# taz.de -- Kolumne Flimmern und Rauschen: Hey „Mr. Speaker“ | |
> Die Debatten im britischen Parlaments-TV sind derzeit echter Shakespeare. | |
> May ist in ihrer betonfrisierten Hartnäckigkeit schon zu bewundern. | |
Bild: Manchmal wird auch gelacht in dieser Tragikomödie im House of Commons | |
Um es ganz nüchtern vorweg zu sagen: Ich bin ein bisschen verliebt. Und das | |
liegt am Fernsehen, genauer: an einem kleinen, randständigen | |
Auslandssender. Schuld ist der britische Parlamentsfernsehkanal | |
[1][parliamentlive.tv]. So, jetzt isses raus. | |
Krass, oder? Könnte man sich bei einem Bundestags-TV schwer vorstellen. | |
Auch Phoenix, dieser leider blutarme Ereigniskanal des deutschen | |
Parlamentarismus, könnte sich davon mal ein paar Scheibchen abschneiden. | |
Selbst zu Zeiten, als Norbert Lammert als Bundestagspräsident den | |
Intendantinnen und Intendanten der öffentlich-rechtlichen Sender mit | |
schöner Regelmäßigkeit auf den Senkel ging und mehr Bundestag im deutschen | |
Fernsehen forderte, gab es nichts Vergleichbares. | |
Parliamentlive.tv wäre Lammerts digital gewordener Traum von einem eigenen | |
großen Parlamentskanal. Gesendet werden alle Sitzungen von Ober- und | |
Unterhaus, dazu Anhörungen und Ausschusssitzungen. Natürlich sind dank | |
Brexit die „Proceedings“, also das Parlamentsgeschehen, [2][ein bisschen | |
attraktiver], aber auch sonst erreichen die Sitzungen oft beste | |
Comedyqualität. Man wartet – leider vergeblich –, dass gleich noch | |
Comedy-Ikone John Cleese auftritt. Aber dann kommt doch nur Boris Johnson. | |
## Betonfrisierte Hartnäckigkeit | |
Derzeit sind die Debatten echter Shakespeare. Ich bin zwar nicht gerade in | |
die Ersatz-Joan-of-Arc namens May verknallt – aber sie ist in ihrer | |
betonfrisierten Hartnäckigkeit schon zu bewundern, zumal sie ja einst für | |
den Verbleib in der EU gestimmt hat. | |
Mein Held hingegen ist „Mr. Speaker“, also der britische Lammert, der aber | |
eine viel wichtigere Rolle hat als – sorry, folks – unser | |
Bundestagspräsidium. Aus Gründen des guten Tons dürfen sich die | |
Abgeordneten im Unterhaus ja nicht direkt ansprechen, sondern sprechen | |
immer mit „Mr. Speaker“ über die anderen „honorable Ladies“ oder | |
„Gentlemen“. | |
„Mr. Speaker“ heißt eigentlich John Bercow, war mal bei Mays Konservativen | |
und trägt eine solch beseelte Arroganz und Hingabe für den Parlamentarismus | |
und jedeN AbgeordneteN am Leibe, dass einem das Herz aufgeht. Und dann | |
diese Sprache! Wie er Minister und durchsichtig-verbale Heckenschützen | |
abbügelt – brillant. Dafür wollte ihn schon Mays Vorgänger David Cameron | |
stürzen. | |
Und jetzt – regiert eigentlich Bercow. Zumindest ein bisschen mit: Denn | |
weil es in Großbritannien bekanntermaßen keine geschriebene Verfassung | |
gibt, entwickelt Bercow die Spielregeln im Parlament zugunsten der | |
Abgeordneten weiter, was der Regierung, [3][die bestimmte Debatten und | |
Abstimmungen verhindern wollte], natürlich Pickel ins Gesicht treibt. Und | |
wir dürfen dank [4][parliamentlive.tv] bei dieser Mischung aus King Lear | |
und Democratic Big Brother live dabei sein! | |
15 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://parliamentlive.tv/Commons | |
[2] /Vor-der-Brexit-Abstimmung/!5559718 | |
[3] /Vor-der-Brexit-Abstimmung-im-Unterhaus/!5561208 | |
[4] https://parliamentlive.tv/Commons | |
## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Brexit | |
Parlamentsfernsehen | |
Comedy | |
Großbritannien | |
Kolumne Flimmern und Rauschen | |
Schwerpunkt Brexit | |
Kolumne Flimmern und Rauschen | |
Printmedien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kolumne Flimmern und Rauschen: Von Witzen und Kriegsentscheidungen | |
Die einen haben beim Fernsehpreis viel zu lachen. Die IntendantInnen der | |
Öffentlich-Rechtlichen müssen aber für den Rundfunkbeitrag streiten. | |
Wirtschaftliche Folgen eines harten Brexit: Nebel über dem Ärmelkanal | |
Ein No-Deal würde für deutsche Firmen Milliardenzahlungen an Zöllen | |
bedeuten. EU-Beschäftigte müssten um ihre Absicherung fürchten. | |
Kolumne Flimmern und Rauschen: „Bild“ freut sich zu früh | |
Die „Bild“-Zeitung hat den „Spiegel“ als meistzitiertes Medium überhol… | |
frohlockt Springer. Aber die Quelle der Zahlen ist zweifelhaft. | |
Scheidende Chefredakteure 2018: Gehen, ging, gegangen | |
„Spiegel“, „Bild“, „Stern“ und „Frankfurter Rundschau“ wechselt… | |
Spitzenpersonal aus. Das Ende älterer weißer Männer in Chefredaktionen? |