| # taz.de -- Die Bibliothek für Berlin (Teil 2): „Wir öffnen die Bibliothek … | |
| > Bücher allein machen noch keine Bücherei – für Volker Heller von der | |
| > Zentral- und Landesbibliothek soll die ein Ort des Wissensaustauschs | |
| > sein. | |
| Bild: Im Vordergrund: Siegerentwurf im europaweiten Wettbewerb zum Neubau der Z… | |
| taz: Herr Heller, vergangenen Sommer wurde entschieden, dass es einen | |
| Neubau für [1][die Zentral- und Landesbibliothek, die ZLB], gibt. Gerade | |
| befragen Sie Ihre Nutzer, was sie sich für den Neubau wünschen. [2][Welche | |
| Bibliothek braucht Berlin?] | |
| Volker Heller: Berlin ist eine Metropole mit bald vier Millionen | |
| Einwohnern, da braucht es nicht nur eine Bibliothek, sondern ein ganzes | |
| Bibliotheksnetz. Die Bibliotheken können ein stabiler Faktor für die | |
| demokratische Gestaltung unseres Lebens in unruhigen Zeiten sein. Dazu | |
| gehört, dass sie in der Fläche der Stadt präsent sein müssen. Dazu gehört | |
| aber auch eine öffentliche Zentralbibliothek, die in ihren Angeboten und | |
| Möglichkeiten weit über die dezentralen Standorte hinausgeht. Die ZLB ist | |
| hierfür in Berlin vor allem räumlich nicht entsprechend ausgestattet. Und | |
| deshalb planen wir ja schon sehr lang die Zusammenführung und Erweiterung | |
| der ZLB unter einem Dach. | |
| Die neue Bibliothek soll um die [3][Amerika-Gedenkbibliothek, die AGB], | |
| herumgebaut werden, den am meisten frequentierten Standort der ZLB, genau | |
| zwischen Bergmannkiez und Mehringplatz, einem stark gentrifizierten und | |
| einem stark abgehängten Kiez. Sollen sich dort alle Teile der | |
| Stadtgesellschaft treffen? | |
| Ja, aber das ist nur ein Aspekt. Die Stadtgesellschaft trifft sich auch bei | |
| Hertha BSC im Olympiastadion. Die Frage ist, was das Treffen in einer | |
| Bibliothek besonders macht. Und ich glaube, das Besondere ist erstens, dass | |
| man keinen Eintritt bezahlt und keinen Konsumzwang hat. Zweitens ist die | |
| Bibliothek ein wissenbasierter Raum. Wenn ich dort ins Gespräch komme, dann | |
| habe ich immer die Möglichkeit, die besprochenen Themen noch einmal | |
| rückzubinden auf die Bibliotheksbestände. Wissen wir eigentlich genug über | |
| das, worüber wir gerade reden? Oder wäre es sinnvoll, noch einmal eine | |
| Datenbank aufzurufen oder ein Buch aus dem Regal zu ziehen? Drittens müssen | |
| wir die Bibliothek auch als öffentlichen Ort begreifen, der der Stadt | |
| gehört. Wir müssen der Stadt die Möglichkeit geben, die Bibliothek | |
| mitzugestalten, bis hin zur Gestaltung der Angebote und Programmarbeit. Das | |
| entwickeln wir gerade erst neu und das löst für uns als Bibliotheken auch | |
| gewaltige Veränderungsprozesse aus. | |
| Ist die Bibliothek ein Bollwerk gegen Fake News und Populismus? | |
| Ja, unbedingt. Bibliothek ist der Ort, an dem wir überprüfen können, was | |
| wir zu wissen glauben. Aber mit dieser Auseinandersetzung öffnen wir die | |
| Bibliothek auch für Diskurse. Die Bibliothek ist nicht mehr nur der stille, | |
| sakrale Raum der Kontemplation, wie manche von uns das vielleicht noch | |
| traditionell erwarten, sondern auch ein Ort des Wissenstransfers zwischen | |
| Menschen. | |
| Wie gefallen Ihnen denn die Vorschläge Ihrer Nutzer, was im Neubau | |
| passieren soll? | |
| Zum Teil haben uns die Anregungen in unserer Vermutung bestätigt, dass wir | |
| ein sehr hybrides Raum- und Funktionsprogramm werden entwickeln müssen. Wir | |
| brauchen unterschiedliche Bibliotheksbereiche. Das klassische Thema ist | |
| etwa laut und leise. Da hingen teilweise Zettel nebeneinander, und auf dem | |
| einen stand, dass es viel zu laut sei, und auf dem anderen, wie toll es | |
| sei, dass man endlich miteinander diskutieren kann. Das in einem Neubau zu | |
| managen: Das wird eine große Herausforderung, auf die wir uns in der | |
| Bibliothek sehr freuen. | |
| Braucht es für die neue Bibliothek noch das gebundene Buch? | |
| Ich persönlich glaube, dass es das gebundene Buch noch sehr lang geben | |
