# taz.de -- Buch zur Krise der USA: Aufbruch und Untergang | |
> Der US-amerikanische Essayist Thomas Frank analysiert die politische | |
> Krise der USA. Liegt sie an Obamas verpassten Chancen? | |
Bild: Was von Enron übrig blieb: Versteigerung ehemaliger Besitztümer in Hous… | |
Trotz der Krise der Printmedien ist der politische Essay immer noch das | |
Vorzeigeprodukt der US-amerikanischen Publizistik. Thomas Frank hat sich | |
über Jahrzehnte in den bedeutendsten US-Magazinen einen Namen gemacht. Zu | |
Beginn seiner Karriere hat er sich an die Gründung eines eigenen namens | |
Baffler gewagt, ein echtes Chicagoer Produkt der achtziger Jahre. | |
Gnadenlos zerpflückte er die falschen Versprechen von Konsum und Werbung, | |
ohne die Counterculture eines zerfallenden Chicagos zu idealisieren. „The | |
Conquest of Cool“ hieß sein Resümee einer vernichtenden Kritik des | |
Konsumerismus. Sein Gespür für Scheinrebellionen ließ ihn früh auf das | |
Vorspiel des heutigen Trumpismus aufmerksam werden, auf die | |
Selbstzerstörung der Republikanischen Partei, die er überraschten Lesern in | |
einer brillanten Studie über Kansas City vor Augen führte. | |
Mit beißendem Spott analysierte Frank über zwei Jahrzehnte den scheinbar | |
unaufhaltsamen Aufstieg des Populismus. In „Pity the billionaire“ versuchte | |
er den Realitätsverkehrungen populistischer Propaganda auf die Spur zu | |
kommen. Seit Trumps Regierungsantritt geht es aber nicht mehr um | |
Kulturkritik, es geht ums Ganze. | |
„Americanic. Berichte aus einer sinkenden Gesellschaft“ versammelt Essays | |
von Frank aus den letzten zehn Jahren. Sinnigerweise beginnt er mit dem | |
Enron-Skandal. Hier ist die spektakuläre Pleite der „The World’s Greatest | |
Company“ schon längst vergessen, ein Energiekonzern, der zum Vorreiter der | |
Deregulierung wurde. | |
Begünstigt durch Bush sen., verflochten mit dem Establishment der | |
Republikanischen Partei, gedeckt durch Wirtschaftsprüfer und | |
Ratingagenturen, legte Enron den bis dahin größten Bankrott der US-Ökonomie | |
hin. | |
Die Auswirkungen solcher Transaktionen schlagen in den USA viel härter | |
durch als in Europa. Die Energiekrise führte zu Preiserhöhungen von 300 | |
Prozent, es verschwanden 2 Milliarden US-Dollar Betriebsrente. Kurz vor | |
dem Bankrott hatten sich die führenden Manager noch fürstliche Boni | |
auszahlen lassen. Die Enron-Pleite führt direkt in die [1][Weltfinanzkrise | |
von 2008], die den wirklichen Sumpf des US-amerikanischen Kapitalismus | |
aller Welt vor Augen führte. | |
## „Akademischer Kapitalismus“ | |
Die Komplizenschaft der Finanzwirtschaft mit der Politik erregte einen | |
ungeheuren Zorn in der US-amerikanischen Bevölkerung. Millionen von | |
Kreditnehmern, Rentnern und Kleinaktionären konnten ihr Erspartes, | |
Eigenheime, Ausbildungsversicherungen für die Kinder und | |
Altersabsicherungen in den Wind schreiben. 2008 wäre nach Franks Ansicht | |
der Zeitpunkt gewesen, an dem eine radikale Kehrtwendung der | |
US-amerikanischen Politik möglich gewesen wäre. | |
Auf [2][Präsident Barack Obama] und die Demokratische Partei | |
konzentrierten sich die Hoffnungen. Er hatte „Change“ versprochen; aber | |
am Ende seiner Amtszeit schienen die Probleme, die als Folgen der | |
neoliberalen Politik die Landschaft verwüstet hatten, ungelöst. | |
Schlimmer noch: Den Populisten war es gelungen, die Wut über die | |
betrügerische Finanzindustrie auf den Staat zu lenken, der die Betrüger vor | |
