# taz.de -- Vor der Brexit-Abstimmung im Unterhaus: Bühne frei für den Showdo… | |
> Streit über die Geschäftsordnung eröffnet die Debatte zum | |
> Austrittsvertrag mit der EU. Parlamentspräsident Bercow steht massiv in | |
> der Kritik. | |
Bild: John Bercow (rechts) sieht sich heftigen Anschuldigungen seitens der eige… | |
BERLIN taz | Im britischen Unterhaus hat am Mittwoch die entscheidende | |
Debatte darüber begonnen, ob Großbritannien am 29. März 2019 die | |
Europäische Union mit oder ohne Abkommen mit der EU verlässt. Zur | |
Ratifizierung liegt den Parlamentariern der im November zwischen | |
Großbritannien und der EU ausgehandelte Brexit-Vertrag vor, der in der | |
britischen Politik bislang auf so breite Ablehnung stößt, dass die | |
Regierung die eigentlich im Dezember fällige Abstimmung darüber kurzfristig | |
auf den 15. Januar vertagt hatte. | |
Da sich an dieser Stimmung nichts geändert zu haben scheint, die EU jede | |
Nachverhandlung ablehnt und die britische Regierung jede weitere Vertagung | |
der Abstimmung ausgeschlossen hat, dürfte Mays Brexit-Deal mit dem Votum am | |
kommenden Dienstag tot sein. Sämtliche Oppositionsparteien lehnen Mays Deal | |
ab. Wachsende Sympathie genießt bei ihnen die Option einer zweiten | |
Brexit-Volksabstimmung, um den EU-Austritt zu kippen, aber sie haben | |
zusammen keine Mehrheit, und das wäre sowieso nicht vor dem 29. März | |
möglich. | |
Innerhalb der regierenden Konservativen lehnt eine starke | |
Hardliner-Fraktion um Figuren wie Boris Johnson und Jacob Rees-Mogg den | |
May-Deal aus entgegengesetzten Gründen ab: Sie wollen einen „klaren“ Brexit | |
ohne einen möglichen unbegrenzten Verbleib des Landes in der EU-Zollunion, | |
wie es der Deal in Aussicht stellt. Sie hatten bei ihrem gescheiterten | |
Misstrauensvotum gegen Theresa May kurz vor Weihnachten die Mehrheit der | |
Hinterbänkler mobilisiert und wissen auch die nordirischen Protestanten der | |
DUP auf ihrer Seite. | |
## Keine Mehrheit für Nichts | |
Es gibt also eine klare Mehrheit im Parlament gegen Mays Deal – aber noch | |
keine Mehrheit für irgendetwas anderes. Solange das so bleibt, tritt | |
Großbritannien im 29. März 2019 trotzdem aus der EU aus – ohne | |
Vereinbarung. Dieser „ungeordnete“ sogenannte No-Deal-Brexit stößt tägli… | |
auf Warnungen wegen der angeblich dramatischen Folgen. Die britische | |
Regierung hat es zur obersten Priorität erklärt, sich darauf vorzubereiten, | |
damit die Folgen – zum Beispiel lange Schlangen an Häfen – abgefedert | |
werden. | |
Der Austritt am 29. März, ob mit oder ohne Abkommen, entspricht dem vom | |
Parlament im Juni verabschiedeten Gesetz, wonach an diesem Datum die | |
Gültigkeit der EU-Verträge in Großbritannien unwiderruflich erlischt. | |
Parlamentspräsident John Bercow bestätigte am Mittwoch zum Auftakt der | |
Debatte, dass dies nur durch ein anderes Gesetz aufgehoben werden könnte – | |
was in der verbleibenden Zeit nicht möglich ist. | |
Theoretisch könnte die britische Regierung als Reaktion auf eine | |
parlamentarische Niederlage eine Verzögerung des Brexit bei der EU | |
beantragen. Dies gilt als denkbar, müsste aber von allen anderen 27 | |
EU-Mitgliedern einstimmig gebilligt werden. Es besteht in der EU Einigkeit, | |
dass eine Verschiebung des Austrittstermins nur für kurze Zeit – also | |
spätestens bis zu den Europawahlen im Mai, an denen Großbritannien sonst | |
teilnehmen müsste – und zum Erreichen eines klar definierten Ziels möglich | |
wäre. Könnte sich die britische Politik aber auf ein klar definiertes Ziel | |
einigen, wäre das nicht nötig. | |
## Streit um die rechtliche Bedeutung des Wortes „fortan“ | |
Es gibt eine kleine, aber einflussreiche Gruppe von Abgeordneten und | |
Exministern bei den Konservativen, die einen No-Deal-Brexit trotzdem um | |
jeden Preis verhindern wollen. Angeführt von dem Hinterbänkler Dominic | |
Grieve, einem ehemaligen Vorsitzenden des parlamentarischen | |
Geheimdienstausschusses mit entsprechender Erfahrung, führen sie seit | |
Dienstag eine Art parlamentarische Guerillataktik gegen die eigene | |
Regierung. Am Dienstagabend setzten sie mit Unterstützung der | |
Labour-geführten Opposition mit 303 zu 296 Stimmen einen Änderungsantrag | |
zum Haushaltsgesetz durch, der die Bewilligung von Mitteln zur Vorbereitung | |
eines No-Deal-Brexit unter Parlamentsvorbehalt stellt. | |
Es war laut Experten ein symbolischer Schritt, aber davon ermutigt | |
beantragte Grieve am Mittwoch eine Veränderung der Geschäftsordnung der | |
bevorstehenden Brexit-Debatte, um einen Antrag einfügen zu können, wonach | |
die Regierung bei einer Niederlage innerhalb von 3 Tagen – und nicht 21, | |
wie bisher festgelegt – neue Vorschläge in Form eines Gesetzentwurfs | |
vorlegen müsste. | |
Obwohl allein die Regierung Geschäftsordnungen von Debatten festlegen darf, | |
nahm Parlamentspräsident Bercow am Nachmittag Grieves Antrag zur Abstimmung | |
an – und weigerte sich zu bestätigen, dass er sich zuvor die Rechtmäßigkeit | |
dieser Entscheidung hatte bestätigen lassen. Das sorgte für heftige | |
Turbulenzen; viele Redner warfen Bercow indirekt Rechtsbruch vor. | |
Gestritten wurde unter anderem über die rechtliche Bedeutung des Wortes | |
„fortan“ (forthwith) im Regelwerk des Parlaments. | |
Am Ende ging Grieves Antrag mit 308 zu 297 Stimmen durch, bevor mit | |
mehreren Stunden Verspätung die eigentliche Debatte begann. | |
10 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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