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# taz.de -- Schutz für Radfahrer und Fußgänger: Lastwagen bald aus Berlin ve…
> Laut einem Gutachten könnte Berlin Lkws in der Innenstadt verbieten, wenn
> sie nicht einen Abbiegeassistenten haben.
Bild: Rechtsabbiegende Lastwagen sind für Radfahrer hochgefährlich
Immer wieder passiert es, auch in Berlin: Ein Lkw-Fahrer übersieht den
radfahrenden Menschen direkt neben sich und erfasst ihn beim
Rechtsabbiegen. Die meisten dieser Unfälle enden tödlich, aber sie wären
vermeidbar. Denn auch wenn das Problem des toten Winkels durch Rückspiegel
nur bedingt lösbar ist, gibt es inzwischen technologische Abhilfe in Form
von Abbiegeassistenten, die Lkw-FahrerInnen vor Personen im Gefahrenbereich
warnen. Was fehlt, ist eine Vorschrift, diese nicht ganz billigen Sensoren
einzubauen. Dazu bedarf es einer EU-Richtlinie, die nach Stand der Dinge
frühestens 2024 kommen wird – und auch nur für Neufahrzeuge.
Das war jedenfalls bis vor Kurzem die herrschende Auffassung. In der
vergangenen Woche präsentierte der grüne Bundestagsabgeordnete Stefan
Gelbhaar ein von seiner Fraktion in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten der
Hochschule Darmstadt. Die „Sonderforschungsgruppe Institutionenanalyse
(sofia)“ kommt darin zu dem Schluss, dass eine Pflicht zum Einbau von
Abbiegeassistenten nicht auf EU-Ebene geregelt werden müsse. Vielmehr könne
jede deutsche Straßenverkehrsbehörde Durchfahrverbote für Lkws ohne
Abbiegeassistenten verhängen.
Die Grundlage dafür soll Paragraf 45 Straßenverkehrsordnung (StVO) liefern.
Nach diesem Paragrafen, heißt es im Gutachten, könne die
Straßenverkehrsbehörde „verkehrsbeschränkende, -umleitende oder
-verbietende Maßnahmen ergreifen“, wenn sich damit eine „situationsbezogene
Gefahrenlage“ entschärfen lasse. Eine solche sei „etwa dann anzunehmen,
wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle zu befürchten
sind“. Das ließe sich eigentlich über weite Teile der Berliner Innenstadt
sagen.
## Verwaltung kalt erwischt
Gelbhaar fordert nun einerseits den Bundesverkehrsminister auf, solche
Durchfahrtsbeschränkungen explizit in der StVO zu verankern, um mehr
Klarheit herzustellen. Der Fraktionssprecher für städtische Mobilität sagt
aber auch: Jede Stadt könne jetzt prüfen, welche Kreuzungen oder Bereiche
besonders gefährlich sind und – nach einer angemessenen Übergangsfrist –
für Lkws ohne Assistenzsystem tabu sein sollen.
Die ebenfalls grün dominierte Berliner Verkehrsverwaltung hat diese
Information allerdings kalt erwischt: Auf die Schnelle könne man sich zu
der neuen Rechtsauffassung nicht äußern, heißt es dort. „Wir sind dabei,
das Gutachten auszuwerten“, so die Sprecherin von Senatorin Regine Günther
(parteilos).
Eigentlich müsste man in der Senatsverwaltung am Köllnischen Park
begeistert sein. Immerhin hat die rot-rot-grüne Koalition die „Vision Zero“
in ihrem Mobilitätsgesetz verankert – also das explizite Bekenntnis, die
Zahl der Verkehrstoten perspektivisch auf Null zu reduzieren. Ein Verbot
für Lkws ohne entsprechende technologische Aufrüstung wäre ein großer
Schritt in diese Richtung, und genau das hat Berlin auch im vergangenen
Sommer in einer Bundesratsinitiative eingefordert, mit der die Regierung
angehalten wird, die entsprechenden Prozesse auf europäischer Ebene zu
beschleunigen.