dem Knast gerettet hatte. Frank führt den Mangel an grundlegender | |
Veränderung auf Obamas Team zurück, das aus talentierten Profis bestand, | |
die das System reparieren und nicht substanziell verändern wollten. | |
Obamas wichtigste Berater der ersten Stunde stammten alle aus dem Milieu | |
der Finanzindustrie und Eliteuniversitäten. Die Grundlage für den Aufstieg | |
dieser Schicht von Profis sieht Frank in dem „akademischen Kapitalismus“, | |
der nicht Bildung für alle, sondern Elitenbildung fördert. Die Obamas | |
repräsentierten die meritokratische Utopie des Aufstiegs durch Bildung. In | |
der gesellschaftlichen Wirklichkeit bedeutet der „akademische Kapitalismus“ | |
die massenhafte Ausweitung prekärer Jobs, sogar in Schulen und | |
Universitäten selbst. | |
## Empfehlung eines linken Populismus | |
Diese Entwicklung betrifft auch die Medien, in denen eine kleine Elite die | |
Meinungen vorgibt und eine Masse unterbezahlter Schreiber und Blogger | |
zurücklässt. Das Sterben der Zeitungen steht dem der Stahl- und Kohlewerke | |
nicht nach. | |
Frank kritisiert mit bissigem Scharfsinn die Worthülsen der | |
Start-up-Ökonomie. „Kreativität“ und „Innovation“, Catchwords der IT-… | |
und Sharing Economy, hält er für Nebelkerzen einer forcierten | |
Digitalisierung. Auch die linke Protestkultur wie die | |
Occupy-Wall-Street-Bewegung habe sich in den Sprechblasen des akademischen | |
Kapitalismus verloren. | |
Frank überzeugt als genauer Beobachter der Schwächen demokratischer | |
Opposition, aber seine Empfehlung eines linken Populismus als Gegengift | |
[3][zum Trumpismus] überzeugt nicht, denn zu jedem Populismus gehört das | |
Mobilisieren von Ressentiments. | |
Franks treffende Kritik der rechten wie liberalen Rhetorik kann konkrete | |
Projekte linker Gesellschaftsveränderung nicht ersetzen. Es bleibt das | |
Dilemma der Demokratischen Partei – um den Preis ihrer Existenz muss sie | |
den Liberalismus und die Interessen der Lohnabhängigen zusammenbringen; | |
mehr als ein regulierter Kapitalismus ist von ihr nicht zu verlangen. | |
23 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Debatte-Postkapitalismus-IV/!5165788 | |
[2] /Barack-Obama/!t5007770 | |
[3] /Schwerpunkt-USA-unter-Donald-Trump/!t5079612 | |
## AUTOREN | |
Detlev Claussen | |
## TAGS | |
Enron | |
Barack Obama | |
Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
Kapitalismus | |
taz.gazete | |
taz.gazete | |
Michael Moore | |
Schwerpunkt USA unter Donald Trump | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Autor Richard Kreitner über die USA: „Die Angst hält das Land zusammen“ | |
In den USA spitzen sich die Auseinandersetzungen zu. US-Autor Richard | |
Kreitner spürt den spalterischen Tendenzen und neuen Ablösungstendenzen | |
nach. | |
Kolumne Knapp überm Boulevard: Gesellschaft gibt es nur mit anderen | |
Zerfällt unsere Gesellschaft in eine Vielzahl von Gemeinschaften? Wichtig | |
für alle Individuen ist der Umgang mit den Unterschieden. | |
„Fahrenheit 11/9“ von Michael Moore: Giftwasser für die Armen | |
Michael Moore rechnet in seinem jüngsten Dokumentarfilm mit US-Präsident | |
Donald Trump ab. Aber auch mit den Demokraten. | |
US-Autor über zwei Jahre Trump: „Trump ist zynisch, ohne es zu wissen“ | |
Mit jedem Tweet des US-Präsidenten wächst das Gefühl, „das alles geht gar | |
nicht“. Der kalifornische Intellektuelle Hans Ulrich Gumbrecht über Trumps | |
Impulse. |