue ethnisch-nationalistische Parteien. Diese Gruppen stehen nicht nur in | |
Konflikt mit den alten Parteien, sondern streiten auch über Ernennungen in | |
der Zentralregierung und der EPRDF. | |
Für 2020 sind Wahlen geplant, die Öl aufs Feuer gießen können. „Das | |
Verschieben von Wahlen könnte das geringere Übel sein, aber es würde auch | |
Widerstände hervorrufen“, analysiert Davison. „Selbst wenn sie alles andere | |
als perfekt sind, wäre es wahrscheinlich besser, im nächsten Jahr Wahlen | |
abzuhalten, um die Legitimität der Regierung zu stärken. Dies könnte jedoch | |
riskant sein, erfordert eine Verbesserung der Sicherheit und viele | |
Vorarbeiten in einem schwierigen Umfeld in kurzer Zeit.“ | |
9 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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