# taz.de -- Filmemacherin über die Berlinale: „Ich kann nicht inszenieren“ | |
> Ute Aurand macht Filme über das alltägliche Leben und arbeitet immer mit | |
> 16mm-Filmmaterial. Großen Einfluss auf ihr Werk hatte Jonas Mekas. | |
Bild: „Aha, so kann man auch Filme machen“, sagt Ute Aurand über einen Fil… | |
Ute Aurand kommt gerade aus dem Berliner Kulturzentrum Silent Green, wo sie | |
die letzten technischen Details für die Vorführung ihres 16mm-Films | |
„Rasendes Grün mit Pferden“ überprüft hat. Zu sehen ist er in der | |
Berlinale-Sektion Forum Expanded. Ute Aurand hat von 1999 bis 2018 mit | |
ihrer Bolex-Kamera Ereignisse und Nichtereignisse ihres persönliches | |
Umfelds dokumentiert. | |
taz: Frau Aurand, es ist nicht das erste Mal, dass Sie mit einem Ihrer | |
Filme auf der Berlinale vertreten sind, richtig? | |
Ute Aurand: Ja. 1982 habe ich meinen ersten Film hier gezeigt, „Okiana“ | |
mit Ulrike Pfeifer zusammen. Filmemacherinnen aus dem Verband der | |
Filmarbeiterinnen konnten innerhalb der Reihe Panorama Filme zeigen. Wir | |
hatten „Okiana“ im Rahmen unseres Studiums an der dffb [Deutsche Film- und | |
Fernsehakademie Berlin, d. Red.] gemacht. Und dann gab es vor zehn Jahren | |
einen zweiten Film von mir im Forum Expanded, das damals gerade zwei Jahre | |
alt war. Der hieß „In die Erde gebaut“ und war eine Studie über einen | |
Museumsbau in Zürich, den ich drei Jahre verfolgt habe. | |
Alles kurze Filme? | |
Na ja. „Okiana“ dreißig Minuten, „In die Erde gebaut“ zweiundvierzig. | |
Trotzdem viel kürzer als „Rasendes Grün mit Pferden“ und die meisten | |
anderen Filme, die Sie bislang produziert haben. | |
Richtig. „Rasendes Grün mit Pferden“ ist mein erster richtiger Langfilm. | |
Wirkt sich das auf Ihr diesjähriges Berlinale-Erlebnis aus? | |
Also ich bin ja älter geworden. Der Vorteil ist, dass man vielleicht ein | |
bisschen ruhiger wird. Aber ja, es hat auch mit dem Film zu tun. Ich habe | |
drei Jahre daran gearbeitet, und das geht dann mit einem Gefühl von | |
Abgeschlossenheit einher. Man ist dadurch etwas gelassener. Es ist | |
natürlich trotzdem aufregend, denn es handelt sich ja um einen 16mm-Film, | |
von dem eine Kopie gezogen werden musste. Die zweite Rolle kam erst einen | |
Tag vor der Premiere, da ist man schon nervös. | |
Sie arbeiten, bis auf den Ton, der digital aufgenommen ist, ausschließlich | |
mit Filmmaterial. Welche Herausforderungen bringt das mit sich? | |
Das gesamte Prozedere um die sogenannte Postproduktion bedeutet für mich, | |
dass ein Negativschnitt hergestellt werden muss und eine Mischung, das | |
Ganze muss ins Kopierwerk, was immer lange dauert und unberechenbar ist. Es | |
müssen Korrekturkopien gemacht werden, die werden dann hin und her | |
geschickt. Und ich hatte mich für ein Kopierwerk in den USA entschieden. | |
Warum? | |
Hier in Deutschland gibt es nur noch Andec in Berlin, mit denen kooperiere | |
ich auch, aber in der Form haben ich noch nicht mit ihnen | |
zusammengearbeitet. Ein USA-Kontakt zu einem Kopierwerk kommt durch Robert | |
[Robert Beavers, US-amerikanischer Experimentalfilmer und Lebensgefährte, | |
d. Red.], aber in diesem Fall habe ich mit Colorlab aus Maryland in der | |
Nähe von Washington gearbeitet. Das ist aber alles erst geschehen, nachdem | |
ich die Zusage von der Berlinale hatte. Und dann musste es sehr schnell | |
gehen. | |
Und wie konnten sich die Leute vom Forum dann Ihren Film besehen? | |
Ich hab ihnen den Film am Schneidetisch gezeigt, fertig geschnitten war er | |
ja schon. Das war im Silent Green, dort haben sie 16mm-Sichtungstische. Der | |
Ton kam aus meinem Computer. | |
In Kategorien der Selbstvermarktung gedacht, besitzen Sie mit dieser | |
Arbeitsweise und Technik natürlich ein interessantes | |
Alleinstellungsmerkmal. | |
Das Verrückte ist, dass ich nie ein anderes Medium benutzt habe. Ich habe | |
immer analog gearbeitet. Dadurch reflektiere ich es vielleicht gar nicht so | |
stark wie zum Beispiel besonders jüngere Zuschauer. Beim Medienboard | |
[Medienboard Berlin-Brandenburg, d. Red.] bin ich wahrscheinlich die, die | |
Filme ganz und gar auf 16mm macht. Das heißt, es gibt sehr wohl Kontexte, | |
in denen das ein Markenzeichen ist. Mir selber ist das gar nicht so recht. | |
Es geht ja um den Film und nicht immer um das Medium. Ich finde die | |
