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# taz.de -- Lehrerstreik in Los Angeles: LehrerInnen gegen Privatisierung
> Unter Trumps Bildungsministerin Betsy DeVos verkommt Bildung zur Ware.
> Für die staatlichen Schulen ist das eine Katastrophe.
Bild: Auch SchülerInnen nehmen am Streik der LehrerInnen in Los Angeles teil
Washington taz | Als Wil Page anfing, Mathematik an einer öffentlichen
Schule in Los Angeles zu unterrichten, saßen 22 SchülerInnen vor ihm. „Es
war wunderbar“, sagt er rückblickend, „ich konnte mich jedem einzelnen Kind
widmen und mich selbst als Lehrer weiterentwickeln.“ Zwölf Jahre später
soll er dieselbe Arbeit mit fast der doppelten Zahl von SchülerInnen
erledigen.
80 Prozent kommen aus einkommensschwachen Verhältnissen. Deswegen erhalten
sie an der Thomas-Starr-King-Mittelschule kostenloses Essen. Aber weder für
ihre medizinische und psychologische Betreuung noch für die Hilfe bei ihrer
Bewerbung um Studienplätze stehen ihnen an der Schule Vollzeitkräfte zur
Verfügung. „Inakzeptabel und ungerecht“, nennt der Mathematiklehrer diese
Situation in dem reichsten Bundesstaat des reichsten Landes der Welt.
Die Lage ist kein Einzelfall. Quer durch Los Angeles ist das Geld für
öffentliche Schulen immer weiter verknappt worden. Anfang vergangener Woche
haben die LehrerInnen und ihre Gewerkschaft United Teachers of Los Angeles
(UTLA) die Notbremse gezogen. Am Montag traten sie in den Streik. Ihre
Forderungen gehen weit über eine Lohnerhöhung hinaus.
Statt der bis zu 45 SchülerInnen verlangen sie kleinere Klassen, mehr
Personal – nicht nur LehrerInnen, sondern auch KrankenpflegerInnen,
PsychologInnen und BibliothekarInnen – und besseres Unterrichtsmaterial.
Zugleich ist ihre Aktion ein Protest gegen die rasant [1][voranschreitende
Privatisierung des Schulwesens unter Trumps Bildungsministerin Betsy
DeVos.]
## 600.000 SchülerInnen betroffen
DeVos stammt aus einer reichen Familie, hat nie eine öffentliche Schule
besucht – ebenso wenig wie ihre Kinder. Und sie ist eine regelrechte
Gegnerin des öffentlichen Schulwesens, wie sie in ihrer Heimat Michigan
bewiesen hat. Stattdessen fördert sie die privaten Charterschulen mit
öffentlichen Geldern. In Los Angeles, dem zweitgrößten Schulbezirk des
Landes, ist das Schulwesen dreigeteilt. Die öffentlichen Schulen müssen
alle Kinder aufnehmen und haben unverhältnismäßig viele aus Familien ohne
finanzielle Mittel und politischen Einfluss.
Daneben gibt es traditionell die Privatschulen, für die Eltern gegenwärtig
zwischen 8.000 und 40.000 Dollar pro Jahr und Kind zahlen. In den letzten
Jahren [2][haben sich zusätzlich die Charter-Schulen etabliert.] Sie werden
privat betrieben, aber mit öffentlichen Geldern finanziert. Für jedes Kind,
das eine öffentliche Schule in Richtung einer Charter-Schule verlässt,
gehen mehr öffentliche Gelder in die kaum kontrollierten Kassen dieser
Schulen. Keine Stadt in den USA hat heute mehr Charter-Schulen als das
demokratisch regierte Los Angeles. Schon jetzt besuchen 30 Prozent der
Kinder in der Stadt Charter-Schulen.
Die streikenden LehrerInnen in Los Angeles wollen deshalb, dass die
Charter-Schulen unter eine strengere öffentliche Aufsicht gestellt werden.
„Schützt uns vor der Privatisierung“, ist auf Transparenten zu lesen, die
in diesen Tagen von Streikenden in roten T-Shirts durch Los Angeles
getragen werden. Und: „Finanziert unsere Schulen.“
Der Streik im zweitgrößten Schuldistrikt der USA betrifft 600.000
SchülerInnen. Viele Familien mussten Notlösungen für die Betreuung ihrer
Kinder suchen. Dennoch ist der Streik populär. Auch Eric Garcetti, der
Bürgermeister von Los Angeles – und einer der DemokratInnen, die mit einer
Präsidentschaftskandidatur 2020 liebäugeln – zeigt Verständnis. Er nannte
den Streik „gerecht“.
