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# taz.de -- Gericht für Menschenrechte fällt Urteil: Nicht in die Schule, son…
> Hausunterricht gefährdet die Integration von Kindern in die Gesellschaft.
> Das Jugendamt kann daher den Eltern das Sorgerecht entziehen, so die
> Richter.
Bild: Familie Wunderlich will ihre Kinder nicht in die Schule schicken
Karlsruhe taz | Wenn ein Jugendamt Eltern die Kinder wegnimmt, weil diese
nicht in die Schule gehen und zu Hause unterrichtet werden, ist dies
rechtmäßig. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
(EGMR) in einem Fall aus Hessen.
Dirk und Petra Wunderlich sind ein sehr christliches Ehepaar und haben vier
Kinder (drei Töchter und einen Sohn). Die Eltern sind beide Gärtner und
wohnen bei Darmstadt. Seit 2005 ist die älteste Tochter schulpflichtig,
doch die Eltern [1][lehnen die Schulpflicht ab]. „Wir wollen als Familie
zusammenleben, wie es Tausende Jahre der Fall war“, sagte Dirk Wunderlich
in einem Interview mit der Deutschen Welle. Die Schulpflicht reiße Familien
künstlich auseinander.
Von 2008 bis 2011 lebte die Familie im Ausland, unter anderem in
Frankreich, um der deutschen Schulpflicht zu entgehen. Seit 2011 waren die
Wunderlichs wieder in Deutschland. Petra Wunderlich unterrichtete die
Kinder zu Hause von 10 bis 15 Uhr, unterbrochen von einer Mittagspause.
Alle Kinder (geboren zwischen 1999 und 2005) lernten nach Angaben der
deutschen Behörden den gleichen Stoff. Als das Jugendamt ihren Wissensstand
überprüfen wollte, weigerten sich die Kinder mehrfach. Die Eltern erhielten
Geldbußen wegen Verletzung der Schulpflicht, bezahlten sie, aber änderten
nichts.
Daraufhin entzog das Amtsgericht Darmstadt den Eltern das Sorgerecht
teilweise. Im August 2013 standen überraschend rund zwanzig Sozialarbeiter
und Polizisten vor der Tür, nahmen die vier Kinder mit und brachten sie in
ein Kinderheim. Es bestehe die Gefahr, dass die Kinder sozial isoliert in
einer Parallelwelt aufwachsen und keine Chance haben, ein normales
Sozialverhalten zu lernen. Erst nach drei Wochen konnten die Kinder zu den
Eltern zurückkehren. Diese hatten zuvor schriftlich versprochen, dass die
Kinder nun in die Schule geschickt würden.
## EGMR stützt deutsches Jugendamt
Gegen den Teilentzug des Sorgerechts und die Wegnahme der Kinder klagten
Dirk und Petra Wunderlich vor dem Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte in Straßburg. Die Maßnahme verletze ihr Recht auf
Privatleben. Dem Staat gehe es nicht um das Kindeswohl, sondern nur um die
Durchsetzung der Schulpflicht.
Die Straßburger Richter erinnerten daran, dass sie schon mehrfach die
strenge deutsche Auslegung der Schulpflicht akzeptiert hatten und darin
keinen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention sahen. In
diesem Falle gehe es daher nur noch um die Rechte der Behörden in einer
derartigen Konstellation.
Dabei stützte der EGMR nun die Position des deutschen Jugendamts. Der
Entzug des Sorgerechts und die Wegnahme der Kinder sei gerechtfertigt
gewesen, um ihre Integration in die Gesellschaft sicherzustellen. Das
Kindeswohl sei gefährdet, wenn Eltern ihre Kinder nicht in die Schule
schicken und sie in einem „symbiotischen Familiensystem“ halten. Ein
milderes Mittel sei nicht ersichtlich gewesen, da die Eltern nicht mit den
Behörden kooperierten.
Nachdem Zwischenfall von 2013 gingen die vier Kinder zunächst in die
Schule, klagten aber über den großen Lärm und die vielen Hausaufgaben. Nach
einem dreiviertel Jahr wurden sie wieder zu Hause unterrichtet. Heute sind
die drei älteren Kinder der Schulpflicht entwachsen und die jüngste,
inzwischen 13, bleibt weiter zu Hause. Die Behörden haben laut Vater
Wunderlich inzwischen eingesehen, dass sie dem Kind mit einer zwangsweisen
Durchsetzung der Schulpflicht mehr schaden würden als nutzen.
Das Straßburger Urteil hat [2][vor allem für andere Familien] Bedeutung,
die derzeit ihre Kinder zu Hause unterrichten. Schätzungen zufolge sind es
über hundert in Deutschland.
10 Jan 2019
## LINKS
[1] /Linken-Politikerin-ueber-Schulpflicht/!5536268
[2] /Debatte-um-eine-Zwangsinstitution/!5475654
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Familie
Gerichtsurteil
Schule
Bildung
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
Adoption
Kindeswohl
Bildungschancen
Schule
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