# taz.de -- Menschenrechtsgerichtshof zu Adoption: Gegen den Willen der Mutter | |
> Norwegen hat ein Flüchtlingskind in eine christliche Pflegefamilie | |
> gegeben. So wurden die Rechte der leiblichen Mutter verletzt, urteilt ein | |
> Gericht. | |
Bild: Norwegen hat schon zuvor wenig getan, damit Kinder zu ihren Herkunftsfami… | |
FREIBURG taz | [1][Norwegen] hat die Rechte einer somalischen Mutter | |
verletzt, deren Kind gegen ihren Willen von norwegischen Pflegeeltern | |
adoptiert worden war. Dies stellte der [2][Europäische Gerichtshof für | |
Menschenrechte] (EGMR) am Dienstag in Straßburg fest. | |
Die Somalierin kam 2010 als 17-jährige Geflüchtete mit ihrem zehn Monate | |
alten Sohn nach Norwegen. Die Behörden sahen die Mutter mit der Erziehung | |
überfordert und nahmen das Kind in Obhut. Die Mutter war damit | |
einverstanden, forderte aber, dass das Kind bei Verwandten oder zumindest | |
in einer ebenfalls muslimischen Familie untergebracht wird. Stattdessen kam | |
das Kind zu einer christlichen Familie aus Norwegen. | |
Die Pflegeeltern beantragten 2013, das Kind zu adoptieren, um es zu einem | |
vollwertigen Mitglied der Familie zu machen. Das Kind sollte getauft werden | |
und keinen Kontakt mehr zur Mutter haben. Nach einem längeren Rechtsstreit | |
vor norwegischen Gerichten wurde die Adoption 2015 wirksam. Das norwegische | |
Obergericht argumentierte, dass das Kind ein stabiles Umfeld brauche. | |
Wünsche der Mutter nach muslimischer Erziehung könnten für Unruhe sorgen. | |
Die Mutter rief dagegen den EGMR an. Der norwegische Staat habe ihr Recht | |
auf Familienleben verletzt. Indem ihr Kind zu einer Pflegefamilie mit so | |
großen kulturellen und ethnischen Unterschieden gebracht wurde, habe er | |
gezeigt, dass eine Rückkehr zur Mutter nie intendiert war. Auch sei ihre | |
Religionsfreiheit verletzt, weil das Kind mit der Pflegefamilie in die | |
Kirche geht und Schweinefleisch isst. | |
## Recht auf Familienleben verletzt | |
Der EGMR prüfte jedoch nur das Recht auf Familienleben und sah dieses | |
einstimmig als verletzt an. Die norwegischen Behörden hätten nicht | |
ausreichend auf eine Wiedervereinigung von Mutter und Kind hingewirkt. | |
Dass das Kind auf Besuche der Mutter verstört reagierte und weinte, könne | |
Norwegen nicht als Argument geltend machen, so die Richter. Den | |
Zusammenbruch der Familienbeziehung hätten die Behörden selbst verursacht, | |
vor allem durch die restriktive Besuchsregelung. Die Mutter durfte ihr Kind | |
nur vier Mal im Jahr für zwei Stunden sehen, später sechs Mal im Jahr für | |
eine Stunde. | |
Außerdem sei nicht ausreichend geklärt worden, ob Kontakte zwischen Mutter | |
und Kind generell, also auch in späteren Jahren, für das Kind schädlich | |
wären. Aus Sicht des Gerichtshofs hätte der „religiöse und kulturelle | |
Hintergrund“ für eine Aufrechterhaltung von Kontakten gesprochen. | |
Der EGMR versuchte offensichtlich, den religiösen Konflikt zu deeskalieren | |
und stützte sich vor allem auf eine eigene Grundsatzentscheidung vom | |
September 2019. Damals war Norwegen ebenfalls verurteilt worden, weil es | |
bei Pflegekindern nicht genug auf die Rückführung in die Herkunftsfamilie | |
hinarbeite. | |
Die Adoption bleibt trotz des Urteils bestehen. Die Somalierin hätte zwar | |
Schadensersatz erhalten können, hatte aber keinen beantragt. | |
*In einer früheren Version des Artikels hieß es, der EGMR habe eine | |
Verletzung der Religionsfreiheit festgestellt. Tatsächlich argumentierte | |
nur die Mutter mit der Religionsfreiheit, nicht aber der EGMR. Wir haben | |
den Fehler der Redaktion korrigiert. | |
18 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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