## Der erste Streik des Lebens
Mit ihrer Aktion folgen die LehrerInnen von Los Angeles dem Vorbild der
kleinen Bundesstaaten West Virginia, Oklahoma, Kentucky und Arizona, wo
ihre KollegInnen schon im vergangenen Jahr in den Ausstand getreten sind.
Auch dort ging es sowohl um die Vernachlässigung von öffentlichen Schulen
als auch die der LehrerInnen. Doch zugleich gab es Unterschiede. So fanden
jene Streiks in „roten“ – republikanisch regierten – Bundesstaaten stat…
Dort verdienen LehrerInnen Hungerlöhne, die sie zwingen, nebenbei putzen zu
gehen, und dort gibt es für LehrerInnen weder Tarifverträge noch
Streikrecht.
In Los Angeles ist es anders. Dort verhandelt die Gewerkschaft UTLA, der
die überwiegende Zahl der 32.000 LehrerInnen der öffentlichen Schulen
angehören, schon seit 22 Monaten mit der Schulbehörde über den längst
fälligen neuen Tarifvertrag. Als sich keine Annäherung abzeichnete,
organisierte sie im vergangenen August eine Urabstimmung über einen Streik.
98 Prozent der LehrerInnen stimmten zu. Für die meisten ist es der erste
Streik ihres Lebens. Der letzte Schulstreik in Los Angeles liegt 30 Jahre
zurück.
Unter den gestiegenen Klassenstärken leidet auch Englischlehrer Joseph
Zeccola. Er unterrichtet 14- bis 18-Jährige und wurde 2018 im County Los
Angeles als „Lehrer des Jahres“ ausgezeichnet. „Pro Schüler habe ich noch
drei Minuten am Tag“, sagt er bitter und vergleicht seine 39 SchülerInnen
mit den Klassenstärken in den teuren Privatschulen, wo nur 15 bis 16 Kinder
im Raum sitzen. Dabei bedürfen viele seiner SchülerInnen seiner
Aufmerksamkeit.
An seiner letzten Schule etwa habe jeder zweite Schüler Schusswaffengewalt,
Obdachlosigkeit, Gefängnis, Selbstmord oder häuslichen Missbrauch erlebt,
erzählt Zeccola. Aber die Schule half den jungen Leuten nicht einmal mit
täglich anwesenden SozialarbeiterInnen. Der Englischlehrer nennt es „einen
Skandal“ und „unmoralisch“, dass das demokratisch regierte Kalifornien, d…
„blaueste aller Staaten“, seine öffentlichen Schulen so vernachlässigt. U…
gleichzeitig immer mehr Geld an die Charter-Schulen leitet.
## Solidarität quer durchs Land
An der Spitze der Schulen von Los Angeles sitzt ein Mann mit anderen
Werten. Superintendent Austin Beutner ist ein Multimillionär, der sich
selbst als „Philanthrop“ beschreibt. Er war Hedgefondsmanager in New York
und beriet später unter Präsident Bill Clinton Russland bei der Umstellung
von einer Plan- zu einer Marktwirtschaft. Als der Streik in Los Angeles
begann, holte Beutner 400 Hilfskräfte. Da das nicht genügend
StreikbrecherInnen für das Funktionieren von 900 Schulen sind, fügte er
hinzu, dass nicht unbedingt Menschen für den Unterricht nötig wären.
Doch nach fünf Streiktagen wachsen die Solidaritätsbekundungen in Los
Angeles und quer durch das Land. Und in der weiter nördlich gelegenen
kalifornischen Stadt Oakland braut sich bereits der nächste
LehrerInnenstreik aus denselben Motiven zusammen. Und die Streikenden
bekommen Unterstützung: Der Bürgermeister von Los Angeles und die
Demokraten des Bundesstaates Kalifornien drängen den Superintendenten zu
einer Lösung des Konflikts.
23 Jan 2019
## LINKS
[1] /Trumps-Bildungsministerin/!5362398
[2] /Bildungskrise-in-den-USA/!5081142
## AUTOREN
Dorothea Hahn
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