Medium-Debatte etwas übertrieben. Ich mach’ das weiter, und es ist ein | |
Statement, das stimmt, aber es ist nicht so, dass ich sage, alles andere | |
ist unmöglich. Ich sehe das wirklich absolut in Beziehung zu der | |
Arbeitsweise, mit der ich angefangen habe. Ich wohne auch seit vierzig | |
Jahren in meiner Wohnung. | |
Sie sind treu. | |
Ja, ich betrachte meine Kamera auch ein wenig wie ein Instrument. Du | |
schmeißt ja auch nicht einfach eine Violine weg, weil es jetzt ein Keyboard | |
gibt. | |
Aber Sie haben Ihre Violine, um im Bild zu bleiben, nicht nur behalten, Sie | |
spielen auch noch auf ihr. Können Sie erklären, warum? | |
Ich habe ja von 1979 bis 1985 an der Filmakademie studiert. Die große Krise | |
war danach. Danach war die Frage: Wie mache ich weiter? Ich habe schon | |
gedacht: Vielleicht versuche ich mich an Arthouse-Filmen mit großen Budgets | |
und einem großen Team. Bevor ich angefangen habe zu studieren, war ich oft | |
im Arsenal [renommiertes Berliner Programmkino, d. Red.]. Ich war keine | |
Cineastin, aber es gab einen Programmierer namens Alf Bold, der besondere | |
Filme gezeigt hat. Wichtig war für mich seine Reihe „Tagebuchfilme“, die er | |
1979 zeigte. Alf hat dafür das Verleihbüro in ein Wohnzimmerkino | |
verwandelt, das er „Arsenal 2“ nannte, da standen vielleicht fünf Stühle, | |
und er projizierte dort Filme. Obwohl das Kino nebenan war. Er wollte | |
bewusst eine Privatsphäre herstellen. Da lief auch „Reminiscences of a | |
Journey to Lithuania“ von Jonas Mekas. Ich kannte nichts. Aber ich war | |
danach total beeindruckt und dachte: Aha, so kann man auch Filme machen. So | |
persönlich. Dabei formal sehr kurz geschnitten, energetisch, musikalisch. | |
Das hat mich tief betroffen und das fand ich hochinteressant. | |
Daran erinnerten Sie sich, als es 1985 zur Krise kam? | |
Diesen Eindruck hatte ich während der Filmakademie tatsächlich vergessen, | |
ja. Das kam dann später wieder, auch mit Ulrike Pfeifer zusammen und mit | |
der Bolex-Kamera, mit der ich noch immer arbeite. | |
Die Bolex als erstes Produktionsmittel. | |
Ja, ich musste mir nach der Filmhochschule schon überlegen, was ich mir | |
eigentlich leisten kann. Ich kaufte mir dann eine Bolex und einen | |
Schneidetisch. Außerdem wollte ich unabhängiger werden. Kein Team und | |
großes Budget, das hatte ich dann festgestellt, dass das nicht klappt. Und | |
mit Schauspielern auch nicht. | |
Wieso? | |
Ich kann nicht inszenieren. Ich habe das einmal gemacht für meinen | |
Abschlussfilm, und das war schrecklich, ich habe gelitten. Man muss alles | |
verbalisieren. Das liegt mir nicht. Ich begreife die Arbeit mit der Kamera | |
auch als Verlängerung meines Körpers. Ich brauche dieses Unmittelbare. Wer | |
meine Filme sieht, kommuniziert direkt mit mir als Filmemacherin. Und | |
trotzdem gibt es Platz. | |
Damit kommt nicht jeder zurecht, vermute ich? | |
Ein Film wie „Rasendes Grün mit Pferden“ wird niemals eine breite Masse | |
erreichen. | |
Dabei zeigt er doch so etwas Schönes und Banales wie das Leben. | |
Richtig. Aber das wollen Menschen nicht unbedingt im Kino sehen. Viele | |
sagen mir, sie gehen ins Kino, um zu vergessen. Bei mir ist es anders. Ich | |
will zu mir hingeführt werden. | |
Wodurch sich wiederum auch gewisse Dinge vergessen lassen. | |
Wenn ich im Flugzeug sitze, gucke ich mir dort oft Filme an. Da sind die | |
Bildschirme kleiner, der Überwältigungsfaktor ist also nicht so hoch. | |
Trotzdem fühle ich mich nach einem Film, der mich in eine andere Welt | |
gezogen hat, völlig von mir abgespalten. Das ist schmerzhaft. Ich kenne das | |
auch noch als Teenager, vor dem Fernseher sitzend. Da überkam mich auch | |
immer eine furchtbare Leere, wenn ich den ausgestellt habe. Mit Spannung | |
und Suspense komme ich auch nicht zurecht. Ich war froh, diese andere Welt | |
von Kino zu entdecken. In und mit der wollte ich weitermachen. Für mich, | |
weil mich das inspiriert hat. | |
Für Sie selbst und nicht für das eigene Fortkommen im kompetitiven Sinn: | |
wichtig werden, erfolgreich werden? | |
Ich habe irgendwann begriffen, dass sehr viel Wichtiges nicht im Sichtbaren | |
stattfindet. Das hat mich bestärkt. | |
12 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Carolin Weidner | |
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