Erfreut zeigen sich Verkehrspolitiker der regierenden Parteien: Unter
anderen der Grüne Harald Moritz und sein SPD-Kollege Tino Schopf wollen das
Darmstädter Gutachten prüfen und in ihren Fraktionen sowie koalitionsintern
über mögliche weitere Schritte sprechen, wie sie der taz bestätigten. Von
Schopf kam zuletzt der öffentlichkeitswirksame Vorschlag, getrennte
Ampelphasen für motorisierte und nicht motorisierte VerkehrsteilnehmerInnen
einzurichten, um für mehr Sicherheit zu sorgen.
Auch beim Fahrrad-Club ADFC macht man sich vorsichtige Hoffnungen: „Wir
warten jetzt ab, was die juristische Prüfung des Gutachtens ergibt. Aber
wenn es machbar sein sollte, muss es gemacht werden“, sagt Nikolas Linck,
Sprecher des Berliner ADFC-Landesverbandes. Der Senat habe versprochen,
alles zu tun, was die Sicherheit auf den Straßen erhöhe, er müsse dann auch
Wort halten.
Welche rechtlichen Fallstricke beim Thema „Abbiegeassistent-Pflicht“ noch
auftauchen, bleibt abzuwarten. Ein Problem ist aber auch, dass die
Technologie noch gar nicht so verbreitet und ausgereift gediehen ist, wie
es in der Berichterstattung bisweilen erscheint. Entgegen anders lautenden
Behauptungen sind zum Beispiel gar keine Systeme auf dem Markt, die einen
Lkw bei Gefahr aktiv bremsen. „Das ist noch eine Zukunftsvision“, sagt
Martin Bulheller, Sprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik
und Entsorgung (BGL). Vielmehr biete ab dem Frühjahr überhaupt erst der
zweite große Fahrzeughersteller einen Warnassistenten an.
Systeme zum Nachrüsten seien zwar erhältlich, so Bulheller zur taz, aber
noch kein einziges habe vom Kraftfahrt-Bundesamt die Allgemeine
Betriebserlaubnis erhalten. Was sich im Übrigen mit dem Förderprogramm des
Bundesverkehrsministeriums beißt: Das Haus von Minister Andreas Scheuer
(CSU) hat einen Topf von 25 Millionen Euro für die freiwillige Aus- und
Nachrüstung von Lkws mit Abbiegeassistenzsystemen aufgemacht. Damit der
Einbau eines konkreten Assistenten tatsächlich förderungswürdig ist, muss
aber die Betriebserlaubnis vorliegen.
## CDU will lieber einen Bike Flash
Parallel dazu hat unlängst die Berliner CDU-Fraktion eine weitere Lösung
für das Abbiegeproblem ins Spiel gebracht: Sie forderte den Senat auf, an
den gefährlichsten Kreuzungen sogenannte Bike Flashs zu installieren.
Dabei handelt es sich um sensorgesteuerte Vorrichtungen, die RadfahrerInnen
oder andere Personen im Gefahrenbereich erkennen können und Lkw-Fahrer
durch ein Blinklicht an einem Mast warnen. BGL-Sprecher Bulheller sagt
dazu, es handele sich um einen Prototyp, mit dem es noch zu wenige
Erfahrungen gebe. „Wir beobachten aber mit Interesse, wie sich das in der
Praxis bewährt. Wir sind offen für jede Technologie, die die Sicherheit
erhöht.“
Im niedersächsischen Garbsen hat die Stadtverwaltung vor Kurzem probehalber
den deutschlandweit ersten Bike Flash an einer Straßeneinmündung
angebracht, die zu einem Amazon-Sortierzentrum führt. Die 34.000 Euro teure
Anlage, die lediglich eine Straßenecke absichern soll, steht mittlerweile
unter Beschuss durch das Verkehrsministerium in Hannover: Dieses
bezweifelt, dass die Blinklichter StVO-konform sind – sie könnten
Autofahrer irritieren.
29 Jan 2019
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Abbiegeassistent
Fahrrad
Verkehrspolitik
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