| wird. Es ist ein Gegenstand, der von vielen Menschen geliebt wird, auch von | |
| mir. Ich denke: Bei der Einführung des Kinos hat man den Abgesang aufs | |
| Theater angestimmt, bei der Einführung des Fernsehens aufs Kino, beim | |
| Internet aufs Fernsehen. Alle Medien existieren allen Abgesängen zum Trotz | |
| bis heute nebeneinander. | |
| Eine der meistbeachteten Bibliotheken, die in letzter Zeit eröffnet haben, | |
| ist das Dokk1 im dänischen Aarhus, die größte öffentliche Bibliothek | |
| Skandinaviens. Dort werden alle Bücher aussortiert, die länger als zwei | |
| Jahre nicht entliehen wurden. | |
| Da, wo Neues reinkommt, muss Altes raus schon aus Gründen des begrenzten | |
| Platzes. Aber pauschal nach zwei Jahren aussortieren: das machen wir als | |
| ZLB nicht. Wir haben ja als Landesbibliothek auch einen Sammlungsauftrag. | |
| Das heißt, wir erhalten Pflichtexemplare aller Publikationen, die in Berlin | |
| erschienen sind, und sind verpflichtet, diese aufzuheben. Aber auch sonst | |
| prüfen wir sehr genau, welche Medien im Sinne unseres Auftrags für lange | |
| Zeit im Bestand bleiben sollen. | |
| In Aarhus gibt es heute Nähwerkstätten und Computerkurse, Repair-Cafés und | |
| Workshops für SeniorInnen, die nicht wissen, wie sie ihren Pass online | |
| verlängern können. Schweben Ihnen solche Angebote auch in der neuen ZLB | |
| vor? | |
| Letzteres unbedingt. Wir planen Bürger-Terminals für Menschen, die | |
| abgehängt sind von den neuesten digitalen Entwicklungen. Auch bei Näh- und | |
| Kochkursen geht es genau um den Wissensaustausch zwischen Bürgerinnen und | |
| Bürgern, den ich eben beschrieben habe und den wir jetzt schon befördern, | |
| soweit unsere Räumlichkeiten es zulassen. | |
| In der Erzählungen erfolgreicher Menschen mit Migrationshintergrund taucht | |
| immer wieder auf, dass sie ohne die Bibliotheken nie hingekommen wären, wo | |
| sie heute sind. Schneidet man sich nicht ins eigene Fleisch, wenn man | |
| diesen Leuten Nähkurse anbietet statt Bücher? | |
| Es ist ja nicht so, dass man immer nur das eine oder das andere machen | |
| kann. Es muss für alle Bedürfnisse einen Ort geben. Mit mehr Fläche wird | |
| die ZLB sehr viel breiter und niedrigschwellig Bedürfnisse abdecken können, | |
| als sie es jetzt schon tut. | |
| Es wurde auch Kritik laut, dass die große Bibliothek in Aarhus nur auf | |
| Kosten der kleinen gebaut werden konnte. Gerade die Bibliotheken in den | |
| migrantisch geprägten Stadtteilen hätten Geld und Stellen abtreten müssen. | |
| Muss man solche Entwicklungen auch in Berlin befürchten? | |
| Wir beobachten eher, dass gut funktionierende Neubauten, die stark besucht | |
| werden, insgesamt die Bereitschaft der Länder, Städte und Bezirke erhöhen, | |
| auch dezentral in ihre Bibliotheken zu investieren. | |
| Wie sehen Sie derzeit die Haltung der Berliner Politik? | |
| Es ist noch nicht lang her, dass die Politik sagte: Bibliotheken sind ja | |
| ganz sympathisch, aber braucht man so etwas überhaupt noch? Heute sind wir | |
| auf einem guten Weg, ganz andere politische Aufmerksamkeit für die Kraft zu | |
| gewinnen, die in unseren Institutionen steckt. Wir haben lange Zeit nicht | |
| gut genug kommuniziert, welche Potenziale unsere Bibliothekslandschaft in | |
| sich birgt. | |
| Der Senat kündigt an, dass der Neubau um die 24.000 Quadratmeter Nutzfläche | |
| fürs Publikum haben könnte statt der bisherigen 2.400 in der AGB und der | |
| 4.500 in der Berliner Stadtbibliothek. Bekommen Sie da Herzrasen? | |
| Ja! Diese enorme Erweiterung unseres öffentlichen Raums bietet so viele | |
| Chancen: Platz für Visionen und Raum zur Aneignung für unsere | |
| Stadtgesellschaft. | |
| 30 Jan 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.zlb.de/ | |
| [2] /Die-Bibliothek-fuer-Berlin/!5565078/ | |
| [3] https://www.berlin.de/landesdenkmalamt/denkmale/denkmale-der-alliierten/usa… | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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